Warum ist Veränderung so schwierig – aber dennoch möglich? Diese Frage stellt der Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth. Wie relevant diese Frage ist, zeigen Konzepte wie Transformationale Führung, Change Management, Führungskräfteentwicklung oder Nudging die stillschweigend auf der Annahme beruhen das sich Menschen wie Software programmieren lassen. Dabei wäre der Vergleich mit Hardware ungleich treffender, wie dieser FRITZ Tipp zeigt!
Wer ist Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth?
Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth (1942) ist ein deutscher Biologe und Hirnforscher. Er war Direktor am Institut für Hirnforschung in Bremen. Das folgende Video vermittelt einen ersten Eindruck von Gerhard Roth und gibt eine kurze Einführung (3:28) in seine Erkenntnisse zur Veränderung der Persönlichkeit:
Für meine Leser habe ich die wesentlichen Aussagen von Roth zusammengefasst:
- Einiges von uns zurrt sich schon früh fest und ist wenig veränderbar, wie unser Temperament. Anderes ist ein Leben lang veränderbar.
- Neuropsychologen sagen mit 14, 15 ist man im Grundcharakter schon relativ fertig.
- Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass es schwer ist, Menschen zu ändern. Und zwar umso schwerer, je tiefer die Veränderungen in ihre Persönlichkeit gehen.
- Wann sich dann Menschen trotzdem verändern (..), dann geht es nur über Belohnung. Und da muss man rauskriegen, nach welchen Belohnungen sie lechzen.
- Man kann nicht sagen, jetzt ist Führung, Hierarchie, alles weg. Da wird man der Hälfte der Leute Unrecht tun.
Warum ist Veränderung so schwierig?
Persönlichkeitsmerkmale wie unser Temperament sind sehr schwer veränderbar, weil sie bereits in der Jugend fixiert werden. Worin mögliche Veränderung überhaupt bestehen kann, wird im Interview mit dem Neurowissenschaftler Roth im Rahmen von Sternstunde Philosophie klarer (59:53):
- Unsere Motorik nimmt sehr langsam ab, deshalb kann man auch im hohen alter von 70 noch was Neues manuell lernen.
- Man kann auch kognitiv, dass eine oder andere lernen, aber emotional ist es schon viel schwieriger und diese Prozesse der Ausbildung der Persönlichkeit nehmen sehr schnell ab.
- Ab 40 sagen wir mal 50 da müssen schon starke Ereignisse, emotional besonders negativer Art, auf mich einwirken damit meine Persönlichkeit sich noch halbwegs ändert.
- Das Eingehen neuer Beziehungen, welcher Art auch immer, ist das was uns am meisten emotionalisiert.
- Deshalb hat sich Bewusstsein entwickelt, weil es uns hilft komplexe, detailreiche, neue wichtige Informationen zu verarbeiten.
Warum ist Veränderung dennoch möglich?

Um die Gedanken von Gehirnforscher Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth zu vertiefen, habe ich mir sein Buch „Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern“ zu Gemüte geführt. Hier die aus meiner Sicht wichtigsten Aspekte, warum Veränderung dennoch möglich ist:
- Während unser bewusstes Erleben an Vorgänge in den assoziativen sensorischen, motorischen, kognitiven und limbischen Arealen gebunden ist, umfassen unbewusste Prozesse den weitaus größten Teil der Aktivitäten unseres Gehirns (siehe dazu Hypnosystemisch nach Schmidt).
- Die Hirnforschung geht davon aus, dass jegliche psychisch-geistige Veränderung einschließlich der Eigenschaften unserer Persönlichkeit und unseres Verhaltens (..) mit einer Veränderung unseres Gehirns verbunden ist (wir sind die Hardware!).
- Was auch immer das Gehirn lernt, es lernt dasjenige, was diese Bewertungsmechanismen für neu und wichtig halten, und zwar zur Aufrechterhaltung und Verstärkung des biologischen, psychischen und sozialen Wohlergehens (deshalb haben wir Bewusstsein).
- Eine neurologische fundierte Persönlichkeitstypologie umfasst neben einer ausgeglichenen Persönlichkeit zwei Haupttypen, den Stabilen und den Dynamiker. Von jedem dieser Haupttypen gibt es zwei dysfunktionale Abweichungstypen: der Karrierist, der Veränderungssüchtige, der Ängstliche und der Dogmatische (siehe dazu Limbic Map nach Häusel).
- Der Intelligenzquotient sagt besser als jeder andere Faktor den Bildungs- und Berufserfolg aus. Dies ist nicht überraschend, denn der IQ korreliert positiv mit (..) Motivation, Gewissenhaftigkeit und Zielstrebigkeit.
- Außenstehende können unser Unbewusstes nicht präzise ergründen, und am wenigsten können wir das selbst! Ein genaues Erkennen der unbewussten Motive (..) ist angewiesen auf Interpretation von Worten, Gestik, Mimik, Stimmlagen und Verhalten.
- Erleben wir etwas als sehr lustvoll oder schmerzhaft, dann bleibt dies viel hartnäckiger im Gedächtnis verankert und bestimmt unser zukünftiges Verhalten viel intensiver (..).
Veränderung durch Motivation
Ja, Veränderung ist möglich. Doch wie gelingt Veränderung bei meinem Gegenüber, insbesondere im Kontext Führung und Erziehung? Das Zauberwort lautet Motivation:
- Menschen streben danach, Ereignisse herbeizuführen, die positive (appetitive) Gefühlszustände anregen, und solche zu vermeiden, die zu negativen (aversiven) Gefühlszuständen führen.
- Motive sind unbewusste, Ziele bewusste Handlungsantriebe. (..) Zwischen Motiven und Zielen kann es zu Konflikten kommen, wie etwa der Sehnsucht nach Bindung und einem beruflichen Erfolgsstreben.
- Das bewusste Ich des Betroffenen stimmt allem zu (..). Das Unbewusste fragt unvermeidlich, wo denn der persönliche Gewinn steckt hinsichtlich der Grundmotive Geld, Macht, Anerkennung und Bindung/Anschluss.
- Ein Konsens zwischen unbewussten Motiven und bewussten Zielen ist also unverzichtbar für längerfristige Veränderungen und Selbstwirksamkeit.
- Was dem einen Freude bereitet, kann dem anderen zuwider sein. Wollen wir Menschen verändern, so müssen wir vor allem anderen ihre Ziele und Motive erkennen!
Fazit – Hirnforscher Gerhard Roth
Der Anspruch, die Persönlichkeit anderer Menschen verändern zu wollen, ist für mich nicht leistbar und nicht sinnvoll. Führungskräfte müssen zielbezogen Einfluss auf das Verhalten ihrer Mitarbeiter nehmen. Dazu benötigt es keine Persönlichkeitsveränderung. Einstellungen sind nicht zwangsweise an Verhalten gekoppelt.
Wer den wissenschaftlich fundierten Aussagen Roths Glauben schenkt, sollte bei seinem Veränderungsvorhaben nicht allzu viel auf Einsicht und angedrohte Konsequenzen setzen. Stattdessen rät Roth die unbewussten Motive (soweit möglich) und die bewussten Ziele des Mitarbeiters zu erkennen und die jeweils dazu passende Belohnung in Aussicht zu stellen.
Roths Formel für Veränderung auf den Punkt gebracht: Ein ausreichender Leidensdruck kombiniert mit passender Belohnungsaussicht, garniert mit ausreichend Geduld, führt zu erfolgreicher Veränderung.
Dr. Patrick Fritz
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