Kürzlich hatte ich die Gelegenheit mit Dr. Barbara Heitger über Definition, Aufgaben und Vorgehen der Unternehmensentwicklung zu arbeiten. In diesem Beitrag möchte ich euch einige Kerngedanken aus dem Workshop weitergeben, die mich nach wie vor sehr beschäftigen.
Inhalt
Was ist Unternehmensentwicklung?
Jede Führungskraft ist gefordert im operativen Tagesgeschäft Entscheidungen zu Treffen. Nach Heitger sind dies Entscheidungsparameter 1. Ordnung. Wenn es darum geht das Unternehmen weiter zu entwickeln, gilt es an den Entscheidungsparametern 2. Ordnung zu schrauben. Strategie, Organisation, Verhalten der Mitarbeiter und Führung sind diejenigen Größen, die die Unternehmensentwicklung maßgeblich beeinflussen. Man könnte auch von Aufgaben der Unternehmensentwicklung sprechen.
Die genannten Entscheidungsparameter können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Wer an der Schraube „Organisation“ dreht, wird früher oder später ein Strategie- und/oder Verhaltensthema auf den Tisch bekommen. Liebe Führungskraft, wenn du die Organisation veränderst, wollen wir auch wissen, wo es in Zukunft hingeht. Die Entscheidungsparameter 2. Ordnung sind also interdependent bzw. voneinander abhängend.
Wie funktionierte Unternehmensentwicklung bisher?
Um an den genannten Schrauben Strategie, Organisation, Verhalten der Mitarbeiter und Führung zu drehen, wurden über die Jahre unzählige Instrumente entwickelt, um das Unternehmen vom hier und heute in eine gewünschte Zukunft zu entwickeln. Das Unternehmen würde sich zwar so oder so entwickeln. Der Wunsch dem Ganzen eine gewollte Richtung zu geben, ist zumindest sehr verständlich.
- Strategie: Standortbestimmung, Leitbild, Vision, Mission, Werte, strategische Initiativen, usw.
- Organisation: Strukturen, Prozesse, Systeme, IT-Systeme, Organisationsdesign, usw.
- Verhalten der Mitarbeiter: Personalentwicklung, Skill-Management, usw.
- Führung: Führungskräfteentwicklung, Kommunikation, usw.
Was man auf den ersten Blick erkennt, bei den hard facts Strategie und Organisation sind die Stellschrauben viel klarer und bekannter. Bei den soft facts Verhalten der Mitarbeiter und Führung wird es auf einmal sehr schwammig.
Was man auf den zweiten Blick erkennen kann, Innovation wird fast immer mit Produktinnovation gleichgesetzt. Innovation braucht es jedoch genauso bei Strategie, Organisation, Personen und Führung. Vermutlich ist das sogar die Basis für Produktinnovation.
Wie verändert sich das Umfeld von Unternehmen?
Auch wenn ich Modeworte wie „Industrie 4.0“ sehr kritisch gegenüberstehe, lässt sich der Megatrend Digitalisierung bzw. Konnektivität nicht wegdiskutieren. Deloitte bringt die Auswirkungen für die einzelnen Branchen mit folgender Abbildung sehr gut auf den Punkt:




Je nach Branche ist es halt nur eine Frage der Zeit bis die Auswirkungen des Megatrends Digitalisierung bzw. Konnektivität mehr oder weniger spürbar werden. Der Einzelhandel kann ein Lied davon singen – Amazon. Medien – Netflix. Reisen – Airbnb. Banken – N26. Das Geschäftsmodell vieler Unternehmen wird sich demzufolge nicht in kleinen, sondern in großen Schritten verändern. Falls es nicht bereits passiert ist.
Wie funktioniert Unternehmensentwicklung heute?
Während eine Strategie mit einem Zeithorizont von 5 Jahren eigentlich etwas ganz Normales war, könnten man heute eher von einer Vision sprechen. 5 Jahre in die Zukunft zu planen scheint fast schon vermessen, anstatt von gewünschtem Weitblick geprägt. Um mit diesen Veränderungen klar zu kommen, muss sich aber auch die klassische Unternehmensentwicklung verändern. In diesem Fall lohnt sich ein Blick in den stetig wachsenden Werkzeugkasten der Agilität. Wie sieht Unternehmensentwicklung aus, wenn wir Sie mit der agilen Brille betrachten?
- Strategie: Business Modell Canvas, Effectuation, transient strategies, strategische Experimente, Design Thinking, EKS, usw.
- Organisation: SCRUM, SAFE, Holacracy, KANBAN, Lean Startup, usw.
- Verhalten der Mitarbeiter: Commitment, Selbstverantwortung, usw.
- Führung: Führungskräfteentwicklung, usw.
Die genannten Instrumente sind auf ein Umfeld ausgelegt, das sich ständig verändert. Der Leitsatz bei SCRUM ist inspect and adapt. Effectuation rechnet mit dem leistbaren Verlust anstelle des erwarteten Ertrags. Der Business Modell Canvas liefert in wenig Zeit einen schnellen Überblick zum eigenen Geschäftsmodell und damit eine gemeinsame Landkarte. Lean Startup arbeitet nach dem Motto build-measure-lern. Unternehmensentwicklung wird somit zur ständigen Aufgabe für Führungskräfte, in einem sich stark verändernden Umfeld.
Was sich auch hier wieder zeigt. Für die Stellschrauben Strategie und Organisation gibt es unzählige agile Werkzeuge und Tools. Beim Verhalten der Mitarbeiter und der Führung sieht es nach wie vor dürftig aus. Meine These dazu: Die meisten agilen Organisationsansätze setzen ein gewisses Menschenbild, einen gewissen Führungsstil und ein gewisses Mitarbeiterverhalten voraus. Leider wird dies nicht transparent gemacht. Lieber wundert man sich im Nachhinein, das die Implementierung nicht funktioniert hat.
Aufgaben der Führung
Nach gut 10 Jahren Hochkonjunktur in fast allen Unternehmen herrscht hoher operativer Druck. Dieser verleitet insbesondere Führungskräfte dazu, nur noch im hier und jetzt zu bleiben. Das operative Tagesgeschäfts so effizient wie möglich abzuarbeiten. Schließlich bringt es wenig in die Zukunft zu blicken. Heitger führt die Zitronenpresse als Symbolbild an und spricht vom exploit-Modus.
Wie kann ich mich als Führungskraft vor diesem Hintergrund fit für die Zukunft machen? Die Antwort ist einfach, aber auch schwer umzusetzen. Es braucht weniger „exploit“, dafür mehr „explore“. Damit sind Zeit-Räume zur Erkundung der Zukunft gemeint. Nur wer beide Modi unter einen Hut bringt, kann sich um die notwendige Innovation in allen Dimensionen der Unternehmensentwicklung kümmern (Ambidextrous Leadership).
Exkurs: Unternehmensentwicklung vs Organisationsentwicklung
Worin unterscheidet sich Unternehmensentwicklung von Organisationsentwicklung? Nach Häfele ist Organisationsentwicklung definiert als:
(..) ein Veränderungsprozess einer Organisation und der darin tätigen Menschen, der sich an bestimmten Werten und Prinzipien orientiert.
In diesem Sinne beschreibt Organisationsentwicklung eine wertorientierte Haltung für die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen (zum Video Entwicklungsphasen einer Organisation). Organisationsentwicklung ist also eine mögliche Variante wie Unternehmensentwicklung geschehen kann. Organisationsentwicklung setzt dabei auf Veränderung von Innen mit dem Ziel die Betroffenen bestmöglich zu integrieren.
Heitger spricht in diesem Zusammenhang von einer normativen Organisationsentwicklung, weil der Ansatz durch ein Menschenbild geprägt wird. Das ist weder gut noch schlecht, allerdings entzieht sich das Konzept auf diese Weise eines empirischen Nachweises seiner Wirksamkeit. Dies wird beim Betrachten der sieben idealtypischen Phasen eines Organisationsentwicklungs-Prozesses besonders deutlich:
- Orientierungsphase: Nach Erstgespräch(en) geht es darum, eventuell im Rahmen einer Orientierungsveranstaltung für das Management, klare Vereinbarungen zur Ausgangssituation, Zielen und Vorgehensweise zu treffen. Wenn die Rahmenbedingungen geklärt sind und das Commitment des Managements eingeholt ist, wird der OE-Prozesses „öffentlich“ gemacht.
- Situationsklärung und Zukunftsmodellierung: Gemeinsames Verständnis der IST-Situation entwickeln (Selbstdiagnose) und Zukunftsbilder erarbeiten. Auf dieser Basis können erste Veränderungsziele formuliert werden.
- Zielfindung: Daraus abgeleitet werden Veränderungsziele durch das Management konkretisiert, priorisiert und ausgewählt. Die Steuerungsstruktur zur Bearbeitung der ausgewählten Veränderungsziele wird abgeklärt.
- Installieren der Steuerungsstruktur: Ein interner Projektleiter oder eine interne Entwicklungsgruppe wird installiert, um die Projekte im Rahmen des OE-Prozesses aufzusetzen und zu koordinieren.
- Informieren des Gesamtsystems: Möglichst viele Mitglieder der Organisation über laufende Projekte und das weiter Vorgehen im Prozesse informieren und Feedback einholen (Sounding-Board).
- Bearbeiten der ausgewählten Ziele in Teilprojekten: Manche Veränderungsziele können direkt in der Linie abgearbeitet werden, manche brauchen eine gesonderte Projektorganisation.
- Absichern des OE-Prozesses: (Zwischen-)Kontrolle und Reflexion des Gesamtprozesses. Vereinbarung weiterer Maßnahmen, damit der Prozess am Leben bleibt (z.B. jährliche Klausur).
Exkurs: Unternehmensentwicklung vs Agilität
Die Übertragung agiler Methoden auf Unternehmensentwicklung strahlt einen besonderen Charme aus. Unternehmensentwicklung und Agilität müssen also keine Gegensätze sein, sondern können sich gut ergänzen. Insbesondere durch die Verkettung von Design Thinking und SCRUM sehe ich großes Potential, um zielgerichtete Veränderungsprozesse von Unternehmen zu beschleunigen.
Durch die Anwendung von Design Thinking, soll zunächst ein Bild des idealen Unternehmens in der Zukunft entstehen. Man könnte auch von einer Unternehmensvision aus Sicht des Kunden sprechen. Diese Unternehmensvision wird anschließend per SCRUM Schritt für Schritt umgesetzt. Hier der Veränderungsprozess basierend auf Design Thinking um SCRUM, um ein Unternehmen vom IST zum SOLL zu entwickeln:
- Problemdefinition: Um einen klaren Rahmen für agile Organisationsentwicklung zu schaffen, ist die Formulierung einer passenden Design Challenge notwendig.
- Need Finding: Um unsere Kunden besser zu verstehen, werden nun u.a. qualitative Interviews mit Kunden durchgeführt, und zwar mit Fokus auf User (Nutzer), Needs (Bedürfnisse) und Insights (Erkenntnisse). Durch die intensive Beschäftigung mit den Bedürfnissen des Kunden verlagert sich der Fokus von innen nach außen.
- Synthese: Um die gewonnenen Erkenntnisse auf den Punkt zu bringen, werden nun „How might we-Questions“ formuliert. Man könnte dabei auch von einer Metapher zu den gewonnenen Erkenntnissen oder von Problemhypothesen sprechen.
- Ideation: Mithilfe unterschiedlicher Kreativitätstechniken werden nun Ideen (=Lösungshypothesen) zur Beantwortung der priorisierten HMW-Questions (=Problemhypothesen) gesucht. Jede gefundene Idee könnte ein kleiner Schritt auf dem Weg zum idealen Unternehmen aus Sicht des Kunden darstellen.
- Prototyping: Um die vielversprechendsten Ideen direkt ausprobieren zu können werden Prototypen gebaut. Im Falle einer Unternehmensvision bietet sich z.B. der Business Model Canvas sehr gut an.
- Testing: Bevor Prototypen zu finalen Produkten, Dienstleistungen oder gar Unternehmen entwickelt werden, gilt es diese mit dem Kunden gemeinsam zu testen. Was nichts anderes heißt, wie sich Feedback zum aktuellen Stand der Dinge einzuholen.
- Umsetzung per SCRUM: Wenn sich aufgrund des Kundenfeedbacks die „beste“ Unternehmensvision herauskristallisiert hat, gilt es diese effizient umzusetzen. Hierzu bietet sich SCRUM an.
Exkurs: Unternehmensentwicklung vs Systemtheorie
Die von Heitger definierten Entscheidungsparameter 2. Ordnung lassen sich vermutlich auf den Soziologen Niklas Luhmann zurückführen. Luhmann führte drei Entscheidungsprämissen in die wissenschaftliche Diskussion ein. Erstens Entscheidungsprogramme (=Strategie), mit ihnen wird festgelegt, welches Handeln in Organisationen als richtig oder als falsch anzusehen ist. Zweitens Kommunikationswege (=Organisation), hier wird festgelegt wie in der Organisation kommunizieren wird. Drittes Personal (=Verhalten), hier wird festgelegt welche Personen welche Stellen besetzen können.
Wie bereits erwähnt, können die Entscheidungsparameter nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Muster liefert das ein sehr schönes Bild, das sie Mischpult des Managements nennt. Dabei entsprechen die Entscheidungsparameter jeweils einem Regler auf einem imaginären Mischpult. Führung kann man sich als Endverstärker vorstellen, der alle aus dem Mischpult ausgehenden Signale aufs gleiche Level bringt.
Wenn die Regler höher eingestellt sind, kann der Endverstärker Führung nur noch gering auf Signale einwirken. Wenn die Regler niedriger eingestellt sind, muss der Endverstärker Führung umso stärker eingreifen, um die Zielkonflikte auf operativer Ebene zu verhandeln und entscheiden. Das Bild und die damit verbundenen Zusammenhänge ist nicht beweisbar. Dennoch eine schöne Metapher.
Fazit
Unternehmensentwicklung funktioniert zum einen durch integrierte Arbeit an Strategie, Organisation und Personen. Zum anderen durch gezielte Investitionen in die Führung, um im explore-Modus neue Möglichkeiten zu entdecken und Innovation umzusetzen. Agile Methoden können dabei eine wertvolle Unterstützung liefern.
Dr. Patrick Fritz
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