Im Rahmen des Führungskreis Qualitätsmanagement durfte ich mir Gedanken zur strukturierten Problemlösung machen. An Prozessen, Techniken oder Methoden zur Problemlösung mangelt es in der Literatur wahrlich nicht: 8D, Ishikawa, 5 Why, A3, FMEA… Woran es mangelt ist zum einen die systematische Anwendung in der Breite. Zum anderen sind aber auch grundlegende Begriffe und Zusammenhänge unklar.
Inhalt
Was ist ein Problem?
Jeder von uns weiß was ein Problem ist. Wenn ich jedoch darum bitte den alltäglichen Begriff „Problem“ zu definieren wird es sehr schnell still. Nach einigem Nachdenken kommt: Störung, Herausforderung, Unsicherheit, Unklarheit, Vorgaben nicht erfüllt oder nicht gewünschter Zustand.
In Anlehnung an Klaus Mücke ist jedes Problem eine Ist-Soll-Abweichung . Der Ist-Zustand kann z.B. „Im-Bett-Bleiben“ sein. Der Soll-Zustand „Aufstehen“. Spannend – die Bewertung von Ist und Soll erfolgt immer durch die Person selbst!
Das heißt, was für den einen ein Problem ist, muss für den anderen noch lange kein Problem sein. Ein Spaltmaß von 5mm bringt A zur Weißglut und lässt B vollkommen kalt. Es braucht also eine massive Kraftanstrengung, um möglichst viele von meiner Sicht der Dinge zu überzeugen.
Wenn dieser Kraftakt gelingt nennen wir das dann Norm, Standard, Vorgabe oder Prozessbeschreibung. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn ein Problem als eine Frage zu formulieren mit dem Personalpronomen „Ich“. Schließlich ist es zumindest am Anfang eine Ist-Soll-Abweichung, die nur in meinem Kopf besteht.
Was ist eine Hypothese?
Bevor es vom Problem zur Lösung geht, verwende ich beim Problemlösungsprozess der kollegialen Beratung Hypothesen. Was sich wie eine Kreativitäts-Übung oder Brainstorming-Session anfühlt hat einen ernsthaften Hintergrund. Hypothesen sind Vermutungen zur Erklärung des Problems . Bartl formuliert es wie folgt:
Wir lernen in unserer Lebensgeschichte Hypothesen über das Verhalten anderer. Anders gesagt, unser Hirn bildet Hypothesen zur Erklärung von Phänomenen. Wir haben also im besten Fall Vermutungen darüber, was da draußen vor sich geht.
Diese Erklärungsversuche erfolgen in Form von Aussagen zu Ursache-Wirkung-Beziehungen: „Es könnte sein, die Ursache des Problems…“. In diesem Sinne könnte man von einer „Fehler-Ursachen-Analyse“ sprechen. Gerade bei komplexen Problemen bleibt uns gar nichts anderes übrig als mit Hypothesen zu arbeiten.
Die verdeckte Funktion von Hypothesen besteht darin, die vom Problemträger selbst geschaffenen Modelle oder Landkarten zur Erklärung der Welt, zu erweitern. Dabei sollen neue Perspektiven auf das Problem geschaffen werden, die im weiteren Verlauf zu einer höheren Anzahl möglicher Entscheidungsalternativen bzw. Lösungsvarianten führen sollen.
Was ist eine Lösung?
Auf Klaus Mücke zurückkommend ist jedes Problem eine Ist-Soll-Abweichung. Wenn wir den Kraftakt auf uns nehmen und aus der Abweichung ein Problem machen, gibt es zwei Lösungsoptionen:
- Aufstehen: Um vom negativ empfundenen Ist-Zustand (Im-Bett-Bleiben) in den positiven Soll-Zustand (Aufstehen) zu kommen überwinde ich den inneren Schweinehund und stehe auf.
- Im-Bett-Bleiben: Ich reduziere meine wahrgenommene Ist-Soll-Abweichung, indem ich meine Soll-Erwartung herabsetze. Ich bleibe im Bett und habe kein Problem damit. Morgen ist auch noch ein Tag.
Was sich auf dem Papier recht einfach anhört, ist in der Realität natürlich nicht so einfach umsetzen. Um eine Lösung („Aufstehen“ oder „Im-Bett-Bleiben“) von außen herbeizuführen kann ins psychische und/oder soziale System eingegriffen werden.
Problemlösung im psychischen System
Wenn der Problemträger nicht selbst auf die Lösung kommt, besteht von außen die Möglichkeit ins psychische System zu intervenieren. Konkret habe ich zwei Möglichkeiten:
- Einsicht: Ich versuche beim Langschläfer durch ein Gespräch Einsicht zu erzeugen („Du solltest aufstehen, weil…“).
- Vorbild: Als Vater, Mutter oder Führungskraft versuche ich Vorbild zu sein („Dein Vater ist schon bei der Arbeit“).
Manchmal helfen weder Einsicht noch Vorbild als Problemlösungstechnik. In diesem Fall lohnt sich ein Blick auf das soziale System.
Problemlösung im sozialen System
Auch bei der Intervention ins soziale System bestehen zwei konkrete Problemlösungstechniken:
- Konsequenzen: Bei Verletzung von Norm, Standard oder Vorgabe droht Strafe. Dazu braucht es Konsens, dass es sich um ein Problem handelt. Sowie einen Strafenkatalog der tatsächlich umgesetzt wird. In Unternehmen nennen wir das auch Ziel-, Controlling- oder Beurteilungssystem.
- Rahmenbedingungen: Abschließend können wir Rahmenbedingungen* ändern, um gewolltes Verhalten zu erzeugen. Die Verhaltensökonomen nennen das neuerdings Nudging.
*Organigramm, Prozesse, Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitssicherheit, IT-Systeme, Gehaltsmodelle, Personalauswahl, Beförderungspolitik, Standards, Normen, Regeln, Vereinbarungen, usw. Mehr dazu im Artikel „Wie kann Mitarbeiterverhalten beeinflusst werden?„.
Exkurs: Stand heute (01/2021) bin ich mir nicht mehr sicher, ob eine Unterscheidung psychisches und soziales System sinnvoll ist. Was ich ursprünglich zum Ausdruck bringen wollte, ist der unterschiedliche Fokus der Interventionen. Setzte ich auf Emotionen oder Kommunikation im System. Was meinst du dazu?
Problemlösungsprozess am Beispiel der kollegialen Beratung
Ein möglicher Problemlösungsprozess, der die bisher angeführten Überlegungen berücksichtigt, ist die kollegiale Beratung. Um ein Problem bzw. einen Fall einer Lösung zuzuführen, wird wie folgt vorgegangen:
0. Rollen- und Zeitvereinbarung Anliegengeber = Problemträger (A), Kollegiale Berater (B) und Moderator (M) werden ausgewählt. Die Dauer der kollegialen Beratung wird festgelegt. | 5 min |
1. Vorstellung des Anliegens oder Problems A stellt Anliegen oder Problem möglichst konkret dar und formuliert eine zentrale Fragestellung im Sinne einer Ist-Soll-Abweichung. B hören zu und machen sich Notizen. | 5 min |
2. Befragung von A durch B Ziel der Beratung und wesentliche Perspektiven des Anliegens werden geklärt. Wie sehen die Modelle bzw. Landkarten des Anliegengebers aus? Nur Verständnisfragen, keine Lösungsvorschläge! | 15 min |
3. Hypothesenbildung B formulieren Hypothesen zur Situation von A: Assoziationen, Bilder, Vermutungen, Zusammenhänge und Eindrücke werden gesammelt. Das Problem wird von verschiedenen Perspektiven beleuchtet. M greift evtl. zur Wahrung der Kommunikationsregeln ein. A geht aus der Runde, hört zu, macht sich Notizen. | 10 min |
4. Stellungnahme von A A priorisiert hilfreiche Hypothesen (z. B. „Dies ist für mich eine neue Perspektive.“ „Diese Hypothese trifft für mich das Wesentliche.“) An dieser Stelle braucht es Feedback, da sich die Ist-Soll-Abweichung im Kopf des Anliegengebers abspielt. B hören zu und nehmen die Priorisierung der Hypothesen an. | 5 min |
5. Gruppen-Brainstorming zu Lösungsideen B sammeln Lösungsideen zur Beseitigung der Ist-Soll-Abweichung. Entweder Soll reduzieren oder Ist anheben. Ideen werden nicht kritisiert. M greift evtl. zur Wahrung der Kommunikationsregeln ein. A geht aus Runde, hört zu, macht sich Notizen. | 10 min |
6. Lösungsfeedback von A A: Welche Ideen sind für meine Fragestellung hilfreich? Welche Schritte möchte ich angehen? B hören still der Stellungnahme zu. | 10 min |
Optional: Prozessreflexion A und B legen ihr Rollen ab: Wie habe ich mich in meiner Rolle erlebt? Erkenntnisse und persönliche Anmerkungen. Einschätzungen und Anregungen für den Prozessablauf. Dank an alle Beteiligten durch M. | 5 min |
Das wiederholte einüben der kollegialen Beratung stärkt sowohl beim Anliegengeber als auch bei den Beratern, die Problemlösungskompetenz.
Fazit – Problemlösung: Prozess, Technik, Methode
Um Probleme zu lösen braucht es zunächst ein grundlegendes Verständnis der drei Begriffe: Problem, Hypothese und Lösung. Auf diese Basis lassen sich vorgegebene Problemlösungsprozesse, wie z.B. 8D, Ishikawa, 5 Why, A3 und FMEA neu bewerten. Rat zu schaffen ist eine eigene Technologie im Sinne eines Handwerks das Problemlösungskompetenz benötigt. Wenn diese vorhanden ist steht einer erfolgreichen Problemlösung nichts mehr im Wege.
Dr. Patrick Fritz
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