Silos aufzubrechen und flache Hierarchien sind die häufigsten Forderungen beim Redesign der Organisationsstrukturen. Was dabei allzu gern vergessen wird, alle Strukturen schaffen ihre Silos. Dieser FRITZ Tipp zeigt 5 Organisationsstrukturen die in der Praxis funktionieren, damit die Aufmerksamkeit im Unternehmen auf den richtigen Punkt gelenkt wird.
Inhalt
Was ist eine Organisation?
Organisationen sind aus systemischer Sicht Kommunikationssysteme, d. h. sie bestehen nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen und den Strukturen, die den Rahmen für diese Kommunikationen bilden.
Organisationen haben keinen Bestand, wenn sie nicht sicherstellen, dass ihre Selbstreproduktion durch Kommunikation über die Zeit hinweg aufrechterhalten bleibt. Dafür sorgen Erwartungen in Form von Regeln.
Wobei Organisationen gegenüber anderen sozialen Systemen die Besonderheit aufweisen, dass diese Erwartungen teilweise formalisiert vorliegen und der Verstoß gegen diese formalisierten Erwartungen zum Ausschluss aus dem System führen kann.
Quelle: Quelle: Joop Willemse, Falko von Ameln – Theorie und Praxis des systemischen Ansatzes, S. 200
Eine mögliche Form von formalisierten Erwartungen ist die Organisationsstruktur, auf die ich im nächsten Kapitel genauer eingehe. Die Organisationsstruktur und die damit verbundene Hierarchie ist ein Mechanismus der Organisation, um ausgewählten Mitgliedern (=Führungskräfte) formale Macht (=Belohnung/Bestrafung) zu verleihen, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen.
Was ist Organisationsstruktur?
Quelle: Schreyögg 2008
Nagel vergleicht Organisationsstrukturen mit einem Skelett des menschlichen Körpers. Um wieder zu verbinden, was durch Arbeitsteilung bewusst getrennt wurde, dient die Kommunikationsstruktur (Regelkommunikation) als das Blutsystem des Unternehmens. Die Führungsstruktur (Entscheidungsstruktur) dient als Gehirn der Organisation und steuert das Zusammenspiel der einzelnen Elemente.
Vielen Organisationen kennen für jedes Problem nur das funktionale Gliederungsprinzip, in der Tradition von Weber und Taylor. Vielleicht hin und wieder die Projektorganisation. Das ist richtig und gut so. Dadurch wird Standardisierung per Organisationsstruktur erreicht. Was schlussendlich zu Umsatz und Gewinn führt. Das gilt jedoch nicht für jedes Problem – gerne auch zum reinhören:
Funktionale Organisationsstrukturen
Die funktionale Organisation ist der logische Entwicklungsschritt jedes Einzelunternehmens, dass erfolgreich am Markt ist und mehr Aufträge als Hände zur Abarbeitung hat. Funktional bedeutet, dass die Abteilungen nach Aufgabenfeldern oder eben Funktionen untergliedert sind.
Durch diese Arbeitsteilung wird Überforderung reduziert, aber um den Preis der ersten Schnittstellen. Und immer dort, wo es zur Arbeitsteilung kommt, ist Koordination notwendig. Hierarchie ist das zentrale Instrument der Koordination von unterschiedlichen Fachabteilungen.
Folgerichtig sind die wichtigsten Prinzipien der funktionalen Organisationsstruktur: Spezialisierung, Koordination durch Hierarchie bzw. formale Macht und Entscheidungszentralisation.

Ich behaupte min. 80% aller Probleme lassen sich durch die klassische funktionale Organisationsstruktur bearbeiten. Im CYNEFIN Framework sprechen wir von einfachen und komplizierten Problemen. Bei einfachen Problemen braucht es nicht viel an neuer Kommunikation. Vieles lässt sich durch Standards, Arbeitsteilung und Spezialisierung abfangen.
Um es nochmals zu betonen, das ist gut und richtig. Durch den Taylorismus in seinem ursprünglichsten Sinn erwirtschaftet selbst ein Hilfsmitarbeiter in einem Industriebetrieb einen Umsatz von €200.000 und mehr. Diesem Funktionsprinzip haben wir einen großen Teil unseres heutigen Wohlstands zu verdanken.
Divisionale Organisationsstrukturen
Die funktionale Organisationsstruktur kommt dann an ihre Grenzen, wenn unterschiedliche Geschäftsbereiche oder Geschäftsfelder bearbeitet werden sollen. Die Lösung heißt divisionale Organisationsstruktur, auch Spartenorganisation, Geschäftsfeldgliederung oder Business Unit genannt.
Durch diese Arbeitsteilung wird eine differenziertere Marktbearbeitung ermöglicht, aber um den Preis zusätzlicher Schnittstellen. Quasi der große Bruder der funktionalen Organisationsstruktur. Die wichtigsten Prinzipien der divisionalen Organisationsstruktur sind Orientierung am Kunden, Selbstähnlichkeit, sowie Unternehmen im Unternehmen.




Matrix Organisationsstruktur
Die divisionale Organisationsstruktur kommt dann an ihre Grenzen, wenn sich die gegründeten Geschäftsbereiche oder Geschäftsfelder geographisch ausweiten und neue Vertriebs- und Produktionsstandorte aufgebaut werden müssen. Die Matrixorganisation lässt seit den 60er Jahren grüßen.
Parallel zur funktionalen Unterscheidung (Einkauf, Produktion, Vertrieb) wird z.B. eine regionale Aufteilung als zusätzliches Strukturierungsmerkmal heran gezogen. Unsere Produktion in Afrika, unser Vertrieb in Asien. Alternativ ist eine Unterscheidung nach Produktion oder Branchen möglich.




Dabei versucht die Matrix Organisationsstruktur zwei Gliederungslogiken unter einen Hut zu bringen. An den Schnittstellen entstehen dadurch Doppelunterstellungen. Das heißt, ich bin Diener zweier Herren, im schlimmsten Fall mit gänzlich unterschiedlichen Interessen.
Die typischen Probleme der Matrix Organisationsstruktur sind schnell benannt: Doppelunterstellung, zentral vs dezentral, Abstimmung zwischen horizontaler und vertikaler Linie, Wasserkopfdiskussion, sowie andauerndes Konfliktpotential, wenn sich Top-Führungskräfte querlegen.
Prozessorganisation
Vor dem Hintergrund der drei klassischen Organisationsstrukturen (Funktional, Divisional, Matrix), war die von Hammer und Champy losgetretene Diskussion Anfang der 90er Jahre um den 90 Grad Shift besonders heftig. Der Kunde soll in den Mittelpunkt der Leistungserstellung rücken.
Durch den Wechsel der Perspektive dominieren nicht mehr die Abteilungen, sondern die Prozesse. Die wichtigsten Prinzipien der Prozessorganisation sind Fokus auf zentrale Kernprozesse, standardisierte Problemlösungen für den Kunden, sowie Gesamtoptimum vor Lokaloptimum.




Nach Schmelzer und Sesselmann wird weiterführend zwischen Einfluss-Prozessorganisation (Prozessmitberücksichtigung), Matrix-Prozessorganisation und Reine Prozessorganisation (totale Prozesspriorisierung) unterschieden.
Von Stufe zu Stufe nimmt die Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse des Prozessmanager oder Process Owner zu, was natürlich zu Widerstand der primären Linienorganisation führt. Schließlich wird dadurch festgelegt, wo die formale Macht und Autorität im Unternehmen angesiedelt ist.
Projektorganisation
Projekte sind eine moderne Organisationsstruktur für möglichst einmalige Probleme in einem Unternehmen. Projekte kosten Geld, damit lässt sich nicht wirklich wiederholt Umsatz machen.
Außer ich verkaufe die Abwicklung von Projekten für andere Unternehmen und spezialisiere mich auf eine bestimmte Art von Projekten, z.B. Beratung, Entwicklung, Bau und IT:




Weiterführend wird zwischen Einfluss-Projektorganisation, Matrix-Projektorganisation und reine Projektorganisation unterschieden. Von Stufe zu Stufe nimmt die Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse des Projektleiters zu.
Projekte werden von der sekundären zur primären Organisationsform des Unternehmens. Mehr dazu im FRITZ Tipp Projektorganisation stellt Entscheidung sicher.
Selbstorganisation
Wie Prof. Dr. Stefan Kühl gekonnt darstellt, geht es bei allen Formen der Selbstorganisation, wie z.B. Holacracy, um die immer gleichen Elemente:
- Abbau von Hierarchien – bis hin zu deren Abschaffung.
- Auflösung von Abteilungen – die Zerstörung der Silos.
- Zurücknahme von Formalisierung – Reduzierung der Regeln.
Bei Holacracy wird der Ausweg in einer Formalisierung der Organisation gesucht. Tausche Hierarchie gegen Bürokratie. Muster würde daraufhin wohl sagen, wenn der Endverstärker Führung aus der Gleichung genommen wird, müssen die Regler Strategie, Organisation und Personal umso höher gedreht werden.
So verwundert die Feststellung von Kühl nicht. Wer Hierarchie und Abteilungsdenken versucht einzugrenzen, erzeugt Schatten-Hierarchie und Zentralisierung von Entscheidungen. Was also vorher formal war, ist nun informal. Geheime Abteilungsleiter die sich z.B. als Mentoren oder Coaches für 6-8 Personen bezeichnen.
Als Extrembeispiel sei das chinesisches Unternehmen Haier genannt. Haier besteht aus 4000 Microenterprises, die jeweils max. 20 Mitarbeiter umfassen. Die Microenterprises agieren hochgradig autonom oder selbstorganisiert und stehen in Erfolgsverantwortung:
Beispiele für Organisationsstrukturen
Ich möchte für mein Unternehmen ein neues Produkt entwickeln. Zunächst greife ich in Schublade 4 und wende zur Organisation meines Teams Design Thinking an, um eine erste Idee zu bekommen. Die beste Idee bearbeiten wir mit der Lean Startup Logik, build-measure-learn, aus. Wer dauerhaft neue Produktideen wünscht, schafft einen internen Ideenmarkt.
Anschließend gehen wir mit SCRUM aus Schublade 3 auf den Weg der Produktentwicklung. Wir testen unseren Fortschritt iterativ mit der Zielgruppe und freuen uns über Änderungen. Parallel beschäftigen wir uns mit der Entwicklung des Geschäftsmodells, unterstützt durch den Business Model Canvas. Zur dauerhaften Skalierung von agilen Projekten bieten sich Organisationsmodelle wie LeSS, SAFe und Nexus an.




Wenn wir den Prototypen erfolgreich getestet haben, wechseln wir zu Schublade 2 und organisieren uns für die Industrialisierung des Produktes in einem klassischen Projekt-Setup. Zur Herstellung des fertigen Produktes bedienen wir uns in Schublade 1 und wählen eine klassische funktionale Organisationsstruktur mit maximaler Effizienz.
Wer das angeführte Beispiel weiterdenkt, wird schnell erkennen, mit einer Organisationsstruktur innerhalb des Unternehmens ist es wohl nicht getan. Es gibt Probleme die eine völlig andere Organisationsform erfordern, als ein reifes Geschäftsmodell. Simon Wardley hat hierzu eine schöne Visualisierung entwickelt, die weitere Anregungen liefert:




Organisationsstrukturen vs Unternehmensentwicklung
Für Luhmann besteht das Wesen einer Organisation aus Entscheidungen. Sogenannte Entscheidungsprämissen, bilden Festlegungen, die den alltäglichen operativen Entscheidungen einer Organisation einen Orientierungsrahmen geben. Man könnte auch von Meta-Entscheidungen oder Spielregeln eine Organisation sprechen, aus denen sich das Verhalten der Akteure erklärt.
Wenn wir nun an Organisationsstrukturen arbeiten und uns für die eine oder andere Gliederungslogik entscheiden, würde Luhmann von Kommunikationswegen sprechen. Hier wird entschieden, wie die Kommunikation in der Organisation kanalisiert wird, z.B. durch ein Organigramm. Anders als in einer Familie, muss nämlich nicht jeder mit jedem sprechen.
WICHTIG! Organisationsstrukturen oder Kommunikationswege betreffen nur eine Entscheidungsprämisse von mehreren im Rahmen der Unternehmensentwicklung. Heitger bzw. Luhmann sehen auch Strategieentwicklung, Verhalten der Mitarbeiter und Führung als Aufgaben der Unternehmensentwicklung an.
Fazit – Organisationsstrukturen bewusst gestalten
In der Praxis wird viel Zeit und Aufmerksamkeit für Strukturfragen und wenig Zeit für die Gestaltung der Kommunikationsstruktur und ihrer Formate verwendet, wie Nagel richtig bemerkt. Nicht umsonst predigt Looss die Wiedereinführung von Kommunikation ins Getriebe, um neue Optionen für die Einzelperson, das Team oder die Organisation zu schaffen.
Das häufig praktizierte schwarz-weiß denken bei Organisationsstrukturen ödet mich an. Die funktionale Organisation ist nicht die Beste. Die Projektorganisation ist nicht die Beste. Kühl spricht von der vergeblichen Suche nach der optimalen Organisationsstruktur. Je nach Art des Problems (einfach, kompliziert, komplex, chaotisch) die das Unternehmen bearbeitet und dessen Reifegrad, gibt es unterschiedliche Organisationsstrukturen, die sich besser oder schlechter eignen.
Dr. Patrick Fritz
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