Systemprinzipien sind Wegweiser in sozialen Systemen von Iván Böszörményi-Nagy, dem Begründer der kontextuellen Therapie. Matthias Varga von Kibéd nutzt diese Systemprinzipien in seiner Arbeit mit systemischen Strukturaufstellungen. Dabei handelt es sich nicht um Vorschriften, sondern um heilsame Empfehlungen für soziale Systeme.
„Es menschelt halt“, „klar ist, dass nichts klar ist“ und „komplexe Probleme lassen sich halt nicht planen“. Das mag alles richtig sein aber eben auch nicht sehr hilfreich. Varga von Kibéd schlägt vor, die folgenden fünf Prinzipien bei der Arbeit mit sozialen Systemen zu beachten.
Inhalt
Das Prinzip der Nichtleugnung
Wenn etwas Neues Erfolg haben soll (z.B. Projekt, Team, Abteilung), braucht es Anerkennung der IST-Situation aller Beteiligten. Sonst zeigen sich vielleicht unerwartete Widerstände an anderen Stellen. Die Flucht in die Zukunft ohne Anerkennung der Gegenwart ist also eine risikoreiche Angelegenheit und fördert Widerstände in Veränderungsprozessen gerade zu heraus.
Ein Beispiel dafür sind zahlreiche Maschinenbauunternehmen. Immer mehr Funktionalität wird in der Software abgebildet und nicht mehr in der Mechanik. Bis hin zu Geschäftsmodellen in denen nur noch Software verkauft wird. Wer in diesem Umbruch leugnet, dass der Erfolg der letzten Jahrzehnte der Mechanik zuzuschreiben ist, darf sich über Widerstand nicht wundern.
Das Recht auf Zugehörigkeit
Wenn die Zugehörigkeit von Mitarbeitern, Teams und Projekten nicht klar geregelt ist, entstehen Verwirrung und Unklarheit im System. Das erlebe ich häufig in Matrix-Organisationen. Daraus resultiert ein Mangel an Verbindlichkeit. Schließlich bin ich der Diener vieler Herren und kann das alte Mama-Papa-Spiel spielen.
Bei schwierigen Mitarbeitergesprächen ist das verweigern des Rechts auf Zugehörigkeit wohl die schlimmste Drohung oder Konsequenz, sprich die Kündigung. In Summe führt nicht klar geregelte Zugehörigkeit zu eingeschränkter Produktivität.
Die Anerkennung der zeitlichen Reihenfolge
Für auf Wachstum ausgelegte soziale Systeme gilt, dass Frühere vor Späteren Vorrang haben. Ältere Systemteile haben Anrecht auf Ausgleich, weil Sie Platz machen mussten für neuere Systemteile. Der Ausgleich kann dadurch erreicht werden, dass die Älteren symbolisch die Ersten bleiben. Die Entsorgung der Älteren durch die Hintertür ist also für das soziale System nicht ratsam.
Heikel kann es werden, wenn ein jüngerer Mitarbeiter von einer älteren Führungskraft die Teamleitung übernimmt. Oder wenn eine lang gediente Führungskraft ins zweite Glied zurück rückt. Für mich eine wunderbare Lösung, um Mitarbeiter langfristig zu beschäftigen, aber nicht immer einfach zu lösen. Unter Beachtung der Anerkennung von zeitlicher Reihenfolge kann es besser funktionieren.
Die Anerkennung des höheren Einsatzes für das Ganze
Wer einen hohen Einsatz für ein soziales System bringt, sollte dafür gewürdigt werden. Wenn man still hinnimmt, dass es Mehr- oder Minderleister gibt, führt dies zur Unzufriedenheit. Deshalb sollte der höhere Einsatz eines Systemteils entsprechend honoriert und kenntlich gemacht werden. Dabei geht es wieder um Anerkennung.
Häufig wird unter dem Deckmantel Team Gleichmacherei betrieben. Wir sind doch ein Team, jeder leistet seinen Beitrag. Das ist nur auf den ersten Blick hilfreich und rächt sich spätestens beim nächsten Konfliktfall. Die Anerkennung von besonderen Einzelleistungen spricht absolut nicht gegen den Teamgedanken, sondern sorgt für eine ausgewogene Teamkultur.
Der Vorrang von höheren Leistungen und Fähigkeiten
Ein Unternehmen, das sich weiterentwickelt, sollte sich um die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter kümmern. In aufgabenorientierten Systemen wie einem Unternehmen ist es nun wichtig, die höheren Fähigkeiten einzelner Mitarbeiter gezielt hervorzuheben und entsprechend zu fördern.
Höhere Fähigkeiten können und sollen zu neuen Aufgaben führen. Sprich die Weiterentwicklung innerhalb der Organisation muss gesichert werden. Das kann vielleicht eine Belohnung in Form einer Weiterbildung sein oder eine Beförderung im Sinne einer Weiterentwicklung.
Nutzen der Systemprinzipien
Im Rahmen des Führungskreis für High Potentials ist mir aufgefallen, dass die Beachtung der Systemprinzipien auf die Bedürfnisse von Menschen einzahlen. Diese Grundbedürfnisse sind mittels zweier Akronyme gut einprägbar:
- SCARF = Status, Certainty, Autonomy, Relatedness, Fairness.
- RAMP = Relatedness, Autonomy, Mastery, Purpose.
Die Anerkennung höherer Leistung und Fähigkeiten zahlen auf Status und Autonomie ein. Das Recht auf Zugehörigkeit zahlt auf Verbundenheit und Sicherheit ein. Nichtleugnung und die Anerkennung der zeitlichen Reihenfolge zahlen auf Fairness ein.
Jeder Mensch ist von Haus aus motiviert, seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Eine Verletzung der Systemprinzipien kann demnach als Demotivation begriffen werden, die Angst, Stress, Unsicherheit, kurzum massiven Widerstand auslöst.
Fazit – Systemprinzipien
Die beschriebenen Systemprinzipien sind zwar keine Gesetzte aber gute Wegweiser für die Arbeit mit sozialen Systemen: Erkenne die IST-Situation an. Regele die Zugehörigkeiten klar. Das Ältere hat Vorrang vor dem Jüngeren. Höherer Einsatz muss honoriert werden. Die Weiterentwicklung muss gewährleistet sein. Damit zahlst du direkt auf die Bedürfnisse von Menschen in deinem Umfeld ein!
Dr. Patrick Fritz
Kommentar verfassen