Gunther Schmidt ist Pionier der hypnosystemischen Therapie. Hypnosystemisch meint die Verbindung der systemischen Therapie mit Hypnotherapie nach Milton Erickson (1901-1980). Gunther Schmidt ist ärztlicher Direktor der sysTelios Klinik mit Fokus Burnout. Nach zwei Tagen Arbeit mit Gunther Schmidt bin ich vom Nutzen für Führungskräfte überzeugt. Hypnosystemisch Führen!
Inhalt
Dr. Gunther Schmidt, Burnout-Papst aus Heidelberg
Das folgende Video mit Dr. Gunther Schmidt gibt eine kompakte Einführung in die hypnosystemische Arbeit und wagt einen ersten Konzepttransfer für Führungskräfte:
Für dich habe ich die wesentlichen Aussagen von Gunther Schmidt zum hypnosystemischen Konzept zusammengefasst und um meine Mitschrift im Workshop ergänzt:
- €25-30 Milliarden Kosten gehen allein in Deutschland auf Burnout zurück. Bei der Hälfte der Patienten in der sysTelios wurde ein sogenanntes Burnout diagnostiziert.
- Niemand hat ein Burnout, sondern produziert das Burnout kontinuierlich. Erleben wird von Sekunde zu Sekunde neu erzeugt.
- Die Bedeutung eines Phänomens wird von innen heraus durch die Aktivierung und Fokussierung auf bestimmte Erlebnisnetzwerke gegeben.
- Priming, bedeutet Bahnung in solche Erlebnisnetzwerke, von denen wir sehr viele haben. Gunther Schmidt spricht von multipler Persönlichkeit.
- Veränderung entsteht durch Einfügen von Unterschieden in diese Erlebisnetzwerke. Berater und Führungskraft agieren als Realitätenkellner die unterschiedsbildende Angebote machen.
- Unwillkürliches Erleben macht den aller größten Teil unseres Lebens aus. Die willentlichen Prozesse sind immer langsamer als unsere unwillentlichen Prozesse.
- Je nachdem wie der Kontext auf uns wirkt, kann spontan ein anderes Erlebnisnetzwerk aktiviert werden.
- Nach Gerhard Roth, ist nicht das bewusste Erleben der Vorstand, sondern höchstens ein guter Pressesprecher.
Einführung in die hypnosystemische Arbeit (Teil 2)
- Hypnosystemisch meint die Umlenkung der Aufmerksamkeit auf die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten. Die Kompetenzen sind latent im Erlebnisrepertoire vorhanden und müssen nur aktiviert werden.
- Je nachdem wie die Kontextbedingungen aufgebaut sind, werden andere Netzwerke getriggert.
- Dabei hat Führung eine sehr wichtige Aufgabe. Wie können wir Situationen in der Arbeitswelt aufbauen, damit Menschen den Kompetenzzugang wieder besser spüren können?
- Wenn jemand keine eigenen Gestaltungsmöglichkeiten mehr erlebt, aber die Anforderungen als hoch und relevant erlebt, kann dies zu Burnout führen.
- Typischerweise bekommt man kein Burnout, wenn man in erster Linie an sein eigenes Wohlerleben denkt.
- Die entscheidende Komponente ist der perfektionistischen Antreiber, als Sehnsucht für andere was Gutes machen zu können.
- Burnout meint, fremde Bedürfnisse wichtiger zu nehmen als die eigenen Bedürfnisse.
- Ziel der Arbeit ist, diese inneren Antreiber gnadenvoller zu machen.
- Nicht unsere Kindheit bestimmt unser Erleben in der Gegenwart. Die Gestaltung der Gegenwart bestimmt die Wirkung von Vergangenheiten und Zukünften.
- Es ist nicht der Außenreiz, der uns zum Opfer macht, es sind sehr starke Einladungen.
- Führungskräfte sind in diesem Denken Orchesterleiter oder Architekten, die Beiträge zu einem System machen, damit der Kontext die Bedürfnisse (SCARF) der Beteiligten berücksichtigt.
- Entscheidend ist diese Zwickmühlen ständig meta-zu-kommunizieren. Am besten in transparenten Ich-Botschaften.
- Entscheidend ist auch eine Balance anzusteuern zwischen zufrieden sein und nicht zufrieden zu sein. Man kann nicht allem Gerecht werden.
Der Weg von systemisch zu hypnosystemisch

Um den Impulsvortrag von Dr. Gunther Schmidt zu ergänzen, habe ich mir sein Buch Liebesaffären zwischen Problem und Lösung zu Gemüte geführt. Hier die aus meiner Sicht wichtigsten Aspekte, um offene Wissenslücken zu schließen:
- Genauso wie niemand ein Burnout hat, so sind auch Charaktereigenschaften nicht festgeschrieben. Sondern immer nur in der Interaktion mit dem Kontext zu verstehen. Es könnte auch ganz anders sein.
- Die Kernfrage lautet immer, WOFÜR ein bestimmtes Verhalten als Kompetenz verstanden werden kann. Anders gefragt, welches Licht, wirf diesen Schatten?
- Typische Regelungsbereiche, die wir in individuellen und sozialen Systemen immer wieder finden, sind z.B. Wer gehört dazu? Wo geht die Reise hin? Wie komme ich ans Ziel?
- Veränderung passiert sowohl in der systemischen Therapie als auch in der Hypnotherapie, durch die Bildung von Unterschieden in bisher vorherrschenden Mustern. Unterschiede, die einen Unterschied machen.
- Mit Hypnose sind Kommunikationsprozesse gemeint (Geschichten, Metaphern, Sprachbilder, Analogien, Wortspiele), die rituell eingesetzt werden, um bestimmte Erlebniszustände anzuregen, die meist als Trance bezeichnet werden (siehe dazu NLP).
- Trance im Sinne von unwillkürlichem Erleben ist das gewünscht Ergebnis von Hypnose und hat erhebliche Verwandtschaft mit dem Flow-Erlebnis nach Csikszentmihalyi (1934-2021).
- Die Aufgabe des Therapeuten, aber auch der Führungskraft ist, Angebote zu machen, die so viel Aufmerksamkeit als möglich auf das gewünscht Erlebnis fokussieren (Aufmerksamkeitsfokussierung).
- Vor diesem Hintergrund werden Probleme als Kompetenz für die eigene Bedürfnisse behandelt, die für die Zielverwirklichung zu berücksichtigen sind (Utilisation).
- Oft kann Veränderung sehr viel schneller angeregt werden, wenn man sich auf das intrapsychische, selbsthypnotische System (Problemtrance) fokussiert und dort interveniert (Lösungstrance).
Hypnosystemisch Arbeiten in der Praxis
Nachdem die Grundlagen gelegt sind, stellt sich natürlich die Frage wie anwenden. Gunther Schmidt schlägt folgende Vorgehensweise für hypnosystemisches Arbeiten vor, die mich an das Kotter 8 Stufen Modell erinnert:
- Klärung des Kontextes: Wie kommt es das sie hier sind?
- Aufbau des lösungsförderlichen Systems: Pacing des Opfer-Ich ohne Veränderungsdruck. Vertrauensbasis aufbauen.
- Entwicklung von Zielvisionen: selbstwirksame, selbst erreichbare Ziele verhandeln.
- Fokussierung auf Ausnahmen und Lösungserleben: Stärken wiederfinden, die im Moment nicht zugänglich sind. Hoffnung aufbauen.
- Vergleich von Problem- und Lösungsmuster: Verbinde Ressource mit Problem.
- Kosten-Nutzen-Analyse von Problem- und Lösungsmuster
- Optional neue Zielentwicklung
- Vereinbarung klar prüfbarer nächster Schritte
- Auswertungsschritte
- Abschluss: 60-80% der Lösung sind genug.
Diesen Prozess im Hinterkopf, lässt sich auch das einleitende Beispiel einer hypnosystemischen Einzeltherapie noch besser verstehen.
Hypnosystemische Teamentwicklung nach Gunther Schmidt
Die systemische Therapie hat ihre Wurzeln in der Familientherapie. Vor diesem Hintergrund verwundert die Aussage von Simon nicht, „man darf eigentlich niemanden, der von der Psychotherapie kommt, auf Organisationen loslassen“.
Trotzdem stellt Gunther Schmidt einen Boom in der Anwendung systemischer Konzepte auf Organisations- und Teamberatung fest. Wobei stringente und konsistente Modelle für die Arbeit mit Teams selten sind. Zur hypnosystemischen Teamentwicklung schlägt er vor (siehe S. 388f.):
- Immer wenn der stringente Bezug zum Teamziel nicht gegeben ist, entsteht Orientierungslosigkeit bei den Beteiligten.
- Um wieder Orientierung zu finden, soll nicht auf Teamkonflikte, sondern auf gemeinsame Ziele fokussiert werden.
- Problemmuster sind nur eine von vielen möglichen Organisationsformen des Systems, die zudem auch noch selbst erzeugt werden.
- Teamentwicklung soll den Fokus auf die Entwicklung von Zielvision und die praktischen Schritte zur Zielverwirklichung richten (siehe dazu ReTeaming).
- Methodisch eignet sich hierzu eine „Reise in die Lösungszeit“, auch bekannt als „Wunderfrage“ besonders gut an.
- Auch der Blick auf bisher schon erfolgreiche Kooperationsmuster ist lohnend, z.B. per Appreciative Inquiry.
- Abschließend ist es wichtig, die nächsten kleinen Schritte im Sinne von Verhaltensbeiträgen zu vereinbaren. Sowie Rituale, um Zwischenbilanz zu ziehen.
Die historischen Wurzeln bei William James
Bei Precht, bin ich auf den US-Amerikanischen Psychologen und Philosoph William James (1842-1910) gestoßen. James gilt als Begründer der Psychologie in den USA und lehrte von 1876-1907 an der Harvard University. Mir scheint, er hat wesentlichen Grundlagen für Erickson, Schmidt und viele andere gelegt:
- Carl Gustav Carus (1789-1869) formte mit dem Unbewussten einen neuen Begriff von ungeheurerer Tragweite: „Der Schlüssel zur Erkenntnis vom Wesen des bewussten Seelenlebens liegt in der Region des Unbewusstseins„.
- In weiterer Folge ist für James das Bewusstsein ein Produkt der Evolution. Eine Lösung für das Problem des Überlebens und Zusammenlebens.
- Das Bewusstsein und das „ICH“ sind für James keine Gegenstände, sondern Prozesse. Alles befindet sich im Fluss, einem Bewusstseinsstrom (stream of consciousness).
- Das „ICH“ ist ein Prozess das Ereignisse im Bewusstseinsstrom sortiert. So kann sich Gunther Schmidt knapp 150 Jahre später darauf beziehen. Erleben wird von Sekunde zu Sekunde neu erzeugt.
- Precht schreibt, Angst ist nicht die Reaktion auf den Bären (das Phänomen), sondern die Interpretation unserer körperlichen Signale. Genau an dieser Stelle grätschen Erikson und Schmidt hinein und sehen die Chance zur Veränderung (Unterschiedsbildung).
Top 7 Tipps für Führungskräfte
Basierend auf den wegweisenden Arbeiten von Dr. Gunther Schmidt zur Hypnosystemik und aktuellen Erkenntnissen aus der Führungsforschung und Praxis, gebe ich dir als Führungskraft 7 Tipps für die Führung deiner Mitarbeiter an die Hand:
- Veränderung von Erlebnisnetzwerken: Als Führungskraft ist es wichtig, die Aufmerksamkeit deiner Mitarbeiter auf ihre eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten zu lenken. Hilf ihnen dabei, positive Erlebnisnetzwerke zu aktivieren und zu fokussieren, um Veränderung herbeizuführen.
- Priming für positive Veränderung: Nutze Priming-Techniken, um die Erlebnisnetzwerke deiner Mitarbeiter in Richtung positiver Lösungen zu beeinflussen. Biete unterschiedsbildende Angebote an, die neue Perspektiven und Handlungsoptionen eröffnen.
- Betonung von Selbstwirksamkeit: Fördere die Selbstwirksamkeit deiner Mitarbeiter, indem du ihnen selbst erreichbare Ziele setzt und sie in Entscheidungsprozesse einbeziehst. Zeige Vertrauen in ihre Fähigkeiten und stärke ihr Selbstvertrauen.
- Berücksichtigung individueller Bedürfnisse: Achte darauf, dass die Arbeitsbedingungen und der Kontext die Bedürfnisse deiner Mitarbeiter berücksichtigen. Ein Gefühl von Gestaltungsmöglichkeiten und relevanten Aufgaben kann vor Burnout schützen.
- Umgang mit Perfektionismus: Erkenne den perfektionistischen Antreiber bei deinen Mitarbeitern und fördere eine gnadenvollere Einstellung. Hilf ihnen, ihre eigenen Bedürfnisse nicht hinter fremden Bedürfnissen zurückzustellen.
- Fokus auf Lösungsorientierung: Statt sich ausschließlich auf Probleme zu konzentrieren, lenke die Aufmerksamkeit auf Lösungsmuster. Behandele Problemmuster als Kompetenzen für die individuelle Bedürfnisbefriedigung.
- Hypnosystemisches Teammanagement: Setzte den Fokus in der Teamentwicklung auf gemeinsame Ziele und praktische Schritte zur Zielverwirklichung. Nutze Rituale und regelmäßige Zwischenbilanzen, um die Orientierung deiner Mitarbeiter aufrechtzuerhalten.
Indem du diese Tipps in deiner Führungsarbeit berücksichtigst, förderst du das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit deiner Mitarbeiter. Du kannst so zu einer positiven Veränderung und einer gesunden Arbeitskultur beitragen.
FAQ zur hypnosystemische Therapie nach Gunther Schmidt
Fazit – Gunther Schmidt
Von klein auf sind wir gewohnt Probleme zu analysieren. Die Lösung scheint dann nur noch eine einfache Rechenaufgabe zu sein. Wenn wir es jedoch mit komplexen Problemen zu tun haben, und ja, Zusammenleben und Zusammenarbeiten ist eines davon, führt diese Strategie eher zum Burnout als zum Ziel.
Hier besteht die Aufgabe von Führungskräften darin, Angebote zu machen, die so viel Aufmerksamkeit als möglich auf das gewünscht Erlebnis fokussieren. Die Aufmerksamkeit wird auf die Lösung des Problems gerichtet. Die gute Nachricht kommt zum Schluss. In den allermeisten Fällen ist die Lösung bereits in einem Erlebnisnetzwerk vorhanden. Hypnosystemisch Führen!
Dr. Patrick Fritz
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