Am 6. Juni 2007 hatte ich im Rahmen des Führungskreis Softwareentwicklung das erste Mal Kontakt mit dem Begriff Agilität. Der Vortrag von Dr. Andreas Wintersteiger hatte den Titel „Agile Project Management with SCRUM“. Seit damals habe ich weit über 100 Vorträge zum Thema Agilität gehört und frage mich inzwischen, worum es hier eigentlich noch geht. Mit diesem FRITZ Tipp bringe ich mit dem Modell Agile Zwiebel Ordnung ins Begriffschaos!
Inhalt
Agilität als Modebegriff
Was damals als moderne Projektmanagement-Methode klar verortet war, ist heute zu einem Modebegriff geworden, der für ALLES und NICHTS steht. Wer heute nicht agil und digital ist, der gehört einfach nicht mehr dazu. Mich persönlich nervt das nur noch, wenn man nicht sagen kann, was man damit meint.
Kühl und Richter sehen die Unbestimmtheit des Begriffs sogar als Chance: „Das schafft nämlich die Möglichkeit, die positive Kraft des Begriffs Agilität zu nutzen und mit den eigenen notwendigen Veränderungsvorhaben inhaltlich aufzuladen.“ Somit verkommt der Begriff Agilität endgültig zu einem rhetorischen Mittel, gegen das ich mich strengstens verwehre.
Was bedeutete Agilität im Kern?
Beim klassischen Projektmanagement werden zunächst Anforderungen erhoben und möglichst früh fixiert. Darauf basierend werden Kosten und Termine geschätzt. Beim agilen Projektmanagement werden zuerst Kosten und Termine fixiert. Die umgesetzten Anforderungen sind dann eine Schätzung des Teams im Sprint Planning. Mehr dazu im FRITZ Tipp Das Magische Dreieck des Projektmanagements.

Die Wurzeln der Agilität liegen ganz klar im Projektmanagement. Platt gesagt ist Agilität eine spezielles Vorgehensmodell für Softwareentwicklungsprojekte. Der Umgang mit komplexen Phänomenen hat seit 2007 Einzug in die unterschiedlichsten Domänen gefunden, wie z.B. die Unternehmensentwicklung. Schließlich meinen wir, es immer häufiger mit komplexen Phänomenen zu tun zu haben. Ich bezweifle das, möchte allerdings den Weg sauber nachzeichnen.
Agile Zwiebel bringt Ordnung
Das Modell der Agilen Zwiebel oder Agile Onion von Simon Powers eignet sich hervorragend, um Ordnung ins Begriffschaos rund um Agilität zu bringen. Powers zufolge kann Agilität nämlich auf mindestens drei Ebenen verstanden werden.




Agile Tools und Prozesse (Agile Zwiebel – Schale 1)
Wenn man Vorträge von Fachberatern hört, dann ist Agilität ein Tool oder Werkzeug. Anders gesagt, wer das Tool anwendet ist agil. Das berühmteste agile Tool ist mit Sicherheit das SCRUM-Board. Im Prinzip nichts anderes wie eine Visualisierung von Arbeit. Der erste Schritt in die Agilität ist fast immer eine Visualisierung der Arbeit auf einem Board.




Agile Praktiken und Methoden (Agile Onion – Schale 2)
Die berühmteste agile Methode ist SCRUM. Viele Software-Entwicklungsteams haben mit SCRUM ihre Reise in die agile Welt gestartet – als eine von mehreren möglichen agilen Methoden. SCRUM ist aber genauso sicher nicht die einzige agile Methode: Kanban, Design Thinking, Design Sprint, Business Model Canvas, Effectuation, Holacracy, Lean Startup…
Da SCRUM besonders cool ist, hat auch selten jemand danach gefragt, ob das denn die richtige Methode für die eigene Arbeit ist. Schließlich hat es in anderen Firmen funktioniert, also muss es auch bei uns funktionieren.
Vor diesem Hintergrund verwundern mich zahlreiche Unternehmen nicht, in denen SCRUM inzwischen ein Schimpfwort darstellt, in denen ScrumBut zur Tagesordnung gehört und in denen Holacracy ein sehr begrenzter Versuch geblieben ist.
Agile Prinzipien, Werte und Mindset (Agile Zwiebel – Schale 3, 4, 5)
Für Prozessberater ist das Verhalten der Führungskräfte der Schlüssel zur Agilität. Deren Verhalten bzw. die tiefer liegende Einstellung hat nämlich einen wesentlich größeren Hebel als es die Methode SCRUM je haben könnte.
Um das Verhalten aller Führungskräfte im Unternehmen auszurichten, möchte der Prozessberater am gemeinsamen Führungsverständnis arbeiten, wenn nicht sogar an gemeinsamen Prinzipien und Werten aller Mitarbeiter. Im Fall von SCRUM ist das agile Manifest und die vier zentralen Werte ein wichtiger Nordstern:
Individuen und Interaktionen > Prozesse und Werkzeuge
Funktionierende Software > umfassende Dokumentation
Zusammenarbeit mit dem Kunden > Vertragsverhandlung
Reagieren auf Veränderung > Befolgen eines Plans
Um die Zauberformel auf den Punkt zu bringen: Wenn wir agile Werte (Anpassung, Flexibilität, Schnelligkeit, Verantwortung usw.) in unserem Leitbild verankert haben, dann ergibt sich Agilität von selbst. Und ohne dass wir es bemerkt haben, sind wir mitten in einem Kulturveränderungs-Projekt, um das Mindset aller Mitarbeiter um 180 Grad zu drehen – was für ein Blödsinn!
Fazit – Was ist Agilität? Agile Zwiebel!
Die Wurzeln der Agilität liegen im Projektmanagement. Agilität und die wichtigste agile Methode SCRUM ist eine spezielles Vorgehensmodell für Softwareentwicklungsprojekte. Bei der Übersetzung auf andere Domäne ist aus Agilität ein Modebegriff geworden, der so etwas meint wie flexibel auf Umweltveränderungen zu reagieren.
In der Folge geht es darum weitere Schlagworte wie Anpassung, Flexibilität oder Schnelligkeit in den Köpfen oder besser gesagt im Mindset der Mitarbeiter zu verankern. Allerdings wird dabei einer der wichtigsten Grundsätze in der agilen Szene missachtet: doing and then being agile. Berner würde sagen, verändere die Strukturen, dann werden die Werte mit Respektabstand folgen.
Dr. Patrick Fritz
Danke für den Artikel, Patrick!
JA, Agilität kann man nicht verordnen – Agilität ist der Lohn langer konsequenter Organisationsentwicklungsarbeit.