Schon öfters wurde der Themenwunsch „Systemisches Coaching für Führungskräfte“ oder „Die Führungskraft als Coach“ in Führungskreisen an mich herangetragen. Inzwischen weigere ich mich, das Thema in dieser Form anzubieten, weil ich es für ein großes Missverständnis halte. Doch zunächst zurück an den Start, um meine Weigerung zu begründen.
Inhalt
Was ist Coaching?
Der Begriff „Coach“ boomt und wird inflationär gebraucht. Jeder und alles scheint Coach zu sein oder sich dazu ausbilden lassen zu wollen. Nicht umsonst spuckt Google mit Stand 01. Mai 2020 auf den ersten Drücker 1,46 Mrd. Suchergebnisse aus. Die Suchergebnisse haben sich in den letzten drei Jahren sogar verdoppelt. Liegt es daran, dass der Begriff Coach rechtlich nicht geschützt ist?
Dem Schweizer Branchenverband BSO zufolge hat Coaching seine Wurzeln im Sport und zielt auf das Verhalten von Einzelpersonen ab: „Mit Coaching bezeichnen wir Ansätze, die die Berufsrolle, die Funktion, Leistung und (Problem)-lösung im System in den Vordergrund stellen und sich an exponierte Personen und Entscheidungsträger/-innen wenden.“
Altmeister Wolfgang Looss fasst sich kürzer: „Coaching ist – verkürzt formuliert – personenbezogene Einzelberatung von Menschen in der Arbeitswelt.“
Marietheres Mimberg rät zudem davon ab den Coach als Hebamme misszuverstehen. In Training aktuell bringt sie es auf den Punkt: „Nicht alle Antworten liegen im Klienten. Manchmal gibt es keine Lösungen. Manchmal braucht es einen Fachmann, deutliche Stellungnahme und Meinung!“
Was ist systemisches Coaching?
Das Coaching-Konzept wird seit Mitte der 1980er-Jahre diskutiert und immer wieder versuchen Anbieter ihre Spielart von Coaching exklusiv für sich zu vermarkten. So ist es auch mit dem Begriff „systemisches Coaching“. Ferrari folgend ist systemisch nicht einmal definierbar, sondern nur die Steigerungsform systemischer. Systemischer bedeutet immer mehr darauf zu achten, was betrachtet wird, welche Zusammenhänge gebildet werden und in welchem Kontext.
Systemisches Coaching bedeutet – verkürzt formuliert – personenbezogene Einzelberatung von Menschen in der Arbeitswelt, mit besonderem Fokus auf den Kontext des Coachee. Systemisches Coaching schaut nicht nur auf den Einzelnen, sondern versucht das ganze System und seine Wechselwirkungen im Blick zu behalten. Dies gelingt insbesondere durch eine besondere Art von Fragen, genannt systemische Fragen.
Was sind systemische Fragen?
Systemische Fragen zielen darauf ab, den Gesprächspartner unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu lassen und mögliche Lösungswege selbst zu erkennen:
- Wer ist in welcher Rolle beteiligt (Chef, Kollegen, Mitarbeiter)?
- Wenn ich X befragen würde, wie würde er die Situation beschreiben?
- Welche Faktoren spielen bei der Problemstellung eine besondere Rolle?
- Was müsstest du tun, um das Problem zu verschlimmern?
- Was würdest du tun, wenn du ganz allein eine Entscheidung herbeiführen könntest?
- Was hast du als Fallgeber bisher zum Problem beigetragen?
Gibt es eine klare Antwort auf die Frage oder das Problem des Coachee braucht es einen Experten, um einen Ratschlag zu erteilen. Gibt es keinen Experten oder gibt das Problem keine eindeutige Antwort her (siehe FRITZ Tipp CYNEFIN Framework), muss zuerst neuer Rat geschafften werden. Hierzu dient systemisches Coaching bzw. systemische Fragen als Mittel zum Zweck. Mehr dazu im FRITZ Tipp „Systemische Fragen als Führungsinstrument“.
Was ist eine Führungskraft?
Nach Lutz von Rosenstiel wird die Frage was ist Führung wie folgt beantwortet:
Führung ist die unmittelbare, absichtliche und zielbezogene Einflussnahme durch InhaberInnen von Vorgesetztenpositionen auf Unterstellte mit Hilfe der Kommunikationsmittel.
Führung ist also die bewusste Verhaltensbeeinflussung anderer Personen, um definierte Ziele zu erreichen. Führungskräfte sind also dazu da, das Verhalten anderer Personen (=Mitarbeiter) zu beeinflussen, um definierte Unternehmensziele zu erreichen.
Führungskräfte sind also in erster Linie dem Unternehmen bzw. den Unternehmenszielen und damit dem Kunden verpflichtet. Schließlich soll ihre Funktion dazu beitragen, das System Unternehmung überlebensfähig zu halten.
Spätestens an dieser Stelle müssen die Alarmglocken klingeln. Scharf formuliert, müssen Führungskräfte Mitarbeiter instrumentalisieren, um interne wie externe Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Das sind nicht die besten Voraussetzungen, um Mitarbeiter zu coachen!
Führungskraft als Coach?
Der entscheidende Unterschied zwischen Führungskraft und Coach besteht darin, dass der Coach nicht Teil des Systems Unternehmung ist. Er ist in erster Linie dem Klienten und wenn überhaupt erst in zweiter Linie den Unternehmenszielen verpflichtet. Nach dem Motto „Mach den Mitarbeiter A wieder ganz, damit wir das Ziel B erreichen können“.
Vor diesem Hintergrund verwundert das von Looss postulierte Arbeitsprinzip im Coaching wenig: „Das Unternehmen verzichtet völlig und eindeutig auf jedweden Einfluss hinsichtlich der Frage, was in der Beratung besprochen wird und was dabei an Ergebnissen herauskommen darf.“
Eine Führungskraft ist kein externer Coach, genauso wie ein Coach keine interne Führungskraft ist. Hier gilt es für mich, Rollenklarheit zu wahren. Arbeite ich am System oder bin ich Teil des Systems? Als Mitarbeiter würde ich es sogar ein wenig untergriffig halten, wenn mich meine Führungskraft coachen will. Habe ich ihm überhaupt einen Auftrag dafür gegeben?Soll ich mich als Mitarbeiter von meiner Führungskraft coachen lassen?
Wenn wir die Sache einmal umdrehen und die Fragen aus Sicht des Mitarbeiters stellen, sprechen folgende Argumente GEGEN ein systemisches Coaching durch die Führungskraft:
- Der Führungskraft stehen Sanktionsmöglichkeiten zu, die es dem Mitarbeiter erschweren „offen“ zu sprechen.
- Die Führungsbeziehung ist auf das Erreichen von Unternehmenszielen ausgerichtet. Die Beratungsbeziehung ist auf das Erkennen von Problemen ausgelegt.
- Beratung erfordert außergewöhnlich hohe Rollenklarheit und kommunikative Kompetenz, die häufig nicht einmal von selbsternannten Coaches erreicht wird. Wie soll das die Führungskraft leisten?
Vor diesem Hintergrund kann folgende Checkliste dabei helfen, um als Mitarbeiter zu klären, ob man sich von seiner Führungskraft coachen lassen soll:
- Ist mein Problem eher persönlich oder fachlich gelagert?
- Wird sich das Bild meiner Führungskraft von mir durch die Schilderung der Problemlage ändern (Leistungsbeurteilung)?
- Ist meine Führungskraft in der Lage die beiden Beziehungsebenen voneinander zu trennen (Führungskraft vs Coach)?
- Ist meine Führungskraft methodisch in der Lage für mich persönlich problematische Gespräche zu führen?
Systemisches Coaching als Führungsinstrument
Wenn die Checkliste keine Probleme aufzeigt, insbesondere die Rollenklarheit gegeben ist, spricht nichts dagegen, systemische Coaching als Führungsinstrument einzusetzen. Der gezielte Einsatz von Fragetechnik verfolgt in diesem Fall aber andere Ziele:
- Der Mitarbeiter soll befähigt werden, Problem und Lösung selbstständig zu erkennen.
- In diesem Sinn handelt es sich um eine bewusste Maßnahme der Führungskraft zur Steigerung der Selbstverantwortung des Mitarbeiters sowie zur Entwicklung der Führungskultur im Unternehmen.
Doch auch hier ein Wort der WARNUNG! Die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter muss die Art der Be-Fragung tragen können. Im schlimmsten Fall vermutet der Mitarbeiter hinter künstlichen Fragen, nur eine Art ihm zu sagen was er tun soll. Anders gesagt, wenn ich weiß, wo ich hinwill, muss ich nicht fragen!
Altmeister Looss formuliert es wie folgt: „Je mehr aber die Person in den Blick genommen wird, umso anspruchsvoller wird die Tätigkeit der Beziehungsgestaltung und umso sensibler wird die Leistungserbringung des Individuums abhängig von der Frage, wie es ihm mit der Führungskraft emotional geht.“
Fazit – Systemisches Coaching für Führungskräfte
Die Führungskraft als Coach ist ein großes Rollen-Missverständnis. Die Führungskraft muss im Sinne des Unternehmens und damit des Kunden handeln. Der Coach im Sinne des Klienten. Wenn diese Rollenklarheit gegeben ist, spricht nichts dagegen, systemisches Coaching als Führungsinstrument einzusetzen.
Dr. Patrick Fritz
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