In vielen Betrieben stehen die Zeichen auf Wachstum. Leider bestätigt sich eine altbekannte Weisheit: Gibt es zu viele Aufträge, gibt es zu wenige Mitarbeiter. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt Recruiting. Was Recruiting genau ist und welche Tipps in Zeiten ausgetrockneter Bewerbermärkte helfen, zeigt dieser FRITZ Tipp.
Inhalt
Was ist Recruiting?
Recruiting oder Personalbeschaffung ist Aufgabe des Personalmanagements und beschäftigt sich mit der gezielten Suche und Gewinnung des richtigen Personals zur richtigen Zeit. Mit internen und externen Recruiting Maßnahmen soll der Personalbedarf eines Unternehmens sichergestellt werden.
Um den Personalbedarf sicherzustellen, besteht der Recruiting Prozess in der Regel aus 5 Phasen:
- Erstellung des Anforderungsprofils und Stellenausschreibung
- Kandidatensuche
- Screening und Bewerberauswahl
- Jobangebot und Einstellung
- Integration des neuen Mitarbeiters (Onboarding)
Zu den internen Recruiting Aufgaben zählen innerbetriebliche Stellenausschreibung, Personalentwicklung und Versetzung. Zu den externen Recruiting Maßnahmen zählen Stellenanzeigen, Jobbörsen, Social Media Recruiting (z.B. LinkedIn), Job- und Karrieremessen, Headhunter, Zeitarbeitsfirmen und Personalvermittler.
Doch was tun, wenn all diese Recruiting Maßnahmen nicht ausreichen? Wenn der Markt wieder einmal ausgetrocknet ist? Im Rahmen des Führungskreis Personal habe ich zahlreiche Experten nach ihren besten Recruiting Tipps befragt. Hier das Resultat.
Tipp 1: Das beste Recruiting ist gar kein Recruiting
Der abstrakte Begriff des demographischen Wandels, wird beim Blick auf die Alterspyramide der Statistik Austria zur unausweichlichen Realität.
Die Baby-Boomer (c) gehen in Pension. Darauf folgen die Geburtenrückgänge der 1970er (d) und 1990er (e). Dies in Kombination mit dem Wunsch weniger zu arbeiten (Die 40-Stunden-Woche hat für viele ausgedient) führt gesamtwirtschaftlich zu einem geringeren Arbeitszeitangebot. Prognosen gehen davon aus, dass sich der Arbeitsmarkt halbieren wird.
Jetzt könnte man sagen Gottseidank, aufgrund der Digitalisierung brauchen wir sowieso weniger Arbeitszeit. Daran glaube ich aber nicht, siehe dazu den FRITZ Tipp Industrie 4.0. Bestimmte Aufgaben werden verschwinden, dafür werden neue dazu kommen. Vielleicht ist der Kampf um die besten IT’ler und Softwareentwickler ein erster Indikator dafür?
Um Wolfgang Mayers ersten Tipp auf den Punkt zu bringen: „Das beste Recruiting ist gar kein Recruiting“. Das kann nur über eine Verringerung der Fluktuation erreicht werden. Das bringt mehr als Neubeschaffung und ist auch sehr viel günstiger. In welchen Bereichen hast du eine Fluktuation >5% oder gar >10%? Hier lohnt es sich, den Hebel anzusetzen.
Tipp 2: Wunschprofile sind Bewerbervernichtungsprofile
Ich bin kein Personalberater, bekomme aber dennoch Anfragen nach folgendem Schema: Wir brauchen ganz dringend einen Softwareentwickler. Einen richtigen Senior, keinen Junior. Linux. Embedded. Teamplayer. Das Wunschprofil lässt sich beliebig weiter ausschmücken, gerne auch für andere Bereiche. Doch schon nach dem zweiten Kriterium muss ich abwinken. Von diesen Experten gibt es immer zu wenige, egal wie der Arbeitsmarkt gerade ist. Diese Kandidaten findet man auch in einer Krise nicht.




Na gut, wenn es dieses Wunschprofil hier nicht gibt, dann gehen wir eben woanders hin und holen die Leute aus dem Ausland. Diese Strategie hat im Nachhinein betrachtet nur in Einzelfällen funktioniert. Verständlicherweise wollen Experten, die sich ihren Arbeitsplatz aussuchen können, auch irgendwann mal wieder zurück. Einige Unternehmen haben dazu Niederlassungen im Ausland gegründet. Mal sehen, wie sich diese Strategie langfristig bewährt.
Um Wolfgang Mayers zweiten Tipp für die Verbesserung des Recruiting Prozess auf den Punkt zu bringen: „Suche Minimumprofile anstelle Wunschprofile“. Das heißt, ich suche bewusst nach einem Mitarbeiter, der noch nicht so weit ist. Setze aber im gleichen Zug ein passendes Personalentwicklungskonzept auf, um den Mitarbeiter dahin zu bringen, wo er sein sollte. Eine mögliche Variante dieser Strategie ist, parallel nach Minimum- und Wunschprofil zu suchen.
Tipp 3: Baue Nachfolge-Pools auf
Gerade in Schlüsselfunktionen verschwinden die Leute selten von heute auf morgen. Beide Seiten sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Veränderungen auf diesen Positionen sind also mit einiger Wahrscheinlichkeit absehbar. Sei es aus Altersgründen oder einem geäußerten Wunsch nach Veränderung von einer der beiden Seiten.
In diesem Fall hat die Personalabteilung die Recruiting Aufgabe einen Puffer aufzubauen. Nach dem Motto besser vorsorgen anstelle Feuerwehr spielen. Das Konzept der Nachfolge-Pools habe ich von Harry Houthuijse kennengelernt. Dabei werden sowohl extern als auch intern potenzielle Kandidaten ins Auge genommen und gezielt für die Nachfolge aufgebaut.
Tipp 4: Frage nach dem STAR-Prinzip
Fatma Stieger folgend verschwenden viel zu viele Arbeitgeber die kostbare Zeit im persönlichen Recruiting Interview damit, die eigene Firma zu verkaufen. Dabei geht es doch darum, den Kandidaten so gut wie möglich in der kurzen Zeit kennenzulernen. Zudem werden unbewusst sehr oberflächliche Antworten zugelassen: „Ich war bei der Firma XYZ im Projektmanagement“, sagt so gut wie gar nichts.
Stieger empfiehlt deshalb, die eigenen Fragen nach dem STAR-Prinzip zu formulieren. S für Situation und T für Task. Was war die Situation bei der Firma XYZ? Welche konkrete Aufgabe hatten sie im Projektmanagement bei der Firma XYZ? A für Aktion. Welche Aktionen haben Sie gesetzt, um mit der geschilderten Ausgangssituation umzugehen? R für Resultate. Was waren die Resultate oder Ergebnisse ihrer gesetzten Maßnahmen? Welche Veränderungen haben sich dadurch ergeben?
Ich durfte selbst ein Interview nach dem STAR-Prinzip durchführen und muss sagen, dass es verdammt schwer ist, einen vollständigen STAR herzubekommen. Wenn es jedoch gelingt, lernt man den betreffenden Bewerber sehr viel besser kennen und hat eine Ahnung, wie er in gewissen Situation tickt. Üben, üben, üben.
Tipp 5: Strukturen in der Akquise verstärken sich
Von Eduard Konzett habe ich den folgenden Spruch aufgeschnappt: „Strukturen in der Akquise verstärken sich in der Zusammenarbeit„. Was ist damit gemeint? Es liegt in der Natur der Sache das neue Mitarbeiter immer dann gesucht werden, wenn zu viel Arbeit vorhanden ist, nicht wenn zu wenig Arbeit da ist. Zufällig ist das auch immer die Zeit, in der auch andere Firmen dringend neue Mitarbeiter suchen.
In dieser Situation entsteht also ein gewisser Druck, sich beim Recruiting für einen der Bewerber zu entscheiden. Auch wenn die Auswahl zu klein ist und nicht wirklich der richtige Bewerber darunter ist. Die fachliche Qualifikation mag mit den Anforderungen übereinstimmen, aber das Bauchgefühl sagt NEIN. Jetzt kommt aber der beschriebene Druck dazu und der Kopf übersteuert den Bauch, im Sinne einer rosaroten Brille.




Wie lange soll man nun mit der Kündigung warten, wenn sich das schlechte Bauchgefühl in der Zusammenarbeit bestätigt? Hier kommt der Spruch von Konzett zu tragen, wenn es bereits in der Akquise kompliziert war, wird es in der Zusammenarbeit komplizierter. Wenn möglich also lieber früher als später kündigen. Am besten noch in der Probezeit. Davon unabhängig braucht es eine faire Einarbeitung.
Tipp 6: Recruiting Prozess beständig optimieren
Mit folgenden Tipps und Tricks empfiehlt Konzett den Recruiting Prozess beständig zu verbessern:
- Saubere Vereinbarung zwischen HR und Fachabteilung treffen (Wer macht was?)
- Nicht altes Profil suchen, evtl. neue Aufgabenverteilung in der Abteilung prüfen.
- Sonntag-Abend-Effekt oder Rosarote-Brille verhindern. Nie beim 1. Kontakt einstellen!
- Lieber den vielleicht Falschen nicht nehmen. Den Falschen nicht zu nehmen ist auch ein Erfolg.
- Personal-Baustellen sanieren, wenn es wenige Aufträge gibt und nicht wenn Hochkonjunktur herrscht.
- Mitarbeiter sucht Mitarbeiter Programm mit Postkarten bewerben. 50% jetzt, 50% nach 3-6 Monaten. Monatliche Wiederholung der Kommunikation am Shopfloor und Erfolge sichtbar machen. Auch als Beilage zum Lohnzettel.
- Tag der offenen Tür veranstalten, bei dem die Eltern dabei sein müssen und alle was mit nach Hause nehmen können (z.B. Werkstück).
- Webseite optimieren: Leichter Einstieg und einfach Sprache. Direkt nach Benefits muss auf der Webseite eine Rückrufnummer angegeben werden.
- Abgeschlossene Projekte auf der Webseite zeigen.
- Aushang beim Supermarkt, Kaserne, Gemeindeamt, Meldeamt, neue Wohnanlagen, Würstelstand, usw.
- Jobs über Social Media bewerben.
- Offene Stellen auf der Rückseite der Visitenkarten abdrucken.
- Kooperation mit Schulen mit Sommerpraktikas.




- Briefing des AMS-Referenten mit regelmäßiger Feedback-Schleife.
- Unterscheide zwischen „Was suchen wir“ und „Was braucht der Kunde“, z.B. Kundendiensttechniker.
- Schnelle Reaktion auf Bewerbungen; max. 1 Tag später anrufen.
- Saubere Interviews führen, min. 1h Zeit nehmen und vorbereiten.
- Freundliche Atmosphäre am künftigen Arbeitsplatz schaffen.
- Wegen fachlicher Qualitäten eingestellt, wegen persönlicher Defizite entlassen. Das Schlüsselkriterium für die Einstellung ist WOLLEN, nicht KÖNNEN.
- Probeschaffen/ Probetag einführen; ggf. bereits Arbeitsprobe beim Vorstellungsgespräch.
- Spielregeln bei uns im Haus vorab kommunizieren, auch auf der Webseite (Umgang miteinander; wer Hilfe braucht, fordert Hilfe an; wer eine Aufgabe übernimmt, liefert diese in der vereinbarten Zeit und Qualität; Teilnahmepflicht bei außerbetrieblichen Veranstaltungen).
- Beim Bewerbungsgespräch bekommt jeder eine Broschüre, ggf. ergänzt um kleines Geschenk für den Bewerber.
- Bewerberkartei anlegen.
- Einlerndauer korreliert nicht mit Können: Gefahr Mitarbeiter zu verheizen wegen zu schneller Beförderung.
- Es wird nie schlechter, wenn der faule Apfel nicht mehr da ist.
- Jeder bei dem es mit der Einführung nicht funktioniert hat, ist ein schlechter Botschafter für das Unternehmen.
Tipp 7: Denke beim Recruiting global und remote
Gerade fürs Recruiting im Bereich IT und Softwareentwicklung, hat uns Dr. Jost Schatzmann von Honeypot wertvolle Tipps mitgebracht:




Gerade in der Kommunikation zum Bewerber haben viele Arbeitgeber Nachholbedarf. Das fängt bei einer ehrlichen Beschreibung der eigenen Unternehmenskultur an. Geht bei der direkten Ansprache durch den späteren Chef (nicht HR-Recruiter) weiter. Und hört bei der Personalisierung auf das jeweilige Talent auf (kein Spam).
Der für mich wichtigste Punkte ist das globale Denken. Wer als Arbeitgeber z.B. auf Deutsch als Voraussetzung für die Anstellung verzichtet, vergrößert seinen Bewerberpool ca. um den Faktor 4. Wenn dann noch remote als Möglichkeit mit ins Spiel kommt, vergrößert sich der Bewerberpool nochmals ca. um den Faktor 2.
Fazit – Recruiting
Zur Verbesserung des Recruiting Prozess empfiehlt Mayer die Fluktuation zu verringern und nach Minimumprofilen zu suchen. Houthuijse legt nahe, für Schlüsselfunktionen Nachfolge-Pools im Unternehmen aufzubauen. Stieger zeigt den Wert des STAR-Prinzips im Interview mit dem Bewerber auf. Konzett warnt vor komplizierten Bewerbungsverfahren und legt Wert auf Optimierung des Recruiting Prozess. Schatzmann denkt beim IT Recruiting global und remote. Mit diesen 7 Tipps wird das Recruiting in Zeiten ausgetrockneter Bewerbermärkte nicht einfacher. Manchmal reicht es aber einen kleinen Schritt vor der Konkurrenz zu sein, um das Rennen um die besten Talente zu gewinnen.
Dr. Patrick Fritz
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