In zahlreichen FRITZ Führungskreisen hatte ich die Gelegenheit, das faszinierende Konzept „Souveräne Verantwortung“ von Gastreferent Jonathan Sprungk kennenzulernen. Heute möchte ich dieses inspirierende Konzept mit euch teilen und zur vertieften Diskussion einladen.
Inhalt
Was ist Verantwortung?
Verantwortung ist eine Verpflichtung dafür zu sorgen, dass innerhalb eines bestimmten Rahmens alles einen möglichst guten Verlauf nimmt und möglichst kein Schaden entsteht.
Quelle: Duden 2023
Verantwortung ist mehr als eine schlichte Verpflichtung, wenn man bei Führungskräften interessiert, nachfragt: Wertschätzung, Lob, Fehlerkultur, Commitment, Einstellung, Kümmern, Schuld und Selbstbestimmtheit.

Warum sollten wir uns damit auseinandersetzen?
Die Auseinandersetzung mit Verantwortung ist von entscheidender Bedeutung. Moderne Führungs- und Organisationskonzepte wie SCRUM, KANBAN, Holacracy und New Work basieren alle auf ähnlichen Prinzipien. Darunter Abbau von Hierarchie, die Auflösungen von Abteilungen, die Reduzierung von Regeln und die Verteilung von Verantwortung.
Doch hier scheitern viele Konzepte, da es nicht gelingt, Menschen effektiv in die Verantwortung zu führen. Menschen sind oft bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber nur die positiven Seiten werden gesehen. Wahre Verantwortung erfordert auch den Umgang mit den möglichen negativen Konsequenzen.
„Sehr praxisnah und somit wirklich greifbar werden Themen im Berufsalltag mit MitarbeiterInnen und Kollegen/Kolleginnen herangeführt. Die Tage im Führungskreis für High Potentials sind absolut faktenbasiert, auch provozierend und vor allem menschlich gestaltet. So kommt man mit handfesten Grundlagen im Alltag weiter und entwickelt sehr schnell, ein persönliches Gefühl für seinen eigenen Führungsstil. Egal ob man bereits Führungskraft ist oder noch auf dem Weg dorthin – von Termin zu Termin erkennt man sehr schnell wo das eigene Potential steckt und wohin die Reise für Jeden individuell hingehen kann. Mir gefällt besonders der Mix an unterschiedlichen und spannenden Persönlichkeiten an Referenten/Referenntinnen als auch TeilnehmerInnen aus unterschiedlichsten Positionen und Branchen.“
Welche Formen von Verantwortung gibt es?
Jonathan Sprungk unterscheidet zwischen kindlicher, erwachsener, hoher und souveräner Verantwortung:
- Kindliche Verantwortung bedeutet, sich nur um das eigene Wohlbefinden zu kümmern. Ähnlich wie ein Kind, das seine Spielsachen einfach liegen lässt.
- Erwachsene Verantwortung steht dafür, den angerichteten Schaden zu beseitigen, zum Beispiel, indem die liegen gebliebenen Spielsachen der Kinder aufgeräumt werden.
- Hohe Verantwortung richtet den Blick in die Zukunft und handelt präventiv, etwa durch das Aufstellen von Mülleimern oder das Verfassen von Arbeitsanweisungen.
- Souveräne Verantwortung zielt darauf ab, auch andere Personen in die Verantwortung zu führen. Dies geschieht durch das Schaffen eines Umfelds, in dem die Konsequenzen des eigenen Verhaltens erlebbar sind.
Bei einer ersten Selbsteinschätzung sehen sich fast alle Teilnehmer zwischen hoher und souveräner Verantwortung. Beim genaueren Hinsehen wird jedoch klar, dass unser Wirtschaftssystem darauf aufgebaut ist, andere dafür zu bezahlen, um selbst in kindlicher Verantwortung leben zu können, z.B. Putzfrauen, Restaurants, Polizei, Feuerwehr, Rettung, Ärzte oder Rechtsanwälte.

Was sich in unsere Gesellschaft abspielt, spiegelt sich im Unternehmenskontext wider. Die stark arbeitsteilige Wirtschaft bringt es mit sich, dass zahlreiche indirekte Bereiche unter dem Vorwand der Effizienzsteigerung dafür bezahlt werden, die Spuren fehlender Verantwortung anderer Bereiche zu beseitigen. Eine zweite Selbsteinschätzung fällt immer wesentlich schlechter aus.
Was sind die Folgen fehlender Verantwortung?
Den Ausführungen Jonathan Sprungks folgend, entsteht durch verantwortungsloses Verhalten ein „low drama“ – auch bekannt als Dramadreieck. Das Dramadreieck beschreibt ein Beziehungsmuster zwischen mindestens zwei Personen, die darin die Rollen Opfer, Täter und Retter einnehmen.

Die beteiligten Personen folgen unwillkürlich einem Verhaltensmuster, das nach klaren Regeln abläuft. Der Täter übernimmt die Initiative. Der Retter hält das Spiel am Leben. Das Opfer fühlt sich verletzt, betrogen und verkauft.
Die Rollen sind im Spiel nicht fix vergeben. Ebenso kann es im Laufe dieses Musters zu plötzlichen Rollenwechseln kommen. Klar ist, beim Dramadreieck handelt es sich um ein unreifes, oft dysfunktionales Beziehungsmuster mit weitreichenden Folgen. Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele für das Dramadreieck: Inquisition, Judenverfolgung, Irak, 9/11, usw.

Was sind die Folgen souveräner Verantwortung?
Um aus dem „low drama“ auszusteigen, gibt es zwei Schlüssel. Erstens ist das Bewusstsein für dieses Verhaltensmuster wichtig, um aus dem automatisch ablaufenden Kreislauf auszusteigen.
Zweitens hat das Opfer die stärkste Position, um das Spiel zu beenden. Ein Opfer, ist ein Opfer, solange es nicht die Verantwortung übernimmt. Wenn es kein Opfer gibt, kann der vermeintliche Retter auch keine Legitimation erhalten, um den Täter zu bestrafen.

Wenn es jedoch gelingt aus dem „low drama“ auszusteigen, fühlt man sich sehr viel kraftvoller, motivierter und lösungsorientierter. Jonathan Sprungk nennt diesen Zustand „high drama.“ Die Opferrolle wird abgelegt, und alle werden zu Tätern im Sinne des höheren Ziels. Beispiele kenne wir zur Genüge: John F. Kennedy, Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Nelson Mandela.
Wie kann ich mich und andere in souveräne Verantwortung führen?
Wer es geschafft sich selbst aus der Opfer-Rolle zu befreien, bringt die besten Voraussetzungen mit, sein Umfeld in souveräne Verantwortung zu führen. Folgende Fragen sollen als Anregung für den Führungsalltag dienen:
- Was sind die (negativen) Konsequenzen deines Verhaltens? Kannst du dir die (negativen) Konsequenzen deines Verhaltens vorstellen?
- Ja!
- Willst du das? Willst du mit diesen negativen Konsequenzen leben?
- Nein!
- OK, was kannst du machen? OK, was kannst du machen, um die negativen Konsequenzen zu vermeiden?
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Das eigene Kind möchte bei Wind und Kälte draußen barfuß gehen. Schritt 1 besteht darin, die Konsequenzen aufzuzeigen. Kannst du dich an die Konsequenzen erinnern, als du bei diesem Wetter das letzte Mal barfuß gelaufen bist (Krankheit)?
Schritt 2 besteht darin, das Kind die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen zu lassen. Willst du wieder krank werden? Ja? Nein? Schritt 3 besteht optional darin, nach Alternativen zu suchen. Nein, was kannst du stattdessen machen?
WICHTIG! Verantwortung kann nicht delegiert werden – sie kann nur angeboten und ggf. vom Gegenüber angenommen werden. Die andere Seite muss dem Angebot zustimmen, sonst wäre es nur ein Befehl. Deshalb kommt im vorherigen Beispiel explizit die Frage, willst du das?Fazit
Wie kann Selbstverantwortung bei Mitarbeitern und Kollegen gefördert werden? Schon mehrfach hatte ich in FRITZ Führungskreisen diese Frage auf dem Tisch. Wie Jonathan Sprungk aufzeigt, beginnt die Antwort immer bei mir selbst. Ich muss mich selbst aus der Opfer-Rolle befreien, um Mitarbeiter und Kollegen zu helfen, ebenfalls auszusteigen.
Das Anleiten zum Ausstieg kann nur dort funktionieren, wo die Führungskraft bereit ist loszulassen. Vielleicht auch in dem Wissen, ich könnte es eigentlich selbst besser. Dabei ist es wichtig einen stabilen Rahmen zu schaffen, in dem durch klare Zielsetzung und aktivem Zulassen etwas Neues entstehen kann. Der Weg zum Ziel liegt beim Gegenüber, da souveräne Verantwortung niemals per Verordnung entstehen kann.
Dr. Patrick Fritz
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