Die Tetralemma Methode ist für mich ein Denkwerkzeug zur besseren Entscheidungsfindung. Die Gedanken dahinter gehen auf den buddhistische Philosoph Nagarjunabis bis ins 2. Jahrhundert zurück. Sparrer und Varga von Kibéd haben das Modell für Coaching, Beratung und Therapie adaptiert. In diesem FRITZ Tipp erkläre ich das Tetralemma an konkreten Beispielen.
Was ist das Tetralemma?
Häufig sind wir in unserer Sichtweise auf Entscheidungen sehr begrenzt. Entweder meinen wir uns für Schwarz oder Weiß entscheiden zu müssen. Das Tetralemma zeigt weitere Möglichkeiten auf, um den Entscheidungs- und Handlungsraum systematisch zu erweitern:

In der Ausbildung am SySt wurden mir die zusätzlichen Entscheidungsoptionen an einem schönen Beispiel zum Schmunzeln illustriert. Eine Frau hat Angebote von zwei Männern A und B mit ihnen eine Beziehung zu führen. Nun hat die Frau – der Logik des Tetralemma folgend – fünf verschiedene Möglichkeiten sich zu entscheiden:
- Das Eine: Sie entscheidet sich für Mann A.
- Das Andere: Sie entscheidet sich für Mann B.
- Beides: Sie entscheidet sich für Mann A und Mann B.
- Keines: Sie entscheidet sich weder für Mann A oder Mann B. Vielleicht Mann C.
- Ganz was anderes: Sie verzichtet auf eine Beziehung. Entscheidet sich für eine Frau. Geht auf Reisen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Bei diesem Tetralemma Beispiel zeigt sich sehr schön, wie der Entscheidungs- und Handlungsraum beim Vorliegen eines Dilemmas oder einer Zwickmühle erweitert werden kann. Mann A oder Mann B sind nur die ersten beiden Positionen des Tetralemma, es gibt drei weitere Möglichkeiten.
Ein aufmerksamer Leser hat mich gefragt, warum es fünf Entscheidungsoptionen gibt, wenn Tetra auf vier Wahlmöglichkeiten hindeutet. Nagarjuna fügte die fünfte Option hinzu, welche eine Art doppelte Verneinung enthält im Sinne einer Nichtposition.
Die Tetralemma Methode in der Aufstellung
Varga von Kibéd und Sparrer haben das Tetralemma für ihre Arbeit mit der systemischen Strukturaufstellung adaptiert. Genauer gesagt handelt es sich um ein spezielles Format der systemische Strukturaufstellung, die Tetralemma Aufstellung. Ausgangssituation ist dabei ein Dilemma oder Zwickmühle. Also eine Situation die vermeintlich nur zwei Entscheidungsoptionen bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen. Mehr dazu im folgenden Video (8:49):
Um diesem Dilemma A (1=Das Eine) oder B (2=Das Andere) zu entgehen wird die Position Beides (3) eingenommen, z.B. ein Kompromiss oder eine kreative Verknüpfung beider Möglichkeiten. Sollte es hier keine zufriedenstellende Problemlösung geben, wird die Position Keines von Beidem (4) eingenommen und nach Alternativen außerhalb des bisherigen Problemkontextes gesucht. Die letzte Position, All dies nicht und selbst das nicht (5), führt genaugenommen zur ersten Position zurück.

Tetralemma am Beispiel agiles oder klassisches Projektmanagement
Ich verwende das Tetralemma sehr gerne bei der Frage agiles Projektmanagement oder klassisches Projektmanagement. Auch in diesem Fall ist die Ausgangsposition ein Dilemma oder Zwickmühle. Eine beinahe religiös geführte Diskussion. Entweder klassisch (1=Das Eine) oder agil (2=Das Andere).
Je länger ich mich mit agilen und klassischen Projektmanagement-Methoden beschäftige, desto klarer wird mir, dass es in der jeweils anderen Welt eine Entsprechung gibt. In der klassischen Welt wird von Projektstrukturplan und Arbeitspaketen gesprochen. In der agilen Welt wird von Product oder Sprint Backlog und User Stories gesprochen.
Wenn man nun in beiden Ansätzen, klassisch und agil, wirklich durch ist, muss man sich nicht mehr für die eine oder andere Seite entscheiden (3=Beides). Das heißt, in einem Projekt kann ein Projektstrukturplan mit Arbeitspaketen sinnvoll sein. Die Aufwandsschätzung geschieht jedoch per Magic Estimation.
Zu Beginn eines Projektes gibt es alle zwei oder vier Wochen ein Statusmeeting. In der heißen Projektphase steigen wir auf ein Daily SCRUM Meeting mit vorgegebenen Fragen um. Wir führen ein klassisches Projekt durch, schließen jedoch mit einer Retro anstelle eines Projektabschlussberichts.
Darüber hinaus gibt es eine Krankheit, die sich Projektitis nennt. Dabei wird aus jeder Aufgabe ein Projekt gemacht. Aufgaben die nicht projektwürdig sind. In diesem Fall ist kein Vorgehensmodell das Richtige (4). Also weder klassisch noch agil. Bei Marc Engelhardt bin ich auf eine Adaptierung der Stacey Matrix gestoßen, die den Sachverhalt wunderbar illustriert (Anarchy):

Je nach Reifegrad bei Requirements und Technologie kann man sich die Methode raus picken die gerade passend und nützlich ist. Voraussetzung ist aber auch, dass man in beiden Welten wirklich durch ist. Das ist kein Vorgehensmodell für Anfänger.
Fazit
Das Tetralemma zeigt, es gibt mehr Entscheidungsoptionen als Schwarz oder Weiß, Mann A oder B, klassisch oder agil. Nämlich: Das Eine. Das Andere. Beides. Keines. Ganz was anderes. Wer diese Art zu denken als nützlich empfindet, wird auch beim Wertequadrat fündig werden.
Dr. Patrick Fritz
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