Mit der renommierten Expertin Dr. Barbara Heitger konnte ich zu Definition, Aufgaben und Vorgehen der Unternehmensentwicklung arbeiten. Anschließend habe ich sie zu einem Impulsvortrag für unsere Sparringspartner eingeladen. In diesem FRITZ Tipp gebe ich euch Kerngedanken aus Workshop und Vortrag weiter, die mich immer wieder beschäftigen.
Inhalt
Was ist Unternehmensentwicklung?
Jede Führungskraft ist gefordert im operativen Tagesgeschäft Entscheidungen zu Treffen. Nach Heitger sind dies Entscheidungen 1. Ordnung. Wenn es darum geht das Unternehmen weiterzuentwickeln, gilt es an Entscheidungsparametern 2. Ordnung zu schrauben.
Unternehmensentwicklung ist die integrierte Arbeit an den voneinander abhängenden Entscheidungsparametern 2. Ordnung: Strategie, Organisation, Verhalten der Mitarbeiter und Führung.
Quelle: Persönliche Mitschrift bei einem Workshop mit Dr. Barbara Heitger 2019.
Die Entscheidungsparameter 2. Ordnung können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Wer an der Schraube Organisation dreht, wird früher oder später ein Strategie- oder Verhaltensthema (=Kultur) auf den Tisch bekommen.
Liebe Führungskraft, wenn du die Organisationsstruktur veränderst, wollen wir auch wissen, wo es in Zukunft hingeht. Die Entscheidungsparameter 2. Ordnung sind also interdependent bzw. voneinander abhängend. Mehr dazu unter Systemische Unternehmensentwicklung.
Wie funktionierte Unternehmensentwicklung bisher?
Um an den Schrauben Strategie, Organisation, Verhalten der Mitarbeiter und Führung zu drehen, wurden über die Jahre unzählige Modelle und Instrumente entwickelt, um das Unternehmen von der Gegenwart in eine gewünschte Zukunft zu entwickeln. Das Unternehmen würde sich zwar so oder so entwickeln. Der Wunsch dem Ganzen eine gewollte Richtung zu geben, ist jedoch nachvollziehbar.
- Strategie: Standortbestimmung, Leitbild, Vision, Mission, Werte, strategische Initiativen.
- Organisation: Strukturen, Prozesse, Systeme, IT-Systeme, Organisationsdesign.
- Verhalten der Mitarbeiter: Personalentwicklung, Skills-Management.
- Führung: Führungskräfteentwicklung, Kommunikation.
Quelle: Persönliche Mitschrift bei einem Workshop mit Dr. Barbara Heitger 2019.
Was man auf den ersten Blick erkennt, bei den hard facts Strategie und Organisation sind die Stellschrauben viel klarer und bekannter. Die Aufgaben der Unternehmensentwicklung sind hier klar umrissen. Bei den soft facts Verhalten der Mitarbeiter und Führung wird es schwammig und die Aufgaben der Unternehmensentwicklung interpretationsbedürftig.
Was man auf den zweiten Blick erkennt man, Innovation wird fast immer mit Produktinnovation gleichgesetzt. Innovation braucht es jedoch genauso bei Strategie, Organisation, Personen und Führung. Vermutlich ist das sogar die Basis, der Rahmen, um Produktinnovation wahrscheinlicher zu machen. Der Zusammenhang zwischen Organisationsstruktur und Innovationsgrad ist am Beispiel Conways Law gut erforscht.
Wie verändert sich das Umfeld von Unternehmen?
Auch wenn ich Modeworten wie Industrie 4.0 sehr kritisch gegenüberstehe, lassen sich Megatrends wie Digitalisierung und Konnektivität nicht wegdiskutieren. Deloitte bringt die Auswirkungen für die einzelnen Branchen mit folgender Abbildung gut auf den Punkt:




Je nach Branche ist es nur eine Frage der Zeit bis die Auswirkungen der Megatrends Digitalisierung und Konnektivität mehr oder weniger spürbar werden. Der Einzelhandel kann ein Lied davon singen – Amazon. Medien – Netflix. Reisen – Airbnb. Banken – N26.
Das Geschäftsmodell vieler Unternehmen wird sich demzufolge nicht in kleinen, sondern in großen Schritten verändern. Falls es nicht bereits passiert ist, haben wir es mit einer disruptiven Unternehmensentwicklung zu tun.
Wie funktioniert Unternehmensentwicklung heute?
Während eine Strategie mit einem Zeithorizont von 5 Jahren eigentlich etwas ganz Normales war (=strategische Unternehmensentwicklung), kann man heute eher von einer Vision sprechen. 5 Jahre in die Zukunft zu planen scheint fast schon vermessen, anstatt von gewünschtem Weitblick geprägt.
Um mit diesen Veränderungen klarzukommen, muss sich auch die klassische Unternehmensentwicklung verändern. In diesem Fall lohnt sich ein Blick in den stetig wachsenden Werkzeugkasten der Agilität. Wie sieht das Vorgehen der Unternehmensentwicklung aus, wenn wir Sie mit der agilen Brille betrachten?
- Strategie: Business Modell Canvas, Effectuation, transient strategies, strategische Experimente, Design Thinking, EKS.
- Organisation: SCRUM, SAFE, Holacracy, KANBAN, Lean Startup.
- Verhalten der Mitarbeiter: Commitment, Selbstverantwortung.
- Führung: Führungskräfteentwicklung.
Quelle: Persönliche Mitschrift bei einem Workshop mit Dr. Barbara Heitger 2019.
Die genannten Instrumente sind auf ein Umfeld ausgelegt, das sich ständig verändert. Der Leitsatz bei SCRUM ist inspect and adapt. Effectuation rechnet mit dem leistbaren Verlust anstelle des erwarteten Ertrags. Der Business Modell Canvas liefert in wenig Zeit einen schnellen Überblick zum eigenen Geschäftsmodell und damit eine gemeinsame Landkarte. Lean Startup arbeitet nach dem Motto build-measure-lern.
Unternehmensentwicklung wird somit zur ständigen Aufgabe für Führungskräfte, in einem sich stark verändernden Umfeld. Was sich auch hier wieder zeigt. Für die Stellschrauben Strategie und Organisation gibt es unzählige agile Werkzeuge und Tools. Beim Verhalten der Mitarbeiter und der Führung sieht es nach wie vor dürftig aus.
Meine These dazu: Die meisten agilen Organisationsansätze setzen ein gewisses Menschenbild, einen gewissen Führungsstil und ein gewisses Mitarbeiterverhalten voraus. Leider wird dies nicht transparent gemacht. Lieber wundert man sich im Nachhinein, das die Implementierung nicht funktioniert.
Aufgaben der Unternehmensentwicklung?
Nach gut 10 Jahren Hochkonjunktur (2009-2019) in fast allen Unternehmen herrscht hoher operativer Druck. Dieser verleitet insbesondere Führungskräfte dazu, nur noch im hier und jetzt zu bleiben. Das operative Tagesgeschäfts so effizient wie möglich abzuarbeiten. Schließlich bringt es wenig in die Zukunft zu blicken. Heitger führt die Zitronenpresse als Symbolbild an und spricht vom exploit-Modus.
Wie kann ich mich als Unternehmensentwickler vor diesem Hintergrund fit für die Zukunft machen? Die Antwort ist einfach, aber auch schwer umzusetzen. Es braucht weniger exploit, dafür mehr explore. Damit sind Zeit-Räume zur Erkundung der Zukunft gemeint. Nur wer beide Modi unter einen Hut bringt, kann sich um die notwendige Innovation in allen Dimensionen der Unternehmensentwicklung kümmern (Ambidextrous Leadership).
Die Aufgaben der Unternehmensentwicklung, teilweise auch Aufgaben der Organisationsentwicklung genannt, sind damit klar umrissen: Integrierte Arbeit an den voneinander abhängenden Entscheidungsparametern 2. Ordnung: Strategie, Organisation, Verhalten der Mitarbeiter und Führung. Kombiniert mit der Idee des Inkrementalismus. Es braucht nicht die einmal festgelegte Strategie die für mindestens fünf Jahre gilt. Gefragt sind regelmäßige Zeit-Räume um in kleinen iterativen Schleifen am Unternehmen zu arbeiten, am System und nicht im System.
Systemische Unternehmensentwicklung
Die von Heitger definierten Entscheidungsparameter 2. Ordnung lassen sich auf den Soziologen Niklas Luhmann zurückführen. Luhmann führte drei entscheidbare Entscheidungsprämissen in die wissenschaftliche Diskussion ein. Ein sperriges Wort das sich mit Spielregeln übersetzen lässt. Entscheidungsprämissen bilden Festlegungen, die den alltäglichen operativen Entscheidungen einen Orientierungsrahmen geben.




Erstens Entscheidungsprogramme (=Strategie), mit ihnen wird entschieden, welches Handeln in Organisationen als richtig oder als falsch anzusehen ist, z.B. durch eine Strategie. Ähnlich einem Kochrezept, Handbuch oder Produktionsprogramm. Weiterführend kann zwischen Zweckprogrammen und Konditionalprogrammen unterschieden werden, das würde aber zu weiter führen.
Zweitens Kommunikationswege (=Organisation), hier wird entschieden, wie die Kommunikation in der Organisation kanalisiert wird, z.B. in Form eines Organigramms. Anders als in einer Familie, muss in einer Organisation eben nicht jeder mit jedem reden. In diesem Sinne ist Hierarchie ein möglicher Mechanismus der Organisation, um Entscheidungsfähigkeit sicherzustellen.
Drittes Personal (=Verhalten), hier wird entschieden wer in der Organisation Entscheidungen treffen kann, z.B. durch Personalentscheidungen oder Personalentwicklung. Durch einen neuen Chef können sich Entscheidungsmuster von jetzt auf gleich verändern oder er gleicht sich dem vorhandenen Muster an. Systemiker können und wollen den Einfluss von Personen aufs System doch nicht in Abrede stellen.
Mischpult des Managements
Der besondere Dreh den die Systemtheorie dem Konzept Unternehmensentwicklung verleiht, ist für mich die Erkenntnis, Entscheidungsprämissen oder Spielregeln können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Muster liefert dazu ein schönes Bild, das sie Mischpult des Managements nennt.
Dabei entsprechen die Entscheidungsparameter jeweils einem Regler auf einem imaginären Mischpult. Führung kann man sich als Endverstärker vorstellen, der alle aus dem Mischpult ausgehenden Signale aufs gleiche Level bringt.
Das Bild rund um das Mischpult des Managements und die damit verbundenen Zusammenhänge zwischen den Entscheidungsprämissen nach Luhmann sind nicht beweisbar. Dennoch eine schöne Metapher für integrierte oder systemische Unternehmensentwicklung.
Strategische Unternehmensentwicklung?
Für Luhmann besteht das Wesen einer Organisation aus Entscheidungen. Entscheidungsprämissen, bilden Festlegungen, die den alltäglichen operativen Entscheidungen einer Organisation einen Orientierungsrahmen geben. Man könnte auch von Meta-Entscheidungen oder Spielregeln einer Organisation sprechen, aus denen sich das Verhalten der Akteure erklärt.
Wenn wir nun an Entscheidungsprogrammen bzw. Strategien arbeiten, spricht man gerne von strategiescher Unternehmensentwicklung. Der Begriff Strategieentwicklung ist naheliegend. Wenn sich Unternehmensentwicklung mit Strategie befasst, kümmert sie sich aber nur um eine Entscheidungsprämisse von mehreren.




Wenn die neue Strategie erst einmal festgezurrt ist, wird der Ruf nach einer neuen Organisationsstruktur unmittelbar folgen. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, müssen wir uns neu aufstellen. Diese Forderung wird natürlich auch das Personal umfassen, das entweder entwickelt werden kann oder wegentwickelt wird. Der Blick auf die eigenen Führungskompetenzen darf nicht fehlen.
D.h. die Aufgabe der strategischen Unternehmensentwicklung ist die Arbeit an der Stellschraube Strategie oder anderen Entscheidungsprogramm. Unternehmensentwicklung ist hingegen der breitere Begriff und umfasst weitere Parameter wie Organisation, Personal und Führung. Last but not least, auch Strategie wird kurzfristiger werden und in inkrementellen Schleifen überarbeitet werden müssen.
Agile Unternehmensentwicklung?
Die Übertragung agiler Methoden bzw. das zugrundeliegenden Denken in Inkrementen auf Unternehmensentwicklung strahlt besonderen Charme aus. Unternehmensentwicklung und Agilität müssen keine Gegensätze sein, sondern können sich ergänzen. Also agile Unternehmensentwicklung.
Insbesondere durch die Verkettung von Design Thinking und SCRUM sehe ich großes Potential, um Veränderungsprozesse von Unternehmen zu beschleunigen. Heitger spricht in diesem Zusammenhang von Fahren auf Sicht:
Durch die Anwendung von Design Thinking, wird zunächst ein Bild des idealen Unternehmens in der Zukunft entwickelt. Man könnte auch von einer Unternehmensvision aus Sicht des Kunden sprechen. Diese Unternehmensvision wird anschließend per SCRUM Schritt für Schritt umgesetzt.




Organisationsentwicklung als Alternative?
In die identifizierte Lücke „Verhalten der Mitarbeiter“ ist das Konzept Organisationsentwicklung getreten. Worin unterscheidet sich Unternehmensentwicklung von Organisationsentwicklung?
Nach Häfele ist Organisationsentwicklung ein Veränderungsprozess einer Organisation und der darin tätigen Menschen, der sich an bestimmten Werten und Prinzipien orientiert.
Organisationsentwicklung beschreibt eine wertorientierte Haltung für die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen (siehe dazu Entwicklungsphasen einer Organisation).
Demnach ist Organisationsentwicklung eine mögliche Variante wie Unternehmensentwicklung geschehen kann. Organisationsentwicklung setzt auf Veränderung von Innen mit dem Ziel die Betroffenen bestmöglich zu integrieren.Heitger spricht in diesem Zusammenhang von einer normativen Organisationsentwicklung, weil der Ansatz durch ein Menschenbild geprägt wird. Das ist weder gut noch schlecht, allerdings entzieht sich das Konzept auf diese Weise eines empirischen Nachweises seiner Wirksamkeit.
Fazit
Unternehmensentwicklung funktioniert zum einen durch integrierte Arbeit an Strategie, Organisation und Verhalten. Zum anderen durch gezielte Investitionen in die Führung, um im explore-Modus neue Möglichkeiten zu entdecken und Innovation umzusetzen. Agile Methoden können dabei eine wertvolle Unterstützung liefern.
Dr. Patrick Fritz
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