Mittlerweile wollen immer mehr Mitarbeiter den Purpose, den Sinn ihrer Arbeit erkennen. Können Sie aus Ihrer Erfahrung einen ähnlichen Trend feststellen? Ich vermute hinter diese Frage eine Mogelpackung und nehme euch in diesem FRITZ Tipp mit auf meine Erkenntnisreise.
Inhalt
Was bedeutet Purpose?
Angeblich ist Purpose heutzutage ein wichtiger Begriff in der Unternehmenswelt, so wollen es uns viele Hochglanzbroschüren glauben lassen. Doch was steckt hinter diesem Anglizismus, der mit Grund, Absicht, Ziel, Zweck oder Sinn übersetzt werden könnte?
Quelle: Wikipedia, Stand 10. Jänner 2023
Spontan fühle ich mich bei dieser Purpose Definition an eine Religion erinnert. Du musst nur fest genug daran glauben, damit es wahr wird. Schlimmer noch, wer genauer nachliest, wird zwischen Purpose und Mission eines Unternehmens keinen wesentlichen Unterschied feststellen:
Was beim Purpose sehr wohl mitschwingt ist Kapitalismuskritik. Der Sinn des Unternehmens muss über schnöde Bedürfnisbefriedigung des Kunden und Gewinnmaximierung für die Eigentümer hinausgehen. Worin könnte diese Mehrwert liegen?
Purpose Beispiele aus der Praxis
Sinek empfiehlt den Purpose zu klären, als Basis für erfolgreiche Produkte und Leader. Das Why soll der Magnet sein, dass Kunden oder Mitarbeiter anzieht. Purpose Beispiele aus Unternehmen die Kunden oder Mitarbeiter anziehen sollen, sehen wie folgt aus:
- Apple: The Company is committed to bringing the best user experience to its customers through its innovative hardware, software and services.
- Google: To organize the world’s information and make it universally accessible and useful.
- Tesla: Accelerate the world’s transition to sustainable transport and energy.
- Facebook: To give people the power to share and make the world more open and connected.
- LinkedIn: To connect the world’s professionals to make them more productive and successful.
- Walmart: We save people money so they can live better.
- IKEA: Create a better everyday life for people.
- Hub Spot: Our mission is to make the world inbound.
- Facebook: To give people the power to share and make the world more open and connected.
- Nike: To bring inspiration and innovation to every athlete* in the world. *If you have a body, you are an athlete.
Würde dich eines der Purpose-Statements inspirieren to take action, wie Sinek mit seiner why-how-what Metapher behauptet? Mir geht es ähnlich wie Jenewein, Purpose ist auch eine Diskussion der Eliten, die mit dem Alltag vieler Menschen am Band wenig zu tun hat. Warum ist Purpose trotzdem Thema?
„ach einem Jahr im Fritz Führungskreis Personal bin ich vom Konzept und von der Umsetzung begeistert. In den Workshops werden HR-Fragestellungen mittels externen Vorträgen und kollegialer Fallberatung kurz und knackig bearbeitet. Dies vor Ort bei den teilnehmenden Unternehmen. Es entsteht ein wertvolles Netzwerk und ich kann immer wieder Anregungen für die Umsetzung im eigenen Betrieb gewinnen. Die Themenstellungen werden von den Teilnehmern des Führungskreises selbst definiert und sind daher immer praxisrelevant. Wer die Möglichkeit zur Teilnahme hat, sollte die Chance nützen.“
Wofür braucht es Purpose?
Manfred Zumtobel, einer meiner Lehrmeister, hat mich an die Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor Frankl (1905 – 1997) herangeführt. Frankl ist ein Schüler und Wegbegleiter von Siegmund Freud und Alfred Adler.
Für Frankl ist ein Wert ein persönlicher Motivationsfaktor, der einen Mensch etwas bevorzugen oder tun lässt. Das kann eine Aufgabe, eine Führungskraft oder ein Kollege sein, der mich zum Tun bringt. Durch das Erfahren von Werten entsteht Sinn bzw. Purpose im Leben.
Die Krux an der Geschichte? Eine Organisation oder Führungskraft kann keine Werte vorgeben, nur Angebote für Werterlebnisse machen. Das Werterlebnis entsteht beim Mitarbeiter, wenn er sich betroffen und positiv angerührt fühlt. Ob das der Fall ist, ist seine Entscheidung.
Auch wenn es die Organisation oder die Führungskraft noch so gut meint, ob sich jemand mit den Werten eines Unternehmens identifizieren kann, entscheidet der Empfänger, nicht der Sender. Damit ist ein für alle Mitarbeiter sinnvoller Purpose ein frommer Wunsch, aber nicht mehr.
Darüber hinaus hat ein Mitarbeiter hat ja nicht hat nur das berufliche Leben, sondern in besten Fall viele Lebensbereiche, in denen er individuelle Werterlebnisse haben kann. Wert, Sinn oder Purpose ist und bleibt etwas sehr Persönliches.
„Bei den Treffen im Führungskreis Einkauf schätze ich besonders die Kollegiale Beratung. Wenn sich mehrere Einkaufsleiter den Kopf über ein Thema zerbrechen bzw. ihre Erfahrungen einbringen, treten immer wieder überraschende und oft auch überraschend einfache Lösungsansätze zu Tage.“
Purpose im Unternehmen umsetzen
Angenommen, ich möchte im Unternehmen dennoch einen allgemein gültigen Purpose einführen. In diesem Zusammenhang hat mir Winfried Berner, ein von mir sehr geschätzter Experte im Bereich Kulturveränderung, dass Regenmacher-Syndrom erklärt:
- Man formuliert in wohlgesetzten Worten, wie man die Welt gerne hätte: Vision, Leitbild, Führungsgrundsätze, Werte, Sinn, Purpose.
- Man vollführt einige rituelle Tänze: Workshops, Mitarbeiterversammlungen, Schulungen.
- Man bringt ein paar symbolische Opfergaben: Hochglanzbroschüren, Erinnerungskärtchen.
- Und wartet dann auf das Eintreten des gewünschten Ergebnisses: Eine neue, veränderte Unternehmenskultur bzw. Führungsverhalten.
Um das Regenmacher-Syndrom auf den Punkt zu bringen, auch die sorgfältigste Beschreibung wie man die Welt gerne hätte, bewirkt nicht das die Welt so wird. Auch wenn der Purpose noch so gut formuliert ist, steht die Umsetzung nach wie vor in den Sternen geschrieben.

Einstellungen sind nämlich nicht zwangsweise an Verhalten gekoppelt. Letztlich zählt allein das reale Verhalten und nicht die zugrundeliegenden Einstellungen und Werte. Das definierte Soll-Verhalten muss gegen Regelignoranten durchgesetzt werden. Vor allem gegen High Performer.
Wenn dies gelingt, werden die Einstellungen dem Verhalten mit Respektabstand folgen. Wer sich ein anderes Verhalten im Unternehmen wünscht, dreht mit einem schönen Purpose-Statement am falschen Rad. Wir müssen am konkreten Verhalten im Alltag ansetzen, nur so ändern sich Werte!
Erkenntnisse aus der Forschung
Trotz jahrzehntelanger Forschung liefert uns die Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Leistung keine eindeutigen Antworten. Was können wir aus der Forschung lernen?
- Forschungen von Perrow zur Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit durch mehr Selbstbestimmung bzw. Autonomie führen nicht grundsätzlich zu besserer Leistung.
- Höge und Schnell zeigen, dass Arbeitsengagement und Sinnerfüllung in der Arbeit in einem engen Zusammenhang stehen. Der wichtigste Prädikator für Sinnerfüllung ist, ob die Tätigkeit als für andere bedeutsam wahrgenommen wird.
- Grant folgert, der Sinn der Arbeit liegt beim Kunden. Mitarbeiterengagement kann gesteigert werden, wenn es einen direkten Bezugspunkt zum Endkunden gibt.
- McClelland (1917-1998) rückt die beiden Befunde in ein gemeinsames Bild. Um Menschen im Arbeitsprozess zu motivieren kann ich ein Umfeld schaffen, indem man sich durch Leistung Status und Autonomie erarbeiten kann und/oder eine Kultur, in der das gute Miteinander handlungsleitend ist.
Die HR Peppers bringen es wie folgt auf den Punkt: Entscheidend ist nicht, was wir tun, sondern ob wir das Gefühl haben, einen Beitrag für jemand anderen zu leisten. Das ist wichtig für die eigene Psyche, machtglücklicher und gesünder! Schau dir dazu unbedingt Robert Waldinger: „What makes a good life? Lessons from the longest study on happiness“ an.
Ergänzend lohnt es sich beim bekannten Publizisten Wolf Lotter reinzuhören. Im Good Work Podcast formuliert er es ab Minute 41:00 wie folgt: „Wir haben eine große Purpose Diskussion. Aber Purpose bedeutet ja nur, und nie etwas anderes, als was tue ich für andere“.
Bullshit or not?
Wieso führen wir diese rituellen Tänze rund um Purpose, Sinn und Werte in regelmäßigen Abständen auf? Was ist das dahinterliegende Problem?
Vermutung 1: Wir hätten gerne das sich ALLE Mitarbeiter mit der Organisation identifizieren. Das ist und bleibt aber die Entscheidung des Mitarbeiters und ist vielleicht auch gar nicht nötig. Reicht es nicht wenn jemand einfach seine Arbeit macht?
Vermutung 2: Wir sanktionieren Regelignoranten nicht für ihr Fehlverhalten und führen das auf ihre Einstellungen und Werte zurück. In der Folge führen wir Tänze auf der Bühne der Organisation auf, wo es eine klare und eindeutige Abmahnung – auch für High Performer – tun würde.
Vermutung 3: Wir gestalten Rollen und Organisationen, die zu wenig mit dem Kunden zu tun haben. Dabei geht dem Einzelnen das Gefühl verloren, einen Beitrag für andere zu leisten. Gestalte also Rollen und Organisationen, die einen langfristigen, engen Kontakt zum Kunden haben.
Trifft bei dir im Unternehmen eine der Vermutungen zu? Wenn ja, kannst du direkt am eigentlichen Problem ansetzen und dir viele Enttäuschungen rund um die vermeintliche Lösung Purpose, Sinn und Werte ersparen!
Dr. Patrick Fritz
Kommentar verfassen