Die Verhaltensökonomie zeigt, der rein rational handelnde Homo oeconomicus existiert außerhalb der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbücher in der realen Welt selten. Mit ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ versuchen der Nobelpreisträger Richard Thaler und Cass Sunstein die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie zu nutzen, damit Menschen durch Nudging „bessere“ Entscheidungen treffen.
Was ist Nudging?
Nudging meint auf Deutsch soviel wie „sanfter Stupser“. Nudges sind nach Thaler & Sunstein Elemente einer Entscheidungsarchitektur (Choice Architecture), die durch sanftes Anstupsen eine Entscheidung in einer vorhersehbaren Weise beeinflussen. Um dies zu erreichen, wird der physische, psychische und soziale Entscheidungskontext gezielt gestaltet.
Durch diese Nudging Definition zeigt sich der unmittelbare Nutzen für Führungskräfte. Führung ist die bewusste Verhaltensbeeinflussung anderer Personen, um definierte Ziele zu erreichen. Nudging ist also eine Möglichkeit, um Entscheidungskontexte zu gestalten und Wahlmöglichkeiten zur beeinflussen.
Was sind Nudging Beispiele?
Durch einen Tipp bin ich auf das MINSPACE-Gestaltungsmodell zur Verhaltensänderung nach Vlaev et al. gestoßen. Das MINDSPACE-Framework wurde im Rahmen der Arbeit des Behavioural Insights Team (BIT) entwickelt, eine Regierungsorganisation des Vereinigten Königreichs. Ziel ist eine Art Toolkit zur Verhaltensänderung:
MINDSPACE-Technik | Wirkung | Beispiel |
Messenger | Wir werden von derjenigen Person beeinflusst, die uns eine Information übermittelt. | Einbindung von angesehenen Mitarbeitern oder Experten, wie z.B. Drosten in der Corona-Kommunikation. |
Incentives | Unsere Antworten auf Anreize werden durch mentale Abkürzungen bestimmt, wie z.B. die Tendenz Verluste zu vermeiden oder Gewinne zu erzielen. | Anrechnung der Teilnahme an Aktionen als Arbeitszeit, wie z.B. Schulungen. Die tägliche Kommunikation der Corona-Infektionen ist z.B. effektiver als eine monatliche Information, weil die möglichen Verluste höher erscheinen. |
Norms | Wir werden von dem beeinflusst, was andere tun, z.B. durch soziale Normen und Netzwerke. | Tragen der persönlichen Schutzausrüstung wird von Führungskräften vorgelebt und bei Nichteinhalten offen angesprochen. Der Weiteren wäre eine Gesundheitsquote effektiver als eine Krankenstandsquote, um die Anwesenden nicht zu demotivieren. |
Defaults | Wir schwimmen mit dem Strom bei vorausgewählten Handlungsoptionen. | Automatische Anmeldung zu Aktionen mit der Option, sich wieder abzumelden. Auf gesellschaftlicher Ebene wird beispielsweise darüber diskutiert, die Organspende als Default-Wert zu setzen, mit der Möglichkeit sich wieder abzumelden. |
Salience | Unsere Aufmerksamkeit wird auf Neues und persönlich Relevantes gelenkt. | Anbringung von Hinweisschildern mit eingängigen Botschaften an Orten, die für das Verhalten relevant sind, z.B. eine gut sichtbare Positionierung von Gehörschutzspendern oder Ampel-Systeme auf Lebensmitteln. |
Priming | Unsere Handlungen werden oft durch unbewusste Reize und Auslöser beeinflusst. | Auffällige Platzierung und attraktive Gestaltung der gesünderen Mahlzeit in der Kantine im Vergleich zur ungesunden Variante. Werden z.B. Gerichte auf kleineren Tellern präsentiert, nehmen Menschen deutlich weniger Kalorien zu sich. |
Affect | Unsere Emotionen bestimmen unsere Handlungen. | Gestaltung abschreckender Bilder mit Konsequenzen des sicherheits- oder gesundheitsgefährdenden Verhaltens, z.B. von Unfällen im Betrieb oder Krankheiten auf Zigarettenschachteln. |
Commitments | Wir streben bei unseren öffentlichen Versprechen und zwischenmenschlichen Handlungen nach innerlich nach Konsistenz. | Gehen von 10.000 Schritten am Tag durch gemeinsame Teilnahme an einem Wettbewerb. Womöglich haben persönliche Umsatzziele eine ähnliche Funktion. |
Ego | Wir verhalten uns so, dass wir uns persönlich besser fühlen. | Drücken Führungskräfte Vertrauen in die Leistungs-fähigkeit ihrer Beschäftigten aus, so könnte dies dazu führen, das sie vergleichsweise höhere Leistungen erbringen und diesen Erwartungen gerecht werden (Pygmalioneffekt). |
Nudging vs. Gamification
Das MINDSPACE-Framework liefert viele Ansatzpunkte für die Gestaltung von Nudges. Die beiden folgenden Praxis-Beispiele zeigen gleich mehrere Techniken in Kombination:
Bei den „Piano stairs“ spielen sicherlich Norms, Defaults, Salience und Affect eine wichtige Rolle – genauso wie beim nächsten Beispiel:
Sowohl die „Piano stairs“ als auch den „Light Stripper“ kenne ich aus einem Vortrag zum Thema Gamification. Beide Ansätze zielen darauf ab, Verhalten zu beeinflussen.
Eine mögliche Unterscheidung scheint darin zu liegen, das Gamification versucht die Motivation zu erhöhen, Nudges versuchen es einfacher zu machen das gewünschte Verhalten auszuführen.
Fazit
Sowohl Nudging als auch Gamification sind Ansätze, um Verhalten durch die Gestaltung des Kontextes zu beeinflussen. Eine Metapher dazu, die mir persönlich sehr gut gefällt, ist das Spielen über die Bande. Als Führungskraft muss man das 1×1 der Führung durch Einsicht, Vorbild und Konsequenz beherrschen. Profis finden mit Nudging eine wahre Schatzkiste, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten massiv zu erweitern.
Dr. Patrick Fritz
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