Schon häufiger habe ich den Gebrauch des Wortes „ systemisch “ scharf kritisiert. Zum einen wird es inflationär gebraucht, zum anderen bleibt die Bedeutung unklar. Systemische Beratung, systemische Unternehmensentwicklung, systemischer Führung, … ich kann es nicht mehr hören!
Auf die Frage, was den damit genau gemeint ist, erhält man meistens nichtssagende Umschreibungen. Für mich ein klares Anzeichen für „Keine Ahnung“! Auch ein Blick in den Duden hilft wenig weiter. So wird systemisch wie folgt umschrieben:
(Biologie, Medizin) den gesamten Organismus betreffend
(bildungssprachlich, Fachsprache) ein bestimmtes System (als Ganzes) betreffend
Ab wann ist etwas nun systemisch? Wann wird ein bestimmtes System, z.B. ein Unternehmen, als Ganzes erfasst? Für mich wenig hilfreich!
Systemischer
Bei einer Weiterbildung mit Elisabeth Ferrari am Syst in München habe ich in der Angelegenheit einen neuen Denkanstoß erhalten. Nach deren Meinung ist „systemisch“ nicht definierbar. Das Wort „systemischer„, also die 1. Steigerungsform von systemisch, ist sehr wohl definierbar:
Systemischer bedeutet in einem ersten Schritt, in höherem Maße fähig werden, von der Zuschreibung von Eigenschaften abzusehen.
Systemische Führung unterscheidet sich von (normaler) Führung also dadurch, dass fixe Eigenschaftszuschreibungen an Menschen, Teams, Organisationen, Kulturen vermieden werden. In diesem Sinne gibt es keinen grundsätzlich schlechten Mitarbeiter. Doch was gilt stattdessen?
Systemischer bedeutet in einem zweiten Schritt, immer mehr darauf zu achten, was betrachtet wird, welche Zusammenhänge gebildet werden und in welchem Kontext.
D.h. es gibt keine schlechten Mitarbeiter, sondern Mitarbeiter, die in einem bestimmten Umfeld ihre Leistung nicht abrufen können.
Systemischer führen
Schön und gut, nur wie hilft mir diese Unterscheidung bei meiner täglichen Führungsarbeit weiter? Wenn du das nächste Mal in einer Führungssituation bist, vermeide vorgefertigte Eigenschaftszuschreibungen wie z.B. schlechter Mitarbeiter. Versuche in einem zweiten Schritt darauf zu achten, welche Elemente, Beziehungen und Kontexte beim Verhalten des Mitarbeiters eine Rolle spielen.
- Systemelemente: Steht das Verhalten des Mitarbeiters im Zusammenhang mit anderen Mitarbeitern oder gar mir selbst?
- Systembeziehungen: Tritt das Verhalten des Mitarbeiters nur in der Kommunikation mit bestimmten Personen auf?
- Systemkontext: Ist das Verhalten des Mitarbeiters nur in unserem Unternehmen merkwürdig?
In Summe führen diese Überlegungen zur Überzeugung, dass nicht die Eigenschaften einer Person problematisch sind. Problematisch sind die Beziehungen und Kontexte, in denen ein Mitarbeiter tätig ist. Oder würden Sie eine Sonnenblume am Nordpol pflanzen? Manchmal reicht ein Blick über den Tellerrand, um neue Handlungsmöglichkeiten zu entdecken.
Dr. Patrick Fritz
Lieber Dr. Patrick Fritz, die Antwort zur Frage, was ist eigentlich systemisch, lässt sich doch sehr leicht mit der Duden-Definition verstehen. Systemisch = das System betreffend, also eine Situation/Aufgabe/etc. in seiner Gänze erfassen, prinzipiell also nichts anderes als ganzheitlich, nur halt akademisch ausgedrückt ;-). Aus meiner Sicht verlieren nämlich seit langer Zeit sehr viele Führungskräfte immer wieder den Blick für’s Ganze, was dann zu den problematischen Situationen für die ihnen anvertrauten Unternehmen führt. Das mag vieleicht auch daran liegen, dass sich eine systemische (da ist es schon wieder) Betrachtung als alles andere als trivial darstellt. Sie ist nicht nur hochkomplex sondern erfordert darüber hinaus das systemische (schon wieder) Einbringen der Führungskraft selbst – und da beginnen in der Regel die Probleme, denn auf eine solche Anforderung wird kaum jemand vorbereitet. Trotzdem, vielen Dank für ihren interessanten Beitrag und den Link zum Fachartikel.
Hallo Herr Jotz,
Lieber Klaus,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar. In meinem Umfeld gibt es sehr viele Angebote (z.B. Seminare) die sich systemisch schimpfen. Leider kann keiner der Anbieter, Trainer, Berater, usw. sagen was er damit meint. Oder jeder meint etwas anderes damit. In diesem Sinne hoffe ich mit meinem Beitrag UND ihrem Kommentar einen Beitrag für eine sinnvollere Diskussion zu leisten – nur so kann Fortschritt in er Sache gelingen.
LG Patrick
man könnte auch sagen, situative und kontext bezogene Führung
Lieber Florian,
das bringt es auf den Punkt.
Danke
Patrick