Das Wertequadrat nach Paul Helwig (1893-1963) zeigt auf, dass es zu jeder menschlichen Qualität (z.B. Sparsamkeit) eine notwendige Gegenqualität oder Schwester-Tugend gibt (z.B. Großzügigkeit). Beide Tugenden müssen in Balance gehalten werden, um nicht in eine einseitige Überkompensation zu kommen.
Wertequadrat Beispiel 1: Sparsamkeit vs. Großzügigkeit
Konkret braucht es im unten dargestellten Urbeispiel von Helwig neben Sparsamkeit auch Großzügigkeit, um kein Geizhals zu werden. Genauso braucht der Großzügige Sparsamkeit, um sich nicht in Verschwendung zu verlieren.
Wertequadrat Beispiel 2: strukturiert vs. kreativ
Ein weiteres Beispiel ist die Tugend „Strukturiert“ und die Schwester-Tugend „Kreativ“. Normalerweise werden die Strukturierten und die Kreativen schön voneinander getrennt, weil die ja nicht miteinander können. Das Wertequadrat zeigt jedoch, dass es neben Strukturiertheit auch Kreativität braucht, um kein Pedant zu werden. Genauso braucht der Kreative einen Schuss Struktur, um kein Chaot zu werden.
Wertequadrat Beispiel 3: zentral vs. dezentral
Eine fast schon unendliche Diskussion in großen Unternehmen ist das „richtige“ Verhältnis von zentral vs. dezentral. Lieber mehr Steuerung aus der Zentrale oder mehr Eigenständigkeit für die Standorte? Das Wertequadrat zeigt, ein zu starkes eingreifen der Zentrale kann schnell als Überwachung wahrgenommen werden. Hier gibt es fast immer den Reflex wieder mehr auf die Unabhängigkeit der Standorte zu bestehen. Um die beiden Werte wieder auszubalancieren.
Praktische Anwendung
Das Wertequadrat kann als praktisches Tool dienen, um Konfliktgespräche professionell zu führen. Überlege dir welche Qualität, Tugend oder Eigenschaft dich an der Person aufregt, z.B. der verschwenderische Umgang mit Geld oder die chaotische Arbeitsweise. Das Wertequadrat zeigt nun auf, welche Schwestertugend zu stärken bzw. zu entwickeln ist. Im einen Fall die Sparsamkeit. Im anderen Fall die Strukturiertheit. So kann im Konfliktgespräch eine konkrete Entwicklungsrichtung aufgezeigt werden.
Auf Organisationsebene ist das Wertequadrat ebenfalls nützlich, z.B. um die Diskussionen zwischen zentral vs. dezentral besser einordnen zu können. So verwundert es nicht, dass das Pendel mal in Richtung zentral ausschlägt, mal in Richtung dezentral. Je nachdem wie weit man es in eine Richtung übertrieben hat. Manche Organisationen haben hingegen eine Vorliebe, für die eine oder andere Seite quasi in ihrer DNA integriert. Hierbei sind einseitige Übertreibungen sogar erwünscht.
UPDATE 2020: Kommunikation als Lebenskunst
Das Buch Kommunikation als Lebenskunst, dass im Dialog zwischen Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun entstanden ist, hat mir weitere wichtige Einsichten zum Wertequadrat geliefert:
- Das Geheimnis des glückenden Lebens liegt in der Koexistenz und der Integration von polaren Gegensätzen, die logisch unvereinbar erscheinen mögen.
- Es geht um die dynamische Balance, die aus der Verbindung des Unterschiedlichen eine dritte Qualität entstehen lässt, eine Regenbogenqualität (Regen und Sonnenschein).
- Im Konzept der dynamischen Balance sind die Ausschläge in die eine oder andere Richtung durchaus schon als Ideal mitgedacht.
- Nach Helwig ist jeder Wert nur in ausgehaltener Spannung zu seinem positiven Gegenwert ein wirklicher Wert. Kein Wert ist an sich allein schon, was er sein soll. Er wird es erst durch Einbeziehen des positiven Grundwertes.
- Nach Schulz von Thun geht das Wertequadrat auf den Berliner Philosophen Nicolai Hartmann zurück, dessen Student Helwig war, jedoch seine Quelle nicht angegeben hat. Der Grundgedanke des Modells lässt sich nach Wikipedia auf Aristoteles zurückzuführen (ca. 350 v. Chr.).
Fazit: Wertequadrat nach Paul Helwig
Ziel ist es nicht die goldene Mitte zu erreichen, also eine perfekte Mischung zwischen 50% Sparsamkeit und 50% Großzügigkeit oder Struktur und Kreativität. Ziel ist es die Tugenden in dynamischer Balance zu halten. Das kann im einen Fall maximal Sparsamkeit sein, im anderen Fall maximale Großzügigkeit.
Das Wertequadrat nach Paul Helwig wurde später durch Schulz von Thun als Werte- und Entwicklungsquadrat einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Deshalb empfehle ich zur weiteren Vertiefung den Sammelband „Miteinander reden“ von Schulz von Thun, der viele weitere Instrumente liefert.
Dr. Patrick Fritz
Kommentar verfassen