Dr. Marianne Grobner rät Führungskräften in einem Standard-Gastkommentar, systemische Fragen zu stellen, statt zu kommandieren. Im Gegensatz zu „Führen durch Sagen“ soll dadurch eine Vertrauens- und Zutrauenskultur aufgebaut werden.
Systemische Fragen sind ein äußerst wirkungsvolles Führungsinstrument, wie auch Dr. Gerhard Klocker unterstreicht. Doch welche Fragen soll die gewillte Führungskraft dem Mitarbeiter stellen? Schließlich soll die Sache doch nicht aufgesetzt sein und noch schlimmer, ohne Wirkung bleiben.
Bei der Vorbereitung und Durchführung von Führungskreisen dienen mir systemische Fragen, um Probleme besser beschreiben zu können. Der Gesprächspartner kann dabei unterschiedliche Perspektiven einnehmen und mögliche Lösungswege erkennen.
Systemische Fragen nach Tiefe
Zur Strukturierung meiner Interviews verwende ich die Stufenleiter nach Fischer-Epe, die ich bei Schulz von Thun gefunden habe. Vereinfacht gesagt geht es darum, dem Problem immer näher zu kommen. Von der abstrakten Beschreibung des Problems, bis hin zu meinen eigenen Gefühlen.

Stufe 1 – Abstrakt – Ich-fern
- Worum geht es ganz allgemein?
Stufe 2 – Konkret – Ich-fern – Blick nach außen
- Wer ist in welcher Rolle beteiligt (Chef, Kollegen, Mitarbeiter)?
- Wer macht in welcher Rolle was?
- Wenn ich X befragen würde, wie würde er die Situation beschreiben?
- Welche Verhaltensweisen sind für dich besonders auffällig?
- Welche Faktoren spielen bei der Problemstellung eine besondere Rolle?
- Wie hat sich das Problem bisher ausgewirkt?
- Was würde geschehen, wenn das Problem nicht gelöst werden kann?
Stufe 3 – Konkret – Per Ich – Blick nach Innen
- Wie hast du auf das Problem bisher reagiert – äußerlich und innerlich?
- Welche Hypothesen oder Annahmen hast du zum Problem?
- Was hast du bisher unternommen, um das Problem zu lösen?
- Welche Maßnahmen waren erfolgreich, welche weniger?
- Was müsstest du tun, um das Problem zu verschlimmern?
- Welche ähnlichen Herausforderungen hast du in der Vergangenheit bereits bewältigt? Und wie?
- Was würdest du tun, wenn du ganz allein eine Entscheidung herbeiführen könnten?
- Was hast du als Fallgeber bisher zum Problem beigetragen?
- Wenn über Nacht ein Wunder geschehen würde, wie wäre sie Situation dann?
- Angenommen, das Problem ist gelöst und du schaust zurück, was hast du als Erstes getan?
- Auf eine Skala von 1-10, wie würdest du dein Problem einordnen? (1=nicht relevant; 10=kritisch)
- Wenn wir das Problem lösen, um wie viele Punkte würde es dir dann besser/schlechter gehen?
Optional Stufe 4 – Gefühle im “Hier und Jetzt”
- In welche Stimmung gerätst du, wenn du darüber sprichst?
- Wie fühlt sich das innerlich an, so zu sprechen?
- Du wirkst auf mich geladen und zornig, während du darüber sprichst – stimmt das?
- Ich an deiner Stelle wäre verbittert und erleichtert zugleich! Wie geht es dir damit?
Systemische Fragen nach Zeit
Eine alternative Möglichkeit das Interview zu strukturieren, die ich bei Moderatio kennengelernt habe, besteht darin, die Fragen auf dem Zeitstrahl zu sortieren. Die Fragen bleiben mehr oder weniger dieselben, die Reihenfolge ändert sich jedoch. Je nach Kontext des Interviews kann es Sinn machen nach Tiefe oder Zeit vorzugehen.
Vergangenheit
- Wie ist es zum Problem gekommen?
- Wie hat sich das Problem bisher ausgewirkt?
- Was hast du bisher unternommen, um das Problem zu lösen?
Aktuell
- Wer ist in welcher Rolle beteiligt (Chef, Kollegen, Mitarbeiter)?
- Wenn ich X befragen würde, wie würde er die Situation beschreiben?
- Was lässt das momentane Klima im Unternehmen überhaupt zu?
Zukunft
- Was soll in Zukunft erreich werden?
- Wozu soll es erreicht werden?
- Was machst du, wenn das Vorhaben nicht zum Erfolg führt?
System
- Wer ist an einer Lösung interessiert?
- Wer hat welchen Nutzen/Schaden?
- Was sollte ich noch wissen?
Aktives Fragen und Zuhören nach Schein
Altmeister Schein unterscheidet zwischen den drei Frageebenen Tatsachenfragen, diagnostische und konfrontative Fragen. Viele der folgenden Beispiele fallen für mich auch in die Kategorie systemischer Fragen, weil sie durchaus zum Perspektivenwechsel einladen.
Reine Tatsachenfragen: haben ausschließlich die Geschichte des Klienten zum Gegenstand.
- In welcher Situation befinden Sie sich?
- Können Sie mir schildern, was da passiert ist?
- Beschreiben Sie die Situation?
- Erzählen Sie mir mehr dazu. Fahren Sie fort.
Explorative diagnostische Fragen: zielen auf Gefühle und Ursachen ab.
- Wie fühlten Sie sich dabei?
- Wie reagieren Sie darauf?
- Wie reagierten und fühlten sich andere?
- Warum gingen Sie so vor?
- Warum geschah das Ihrer Meinung nach?
- Warum machte der andere das?
- Wie reagierten Sie darauf?
- Was wollten Sie tun?
- Was taten die anderen?
- Was werden die anderen tun?
- Welche Optionen haben Sie?
- Was sollten Sie tun?
Konfrontative Fragen: dabei kommen die Ansichten der Führungskraft zum Tragen.
- Hätten Sie nicht Folgendes tun können.. ?
- Haben Sie daran gedacht,.. zu tun?
- Warum sind Sie nicht so… vorgegangen?
- Haben Sie andere Optionen in Betracht gezogen?
- Sie könnten…
- Haben Sie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Sie über reagierten?
- Machte Sie das nicht wütend?
- Vielleicht lief da ganz etwas anderes ab, als Sie dachten?
Schein unterstreicht die Wichtigkeit von konkreten Beispielen, da viele Probleme auf einer so abstrakten Ebene angesiedelt sind, dass der Berater leicht seine eigenen Hypothesen über die Abläufe auf die Geschichte projiziert. Gerade in diesem Fall ist die wichtigste Intervention, nichts zu sagen und das Geschehen weiter zu beobachten, ruhig zu bleiben und aktiv zuzuhören.
Zirkuläres Fragen nach Fritz B. Simon
Simon verwendet zirkuläre Fragen im Rahmen der systemischen Therapie. Mit ein wenig Übersetzungsarbeit, sind durchaus Ideen für den Führungsalltag mit dabei:
Kontextklärung
- Wann ist die Idee entstanden?
- Wer hat die Idee gehabt?
- Wie ist die Entscheidung zustande gekommen?
Zieldefinition
- Wer bemerkt woran, wenn das Ziel erreicht ist?
- Welche Personen sind durch diese Veränderung betroffen?
- Welche Verhaltensweisen sind dann verändert?
- Für wen sind die Änderungen positiv, für wen negativ?
Maßnahmen
- Was hat sich am meisten/wenigsten bewährt?
- Wurde das Ziel schon früher einmal erreicht?
Einflussmöglichkeiten
- Was könnte wer tun, um Veränderungen in die gewünschte Richtung zu verhindern?
- Wie könnte wer das Problem verschlimmern?
- Welche Maßnahmen haben sich in der Vergangenheit bewährt?
Hypothesen
- Wenn nichts unternommen wird, wie würde es dann weitergehen?
- Wenn das Ziel nicht erreicht wird, wie würde es dann weitergehen?
Zeitperspektiven und Abschluss
- Wie lange dauert es nach Ansicht der Beteiligten, bis das Ziel erreicht werden kann?
- Gibt es wichtige Themen, die bislang noch nicht angesprochen wurden?
Fazit – Systemische Fragen
„Wer fragt der führt“ ist ein geläufiger Spruch – warum ist dem so? Systemische Fragen haben den Charakter von Interventionen. Sie lösen Suchprozesse aus und stellen Wirklichkeitskonstruktionen in Frage. Ist es wirklich so, wie ich bisher darüber gedacht habe? Systemische Fragen sind also immer auch Einladungen zum Perspektivenwechsel und damit eine Intervention.
In diesem Sinne möchte ich interessierten Führungskräften mit angeführten systemischen Fragen ein Führungsinstrument an die Hand geben, um „Führen durch Fragen“ zu ermöglichen. Ich bitte euch per Kommentar, eure beliebtesten Fragen zu ergänzen.
Dr. Patrick Fritz
Hallo Herr Fritz,
eine schöne Aufstellung mit praktischen Fragen für die Praxis im Alltag.
In diesem Artikel finden Sie einige weitere Beispiele zu den verschiedenen systemischen Fragetechniken.
Ich denke er könnte interessant für Sie und Ihre Leser sein:
https://clevermemo.com/blog/systemische-fragen/
Viele Grüße und angenehme Feiertage
Hallo Marcel,
vielen lieben Dank für deine Ergänzung. Besonders gut gefällt mir aus deiner Sammlung:
1. Wie würde Ihr Kollege diese Situation einschätzen?
2. Was würden Sie tun, wenn Sie ganz allein eine Entscheidung herbeiführen könnten?
3. Wodurch könnten Sie das Projekt endgültig zum scheitern bringen?
4. Welche ähnlichen Herausforderung haben Sie in der Vergangenheit bereits bewältigt? Und wie?
Der Blick auf deine Seite hats ich für mich gelohnt!
Beste Grüße
Patrick