Konsent vs Konsens. Konsens ist, wenn alle dafür sind, Konsent wenn keiner dagegen ist. Beim Konsent gilt im Gegensatz zum Konsens eine Entscheidung, solange keiner einen schwerwiegenden Einspruch hat. Die integrative Entscheidungsfindung bei Holacracy ist eine ganz konkrete Anwendung des Konsent Prinzips. Man könnte auch von Konsent Methode oder Konsentverfahren sprechen, die ich in diesem FRITZ Tipp erkläre.
Was bedeutet Konsens?
Ein möglicher Weg zur Entscheidungsfindung in einer Gruppe ist Konsens. Es wird so lange in der Gruppe diskutiert, bis eine Entscheidung ohne Gegenstimme möglich ist. Der Konsens setzt eine hohe Verantwortung der Gruppe voraus, weil ein einziges Nein den weiten Prozess blockieren kann.
Entscheidungen per Konsens sind in der Regel besonders tragfähig, erfordern aber in vielen Fällen einen erheblichen zeitlichen Aufwand. Die Gefahr von faulen Kompromissen ist nicht zu unterschätzen (siehe österreichischen Lösung).

Schein unterscheidet weiterführend zwischen Konsens und Einmütigkeit. Konsens bedeutet für ihn eher, dass die Kommunikation ausreichend offen und das Gruppenklima ausreichend unterstützend war, um sämtlichen Gruppenmitgliedern das Gefühl zu geben, eine faire Chance zur Beeinflussung der Entscheidung gehabt zu haben. Einmütigkeit ist nicht immer nötig!
Manchmal ist aber weder Einmütigkeit noch Konsens möglich oder zeitlich sinnvoll darstellbar. Eigentlich ist das Gegenteil eines Konsenses gesucht. Bei Holacracy habe ich eine Lösung gefunden. Die Konsent Methode, auch integrative Entscheidungsfindung oder im englischen integrative decision making genannt.
Konsent durch integrative Entscheidungsfindung
Bei der Einwandintegration geht es nicht um Zustimmung durch Konsens, sondern darum einen Vorschlag nicht abzulehnen. Wenn Teilnehmer kein tragfähiges und nachvollziehbares Argument gegen einen Vorschlag haben, gilt dieser im Sinne des Konsent als angenommen. Es geht also nicht um die beste Lösung, sondern lediglich um eine passende Lösung. Der Ablauf für eine Konsententscheidung sieht wie folgt aus:




- Vorschlag präsentieren: Der Vorschlagende präsentiert seinen Vorschlag in der Runde, zur Lösung eines Problems.
- Verständnisfragen stellen: Anschließend können die Teilnehmer Verständnisfragen stellen, um den Vorschlag auch wirklich zu verstehen.
- Reaktionen einholen: Im nächsten Schritt gibt jeder Teilnehmer der Reihe nach seiner persönliche Reaktion auf den Vorschlag ab.
- Vorschlag nachbessern: Basierend auf den Rückmeldungen aus der Runde hat der Vorschlagenden nun die Gelegenheit seinen Vorschlag klarzustellen oder ggf. nachzubessern.
- Einwände vorbringen: Nun werden alle Teilnehmer der Reihe nach befragt, ob sie einen tragfähigen und nachvollziehbaren Einwand haben den Vorschlag nicht umzusetzen („Do you see any reasons why adopting this proposal would cause harm or move us backwards„). Kommen keine Einwände, gilt der Vorschlag als angenommen. Kommen Einwände, geht es zu Schritt 6.
- Einwände integrieren: In offener Diskussion wird nun Einwand für Einwand besprochen. Wie muss der Vorschlag verbessert werden, um den Einwand aus der Welt zu schaffen, zumindest fürs Erste.
Mit dem verbesserten Vorschlag geht es nochmals zu zurück zu Schritt 5 „Einwände integrieren“. Wenn keine Einwände mehr kommen, ist der Vorschlag angenommen („safe enough to try“).
Systemisches Konsensieren
Bei Andrea Spieth (Trigon) habe ich kürzlich eine in meiner Wahrnehmung abgeschwächte Form der integrativen Entscheidungsfindung kennengelernt, und zwar Systemisches Konsensieren. Ähnlich der integrative decision making Methode werden die Einwände oder Widerstände in der Gruppe abgefragt.
- Problem/Aufgabe: Klären der Fragestellung und herstellen eines gemeinsamen Bildes.
- Lösungsvorschläge: Lösungsoptionen oder Handlungsoptionen sammeln.
- Einzelbewertung: Bewertung der Optionen durch jede Person mit dem gefühlten Widerstand.
- Auswertung: Auswertung der Widerstandsstimmen je Option.
Allerdings müssen nicht zwangsweise alle validen Einwände integriert werden. Der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand gilt als konsensiert, d.h. er kommt dem Konsens am nächsten. Wir haben das am Beispiel der Homeoffice-Regelung einer Firma durchgespielt und uns für die Option mit dem geringsten Widerstand entschlossen:




Konsens und Konsent in Kombination?
Natürlich können Konsens und Konsent kombiniert werden, wie das Beispiel Systemisches Konsensieren zeigt. Darüber hinaus gibt es jedoch weitere Möglichkeiten das Zustimmungsprinzip (Kosens) und Widerstandsprinzip (Konsent) zu kombinieren.
Wenn Konsens über die gemeinsamen Ziele in einem Projekt hergestellt ist (alle sind dafür), kann im weiteren Verlauf nach Konsent verfahren werden (keiner ist dagegen). Das heißt, man vermeidet im weiteren Verlauf ständige Grundsatzdiskussionen.
Wer zur Verknüpfung Konsens Konsent weitere methodische Anregungen sucht, wird sicherlich bei der Kollegialen Beratung Inspiration finden. Auch hier berät sich der Fallgeber mit seinen Beratern und sucht nach Alternativen für seine Problemstellung. Bei zahlreichen Gelegenheiten habe ich erlebt, dass die Beratung durch Kollegen, zu besseren Entscheidungen führt.
Fazit – Konsent
Jeder von uns trifft jeden Tag zahlreiche Entscheidungen. Den Prozess der Entscheidungsfindung steuern wir in den wenigsten Fällen bewusst. Es erscheint mir ein wenig wie atmen. Wir können darüber nachdenken bewusst zu atmen, aber in den meisten Fällen funktioniert es auch ohne. Wenn es jedoch wichtig ist, lohnt es sich einen genaueren Blick auf den Entscheidungsprozess zu werfen.
Bei der integrativen Entscheidungsfindung nach Konsent liegt die finale Entscheidung bei der Gruppe. Integrative Entscheidungsfindung ist die Methode für mündige Mitarbeiter, die Verantwortung für das Unternehmen übernehmen wollen und Führungskräfte, die dazu aus Überzeugung ermuntern.
Dr. Patrick Fritz
P.S. Alternativ zur Entscheidung in der Gruppe bietet sich der Konsultative Einzelentscheid an.
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