Persönlichkeitsentwicklung! Das war meine spontane und überzeugte Antwort auf die Frage im Führungskreis für High Potentials, wie man denn eine gute Führungskraft wird. Im Nachhinein war mir meine tiefe Überzeugung ein wenig unheimlich und ich wollte Glaube durch Wissen ersetzen. Ist Führungskräfteentwicklung gleich Persönlichkeitsentwicklung?
Was sind Aufgaben einer Führungskraft?
Bevor wir von guter oder schlechter Führungskraft sprechen, gilt es zunächst zu klären, was sind überhaupt die Aufgaben einer Führungskraft. Welche Aufgaben kommen im Vergleich zu einer Fachkraft dazu?
In diesem Zusammenhang ist die Führungslandkarte nach Ruth Seliger hilfreich. In ihrem lesenswerten Buch „Das Dschungelbuch der Führung: Ein Navigationssystem für Führungskräfte“ stellt sie die Aufgaben einer Führungskraft wie folgt dar:
Nach Seliger hat eine Führungskraft in der Praxis folgende Aufgaben zu bewerkstelligen:
- Sich selbst führen: Bedeutet zum einen Selbstreflexion. Also die Reflexion des eigenen Verhaltens. Zum anderen Selbstorganisation. Also die Gestaltung der eigenen Arbeit. Einteilung von Aufgaben, Zeit und Kontakten.
- Menschen führen: Hier geht es darum, die Verbindung zwischen Menschen und Organisation sicher zu stellen. Des Weiteren muss der Leistungsprozess von Mitarbeitern gesichert und die Kooperation zwischen Mitarbeitern gesteuert werden.
- Organisation führen: Entscheidend ist die Kernaufgabe von Organisationsführung. Entscheidungen haben den Sinn, Komplexität (siehe FRITZ Tipp CYNEFIN Framework) zu reduzieren und Sicherheit zu geben. In diesem Sinne könnte man auch von Steuerung der Rahmenbedingungen sprechen.
Seliger zeigt, dass die Aufgaben einer Führungskraft vielfältiger sind, als nur Menschen zu führen bzw. deren Verhalten auf Ziele auszurichten. „Sich selbst führen“ und die „Organisation führen“ gehört ebenfalls dazu.
Priorisierung der Aufgaben einer Führungskraft
Damit sind die Aufgaben einer Führungskraft klar. Nun stellt sich die Frage in welcher Reihenfolge diese Aufgaben sinnvollerweise erlernbar sind. Sollte man „Menschen führen“ bevor man „Sich selbst führen“ kann?
Hierzu liefert Lean Leadership, dass Führungskräfte-Entwicklungsprogramm bei Toyota, eindeutige Antworten. Dieses Modell fügt den Überlegungen von Seliger eine Reihenfolge der genannten Aufgaben einer Führungskraft hinzu.
- Sich als Führungskraft selbst entwickeln: Sich selbst zu führen, also Selbstreflexion und Selbstorganisation, ist die Basis für alles Weitere. Wer diese Aufgabe bei Toyota nicht beherrscht, wird niemals Menschen führen können.
- Andere coachen und entwickeln: Menschen führen bzw. deren Verhalten wirksam beeinflussen, kann nur eine Führungskraft leisten, die sich selbst von der Zuschauertribüne aus betrachten kann.
- Tägliches Kaizen und Vision schaffen: Stufe 3 und 4 umfassen die Aufgabe Führung der Organisation, die erst wirksam bewältigt werden kann, wenn man andere coachen und entwickeln kann.
Sollte man „Menschen führen“ bevor man „Sich selbst führen“ kann? Die Antwort ist ein klares Nein! Komm zuerst mit dir selbst klar. Lerne anschließend andere Menschen zu führen. Dann kannst du die Organisation weiterbringen.
Wie kann man Führungsaufgaben erlernen?
Somit sind die Aufgaben einer Führungskraft, sowie die Reihenfolge der sinnvollen Erlernbarkeit geklärt. Doch wie kann man nun lernen diese Führungsaufgaben zu beherrschen und damit eine gute Führungskraft zu werden?
Der Spiegel-Artikel „Was nach der Leistungsgesellschaft kommt“ hat mich an das Modell der Ich-Entwicklung nach Jane Loevinger erinnert. Ursprünglich hat mir Dr. Wolfgang Loos diesen Tipp gegeben.
Das empirisch wiederholt untersuchte und bestätigte Modell geht davon aus, dass sich Persönlichkeitsentwicklung in 10 Stufen vollzieht. Um den Fokus zu wahren, möchte ich an dieser Stellte lediglich auf vier ausgewählte Stufen genauer eingehen.
Stufe | Anteil | Beschreibung |
E5 – Rationalistische Stufe | 37,1% | Rationales Denken und kausale Erklärungen; Beginnende Selbst-Wahrnehmung und Selbstkritik ( Sich selbst führen ) |
E6 – Eigenbestimmte Stufe | 29,7% | Selbst definierte Werte, Vorstellungen und Ziele; Gegenseitigkeit in Beziehungen ( Menschen führen ) |
E7 – Relativierende Stufe | 10,6% | Die eigene Wahrnehmung bestimmt die Sicht auf die Welt; Relativistische Weltsicht ( Organisation führen ) |
E8 – Systemische Sicht: | 4,6% | Ausgebildete Multiperspektivität; Erfassung von Beziehungen; Widersprechende Meinungen integrieren; hohe Motivation sich selbst weiter zu entwickeln |
Die drei Aufgaben einer Führungskraft passen perfekt zu den Stufen E5-E7 der Ich-Entwicklung (siehe gelbe Markierung). Soll heißen, „Sich selbst führen“ ist ab Stufe „E5 – Rationalistische Stufe“ möglich. Dem entsprechen ca. 37% der untersuchten Personen. „Menschen führen“ passt perfekt zu Stufe E6. „Organisation führen“ würde ich auf E7 oder E8 verorten.
Die Aufgaben einer Führungskraft sind also eng mit dem Stellhebel Persönlichkeitsentwicklung verbunden. Anders ausgedrückt, eine gute Führungskraft ist eine reife Persönlichkeit. Wichtig, ich vermute eine hohe Korrelation, nicht unbedingt eine Kausalität.
Wie geht Persönlichkeitsentwicklung?
Aufgabe klar. Reihenfolge klar. Stellhebel klar. Welche Maßnahmen sind für den Stellhebel Persönlichkeitsentwicklung förderlich? Dr. Thomas Binder stellt in seiner Dissertation zahlreiche Untersuchungen zu förderlichen und hinderlichen Bedingungen für die Persönlichkeitsentwicklung dar. Im Kern lese ich vier sinnvolle Entwicklungsmaßnahmen heraus:
2. Selbstbeobachtung und Reflexion.
3. Beobachtung anderer (soziales Lernen).
4. Austausch und Rückmeldungen.
Beim Blick auf die Liste wird klar, dass ICH kann sich nur durch das WIR entwickeln. Die Führungskraft beobachtet sich selbst und reflektiert darüber. Tauscht sich mit Peers darüber aus und erhält Feedback. Das zahlt auf die Persönlichkeitsentwicklung ein und verbessert die Selbstbeobachtung. Bessere Fähigkeiten der Reflexion, führen zu besserem Feedback. Und so weiter und so fort.
Noch ein Wort der Warnung. Hirnforscher unterschieden vermittelnde und modulierende Schaltkreise. Vermittelnde Schaltkreise sind die Werkseinstellung und rufen Verhalten direkt hervor. Modulierende Schaltkreise übertragen sinnliche Erlebnisse in den anderen Schaltkreis. Erfahrungen können die Feinabstimmung der Werkseinstellung ändern, aber nicht von heute auf morgen.
Fazit – Persönlichkeitsentwicklung bei Führungskräften
Wer das Führungshandwerk erlernen möchte oder eine bessere Führungskraft werden möchte, für den führt der Weg ausschließlich über Persönlichkeitsentwicklung. Frei nach Herbart (1776-1841), mein Sein ist ein Produkt meines Bewusstseins. Wenn sich mein Bewusstsein ändert, ändert sich mein Sein.
Das Rezept dazu ist einfach. Suche dir ein Umfeld mit den richtigen Peers. Tausche dich mit ihnen regelmäßig aus. Hole dir Rückmeldung zu deinem eigenen Verhalten. Hört sich sehr nach einem Führungskreis an. Alles andere sind nette Methoden und Tools, die man sicherlich brauchen kann, aber auf dem Weg zur guten Führungskraft wenig wirksam sind.

Dr. Patrick Fritz
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