Organisationsentwicklung ist ein Veränderungsprozess einer Organisation. Wenn wir Veränderung als neue Normalität akzeptieren, brauchen wir auch für die Entwicklung von Organisationen sinnvolle Ansätze, um mit kürzer werdenden Planungshorizonten zurecht zu kommen. An dieser Stelle schlägt die Stunde der Agilität. Wie sieht Organisationsentwicklung aus, wenn wir sie in diesem FRITZ Tipp mit der agilen Brille betrachten?
Inhalt
Was ist klassische Organisationsentwicklung?
Nach Häfele ist Organisationsentwicklung definiert als ein Veränderungsprozess einer Organisation und der darin tätigen Menschen, der sich an bestimmten Werten und Prinzipien orientiert.
Dieser Ansatz ist als Gegenbewegung zu den Konzepten des Taylorismus entstanden, die auf strikte Arbeitsteilung setzen und Organisationen als Maschinen betrachten. Dem Human Relations Ansatz folgend, ist die Humanisierung des Arbeitslebens für alle Organisationsmitglieder ein Ziel der OE. Sehr flapsig formuliert lautet die Grundannahme der klassischen Organisationsentwicklung, geht es den Menschen gut – geht es der Organisation gut.
Folgerichtig ist das oberste Prinzip der Organisationsentwicklung die aktive Beteiligung der Führungskräfte und Mitarbeiter an Veränderungsvorhaben. In diesem Sinne beschreibt klassische OE eine wertorientierte Haltung für die Gestaltung von Veränderungs- und Entwicklungsprozessen in Organisationen. Zur Umsetzung dieser wertorientierten Haltung gibt es einen breiten Fundus an Modellen und Methoden.
Heitger spricht in diesem Zusammenhang von einer normativen Unternehmensentwicklung, weil der Ansatz durch ein bestimmtes Menschenbild geprägt wird. Das ist weder gut noch schlecht, allerdings entzieht sich das Konzept auf diese Weise eines empirischen Nachweises seiner Wirksamkeit.
Wie sieht der Organisationsentwicklungsprozess aus?
Nach Häfele gliedert sich der Organisationsentwicklungsprozess in sieben idealtypische Phasen:
- Orientierungsphase: Im Rahmen einer Orientierungsveranstaltung werden mit dem Management, klare Vereinbarungen zur Ausgangssituation, Zielen und Vorgehensweise getroffen. Wenn die Rahmenbedingungen geklärt sind und das Commitment des Managements eingeholt ist, wird der OE-Prozess „öffentlich“ gemacht.
- Situationsklärung und Zukunftsmodellierung: Durch eine Selbstdiagnose wird ein gemeinsames Verständnis der IST-Situation entwickelt und Zukunftsbilder erarbeitet. Auf dieser Basis können erste Veränderungsziele formuliert werden.
- Zielfindung: Daraus abgeleitet werden Veränderungsziele durch das Management konkretisiert, priorisiert und ausgewählt. Die Steuerungsstruktur zur Bearbeitung der ausgewählten Veränderungsziele wird abgeklärt.
- Installieren der Steuerungsstruktur: Ein interner Projektleiter oder eine Entwicklungsgruppe wird installiert, um die Veränderungsprojekte im Rahmen des Organisationsentwicklungprozesses aufzusetzen und zu koordinieren.
- Informieren des Gesamtsystems: Möglichst viele Mitglieder der Organisation sollen über laufende Projekte und das weiter Vorgehen im Prozesse informiert und Feedback eingeholt werden (Sounding-Board).
- Bearbeiten der ausgewählten Ziele in Teilprojekten: Manche Veränderungsziele können direkt in der Linie abgearbeitet werden, manche brauchen eine gesonderte Projektorganisation.
- Absichern des OE-Prozesses: (Zwischen-)Kontrolle und Reflexion des Gesamtprozesses. Vereinbarung weiterer Maßnahmen, damit der Prozess am Leben bleibt (z.B. jährliche Klausur).
Wie der Organisationsentwicklungsprozess zeigt, setzt klassische Organisationsentwicklung auf eine Entwicklungsstrategie, um Veränderung zu bewirken. Ohne diesen Grundgedanken missachten zu wollen, stellt sich mir die Frage wie Veränderung durch agile Ansätze beschleunigt werden kann, wenn „Fahren auf Sicht“ die neue Normalität widerspiegelt.
Klassische vs Agile Organisationsentwicklung
Um zu klären was sich durch Anwendung agiler Ansätze verändert, lohnt sich ein Blick auf die Prinzipien hinter den eigentlichen Methoden. Auf der Vorderbühne geht es bei Design Thinking und SCRUM ganz stark um das methodische Vorgehen. Auf der Hinterbühne basieren diese Vorgehensmodelle jedoch auf Werten und Prinzipien, die sie genau zu dem Machen was sie sind.
Wenn ich es in einem Satz sagen müsste, lautet die Grundannahme klassischer Organisationsentwicklung: Geht es den Mitarbeitern gut – geht es der Organisation gut. Den Mitarbeitern geht es dann gut, wenn sie aktiv beteiligt und in ihrer Einmaligkeit wahrgenommen werden.
Umgelegt auf agile Organisationsentwicklung lautet die Grundannahme: Geht es dem Kunden gut – geht es der Organisation gut. Dem Kunden geht es dann gut, wenn auf seine veränderten Anforderungen fortlaufend eingegangen wird.
Im Kern trachten also beide Ansätze danach, dass es der Organisation gut geht. Der klassische Ansatz legt den Fokus jedoch auf Mitarbeiter, der agile Ansatz hingegen auf Kunden. Darin spiegelt sich auch der Wandel vom Anbieter- zum Käufermarkt wider.
In diesem Sinne ist agile Organisationsentwicklung eine logische Antwort auf die zunehmende Wichtigkeit des Kunden und seiner Bedürfnisse. Je schneller sich Kundenanforderungen verändern, umso wichtiger werden agile Ansätze zur Beschleunigung von Veränderungsprozessen.
Agile Organisationsentwicklung ist ein Veränderungsprozess basierend auf agilen Ansätzen wie Design Thinking und SCRUM, um ein Unternehmen vom IST zum SOLL zu entwickeln. Es geht NICHT darum, eine agile Organisation zu entwickeln, sondern um eine agile Gestaltung des Veränderungsprozesses an sich.
Wie geht agile Organisationsentwicklung?
Business Modell Canvas, Effectuation, SCRUM, Holacracy, KANBAN, Lean Startup, Design Thinking und viele mehr, sind agile Ansätze, die auf Kunden ausgelegt sind, deren Bedürfnisse sich ständig verändern können. Insbesondere durch die Verkettung von Design Thinking und SCRUM sehe ich großes Potential, um zielgerichtete Veränderungsprozess von Organisation zu beschleunigen:
Durch die Anwendung von Design Thinking, soll zunächst ein Bild des idealen Unternehmens in der Zukunft entstehen. Man könnte auch von einer Unternehmensvision aus Sicht des Kunden sprechen. Diese Unternehmensvision wird anschließend per SCRUM Schritt für Schritt umgesetzt.
Hier der agile Organisationsentwicklungprozess basierend auf Design Thinking um SCRUM, um ein Unternehmen vom IST zum SOLL zu entwickeln.
1. Problemdefinition
Um einen klaren Rahmen für agile Organisationsentwicklung zu schaffen, ist die Formulierung einer passenden Design Challenge notwendig:
Wie muss das Objekt neugestaltet werden, damit die Zielgruppe unter Berücksichtigung der (veränderten) Rahmenbedingungen A, B und C den Endzustand X erreicht?
Eine Übersetzung könnte lauten:
Wie muss unsere Organisation neugestaltet werden, damit unsere Kunden unter Berücksichtigung der Digitalisierung einen 20% höhere Produktivität erreichen können.
Damit ist die Auftragsklärung für die agile Organisationsentwicklung in einem Satz zusammengefasst. Wichtig zu erwähnen, die Design Challenge kann sich im Laufe des Prozesses durchaus verändern.
2. Need Finding
Um unsere Kunden besser zu verstehen, werden nun u.a. qualitative Interviews mit Kunden durchgeführt, und zwar mit Fokus auf User (Nutzer), Needs (Bedürfnisse) und Insights (Erkenntnisse):
- User: Wer sind unsere Kunden überhaupt? In welche Gruppen oder Segmente lassen sich unsere Kunden einteilen?
- Needs: Welche Bedürfnisse haben unsere Kunden? Von welchen Problemen berichten sie uns? Welche unerfüllten Wünsche tragen sie mit sicher herum?
- Insights: Welche Informationen tauchen im Rahmen der Interviews immer wieder auf? Welche Erkenntnisse können wir daraus gewinnen?
Durch die intensive Beschäftigung mit den Bedürfnissen des Kunden verlagert sich der Fokus von innen nach außen. Bereits an früherer Stelle ist mir aufgefallen, dass 90% aller Probleme nach innen gerichtet sind. Keiner kümmert sich ernsthaft um die externen Probleme des Kunden. Das soll durch die Entwicklung des idealen Unternehmens aus Sicht des Kunden behoben werden.
3. Synthese
Um die gewonnenen Erkenntnisse auf den Punkt zu bringen, werden nun „How might we-Questions“ formuliert. Man könnte dabei auch von einer Metapher zu den gewonnenen Erkenntnissen oder von Problemhypothesen sprechen:
Wie muss unsere Organisation neugestaltet werden, damit unsere Kunden unter Berücksichtigung der Digitalisierung einen 20% höhere Produktivität erreichen können.
- Wie können wir erreichen, dass durch unsere Produkte lästige Aufgaben für den Kunden wegfallen?
- Wie können wir erreichen, dass die Kundenzufriedenheit bei gleichzeitiger Kostensenkung gesteigert werden kann?
- Wie können wir erreichen, dass wir das identifizierte Kundenproblem A, B, C lösen können?
4. Ideation
Mithilfe unterschiedlicher Kreativitätstechniken werden nun Ideen (=Lösungshypothesen) zur Beantwortung der priorisierten HMW-Questions (=Problemhypothesen) gesucht. Jede gefundene Idee könnte ein kleiner Schritt auf dem Weg zum idealen Unternehmen aus Sicht des Kunden darstellen. Auch hier gilt, nicht alle Ideen können umgesetzt werden, sondern müssen entsprechend priorisiert und ausgewählt werden.
5. Prototyping
Um die vielversprechendsten Ideen direkt ausprobieren zu können werden Prototypen gebaut. Das ist bei physischen Produkten sicherlich einfacher und intuitiver. Pläne, Konzepte, Abläufe, Prozesse, Modelle und auch Unternehmensvisionen können genauso gut „gebaut“ werden. Im Falle einer Unternehmensvision bietet sich z.B. der Business Model Canvas sehr gut an:
6. Testing
Bevor Prototypen zu finalen Produkten, Dienstleistungen oder gar Unternehmen entwickelt werden, gilt es diese mit dem Kunden gemeinsam zu testen. Was nichts anderes heißt, wie sich Feedback zum aktuellen Stand der Dinge einzuholen.
Im Gegensatz zur klassischen Vorgehensweise wird die Feedback-Schleife dramatisch beschleunigt. Ich hatte schon Workshops mit zweistündigen Arbeitsphasen und einstündigen Feedback-Phasen im steten Wechsel. Hier ein Prototyp aus einem aktuellen internen Projekt:
7. Umsetzung per SCRUM
Wenn sich aufgrund des Kundenfeedbacks die „beste“ Unternehmensvision herauskristallisiert hat, gilt es diese effizient umzusetzen. Hierzu bietet sich SCRUM an. Der Geschäftsführer fungiert nun in der Rolle als Company oder Product Owner, sein Führungskreis als Entwicklungsteam. Die entwickelte Unternehmensvision stellt den Leitstern oder das Big Picture für die Umsetzung dar.
Diese Vision wird in User Stories oder Arbeitspakete herunter gebrochen und füllt den initialen Company oder Product Backlog. In engmaschigen Iterationen wird nun das Unternehmen von Version 1.0 zu Version 1.1 weiterentwickelt. Am Ende eines jeden Sprints werden Reviews durchgeführt, um ggfs. schnell reagieren zu können.
Fazit – Organisationsentwicklung: Definition, Prozess, Agil
Klassische Organisationsentwicklung setzt, wie der Begriff schon sagt, auf eine Entwicklungsstrategie, um Veränderung zu bewirken. Eine Beschleunigung eines Veränderungsprozesses scheint auf den ersten Blick dem Versuch gleich zu kommen, Gras schneller zum Wachsen zu bringen, indem man daran zieht.
Dennoch bin ich überzeugt, dass wir weitere Zugänge brauchen, wenn „Fahren auf Sicht“ die neue Normalität darstellt. In diesem Zusammenhang halte ich Design Thinking und SCRUM für vielversprechende Ansätze für eine agile Organisationsentwicklung.
Dr. Patrick Fritz
Ein guter Ansatz. Ich gebe dennoch zu bedenken Design Thinking und Scrum sind Methoden um ein Produkt zu entwickeln. Eine Organisation ist aber ein organisches Konstrukt aus Menschen. Daher gilt es m.E. für die OE auch Methoden anzuwenden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, wie z.B. Holacracy, Sociocracy oder OpenSpace Agility (https://openspaceagility.com/)
@Michael: Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Um ehrlich zu sein, kenne ich keine Methode die den Menschen so sehr in den Mittelpunkt stellt wie Design Thinking. Während ich genau das bei Holacracy und Soziokratie kritisiere: https://www.fritz.tips/holacracy-ersetzt-fuehrungskraefte/
LG Patrick