Kann Holacracy Führungskräfte ersetzen? Wenn man den Worten von Brian Robertson Glauben schenken darf, lautet die Antwort Ja. Holacracy ist ein von Brian Robertson entwickeltes Organisationsmodell, das auf der Soziokratie nach Gerard Endenburg basiert und in diesem FRITZ Tipp kritisch durchleuchtet wird.
Was ist Holacracy?
Holacracy ist eine Form der Strukturierung von Organisationen mit dem Ziel des Abbaus von Hierarchien. Die Autorität, die sonst bei Führungskräften liegt, wird auf Kreise verteilt, die aus Rollen zusammengesetzt sind. Für jede Erwartung in der Organisation kann eine Rolle definiert werden.
Quelle: in Anlehnung an Brian Robertson, Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt.
Robertson schwebt dabei das Bild einer Organisation vor, die wie eine Maschine programmiert werden kann. Ein Betriebssystem mit dem Motto Role over Soul. Natürlich gibt es dazu eine Software, in der die formalisierten Rollenerwartungen abgebildet werden. Natürlich darf keinesfalls von einem Holacracy Organigramm gesprochen werden:
An dieser Stelle möchte ich aber nicht tiefer ins Holacracy Modell einsteigen, sondern auf inkl. vermeintliche Erfolgsbeispiel wie Zappos und Freitag sowie das nachfolgende Video verweisen und einen Schritt zurück machen und das größere Ganze betrachten.
Modetrend Selbstorganisation
Die Grundaussage, wenn es um Modelle zur Selbstorganisation wie Holacracy geht, ist immer dieselbe: Der Markt verändert sich immer schneller, deshalb müssen Organisationen anpassungsfähiger werden. Wenn wir Führungskräfte abschaffen (=zentrale Steuerung), können Mitarbeiter sich selbst organisieren und damit schneller anpassen (=dezentrale Steuerung).
Bei aller Faszination, die ich für das Thema Selbstorganisation habe, stoßen mir gewisse Grundannahmen besonders auf. Zunächst einmal zeigt die Praxis, selbstorganisierte Teams sind weder schneller noch hierarchiefrei oder demokratisch: Beyond the Holacracy Hype. Vielmehr laufen wir eine Sehnsucht hinterher, die es vermutlich immer schon gegeben hat.
In den Jahren, die ich mich mit Führung und Organisation beschäftige, bemerke ich immer wiederkehrende Modetrends. Genauso wie in der Mode gerade die 60er wieder en vogue sein mögen, sind es derzeit dezentrale Steuerungskonzepte in der Unternehmensführung und -organisation. Quasi eine Neuauflage des Empowerment-Trends, der die Abschaffung von vermeintlich künstlichen Hierarchien wieder salonfähig machen möchte.
Spannend dazu sind die Ausführungen über Modetrends im Management von Prof. Dr. Stefan Kühl von der Universität Bielefeld:
Warum braucht es Führungskräfte?
Wie Prof. Dr. Stefan Kühl in seinem Vortrag gekonnt darstellt, geht es bei allen neuen Organisationsformen, also auch Holacracy, um die immer gleichen Elemente:
- Abbau von Hierarchien – bis hin zu deren Abschaffung.
- Auflösung von Abteilungen – die Zerstörung der Silos.
- Zurücknahme von Formalisierung – Reduzierung der Regeln.
Nun kann man das gut oder schlecht finden. Was dabei aber immer wieder vergessen wird ist die Funktion von Führung bzw. Führungskräften. Ausgerechnet Mark Poppenborg, einer der Vorreiter der New Work Bewegung, ruft diese Funktion wieder in Erinnerung:
- Wertschöpfung der Norm: Es kommt vor, dass Mitarbeiter ihre eigenen Präferenzen bei der Durchführung der Arbeitsschritte haben. Jetzt braucht es Macht, um den bekannten wirtschaftlichsten Weg durchsetzen zu können – auch gegen den Willen des Mitarbeiters.
- Wertschöpfung der Ausnahme: Hier ist man auf die Ideen der Mitarbeiter angewiesen, um zu einer Lösung zu kommen. Aber jedes solches Subsystem ist auf eine Legitimation im formalen Machtgefüge der Gesamtorganisation angewiesen.
Entweder braucht es die Führungskraft, um den Standard durchzusetzen. Oder es braucht die Führungskraft, um eine Gruppe von Mitarbeitern zu legitimieren eine Sonderlösung zu finden. Bei Holacracy wird der Ausweg in einer Formalisierung der Organisation gesucht. Tausche Hierarchie gegen Bürokratie.
Muster würde wohl entgegnen, wenn der Endverstärker Führung aus der Gleichung genommen wird, müssen die Regler Strategie, Organisation und Personal umso höher gedreht werden. Simon ergänzt, Organisation funktionieren auf Dauer nicht ohne Hierarchien irgendwelcher Art. Es braucht ein akzeptiertes Verfahren zur Entscheidungsfindung.
So verwundert die Feststellung von Kühl nicht. Wer Hierarchie und Abteilungsdenken versucht einzugrenzen, erzeugt Schatten-Hierarchie und -Abteilungen zur Koordination und Entscheidung. Was also vorher formal war, ist nun informal. Geheime Abteilungsleiter die sich z.B. als Mentoren oder Coaches für 6-8 Personen bezeichnen. Hier zum nachhören:
Holacracy Kritik
Wenn Formen von Selbstorganisation wie Holacracy die Antwort sind, was war dann eigentlich die ursprüngliche Frage? Was war der Anstoß für die Entwicklung der unterschiedlichen Organisationskonzepte?
Ich unterstelle, der sich immer schneller ändernde Markt ist nicht der Ausgangspunkt. Der Markt und damit die Bedürfnisse der Kunden haben sich immer schon geändert. Die Ursache ist vielmehr die nicht mehr passende Führung durch Führungskräfte.
Mitarbeiter sind heute informierter – vielleicht ist auch der Sinn der Arbeit wichtiger geworden. Das heißt, die Anforderungen an Führungskräfte haben sich geändert, weil sich viele Mitarbeiter geändert haben. Konkret glaube ich, dass der autoritäre Führungsstil an seine Grenzen kommt. Konkret glaube ich, dass Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen müssen, damit Unternehmen überlebensfähiger werden.
Aber auf diese geänderten Anforderungen ist Holacracy nicht die richtige Antwort. Ganz im Gegenteil. Das Bedürfnis der Mitarbeiter ist viel eher wieder mehr Orientierung zu bekommen. Die Antwort liegt in einer Führung, die den Rahmen vorgibt, in dem zielgerichtete Handlungen stattfinden können. Holacracy und jede andere Organisationsform kann schlechte Führung nicht ausgleichen.
Fazit – Holacracy
Meine Antwort ist klar und eindeutig: Gute Führung durch reife Führungskräfte ist der zentrale Schlüssel zur Leistungssteigerung in Unternehmen. Auch wenn der Versuch sämtliche Erwartungen in einer Organisation formalisieren noch so charmant anmutet, Führungskräfte können durch kein Betriebssystem ersetzt werden, sei es auch noch so ausgetüftelt.
Schon Zenon (330-262 v. Chr.), nach Precht der Vorvater der Anarchie, schwebte ein ähnliches System vor und scheiterte: „Wir sollen alle Menschen als Mitglieder unserer Gemeinde und als Mitbürger ansehen, und es sollte eine Art zu leben und eine Ordnung geben, ähnlich wie bei einer Herde, die zusammen weidet und durch ein gemeinsames Gesetz ernährt wird.“
Eine Studie von Mercer legt nahe, dass 52 Prozent der Unternehmensprofitabilität auf Führung zurückzuführen ist. Führungskräfte müssen also gestärkt werden. Führungskultur muss entwickelt werden. Wer nicht daran glauben möchte, soll doch einmal die Gretchenfrage stellen: „Lieber Mitarbeiter, möchtest du wirklich selbstorganisiert arbeiten“? Ich bin gespannt, wer weiter kommt als ein Kreischen innerhalb der Abteilung, das bei der nächsten zähen Entscheidung implodiert.
Dr. Patrick Fritz
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