Mit dem Golden Circle Modell und zugehörigem Purpose Geschwafel hat uns Simon Sinek ein Ei gelegt, so meine Ausgangsthese in diesem FRITZ Tipp. In seinem Buch Start with Why verspricht er nicht weniger als eine Anleitung – How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action. Sein Ted-Talk ist bisher sage und schreibe 56 Millionen Mal über den Äther gelaufen:
Was ist der Golden Circle?
Das Golden Circle Modell nach Simon Sinek hat sich vermutlich deshalb so schnell verbreitet, weil es den Nerv der Zeit trifft und bestechend einfach aufgebaut ist:
Sinek fordert nicht weniger als bei der Sinnfrage bzw. Frage nach dem Purpose zu beginnen – Start with Why!
- WHY: Warum, oder besser übersetzt, wofür machen wir das, was wir machen?
- HOW: Wie wollen wir unser Ziel erreichen (Strukturen, Prozesse, Methoden)?
- WHAT: Was wollen wir anbieten im Sinne von Produkten oder Dienstleistungen?
Der Autor begründet dies mit der Neurobiologie, genauer mit dem limbischen System. Das WHY spricht im Gegensatz zum WHAT unsere Emotionen an. Natürlich darf das übliche Golden Circle Apple-Beispiel nicht fehlen.
Zwischenfazit: Sinek empfiehlt mit dem Golden Circle den Sinn oder Purpose zu klären, als Basis für erfolgreiche Produkte und Leader. Das Why soll der Magnet sein, dass Kunden oder Mitarbeiter anzieht. Die Prinzipien des Golden Circle sollen also nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Führungskräfte gelten.
Warum hat Simon Sinek mit etwas das sich so vernünftig wie der Golden Circle anhört ein Ei gelegt?
Die Purpose Seuche
Zunächst einmal behauptet nicht nur Simon Sinek es braucht einen Sinn oder Purpose, um die Welt in Gang zu bringen:
- Selbstorganisation: Brinkmann und Lang vermuten in der FAZ, dezentral gesteuerte Organisationen brauchen einen Leitstern zur Orientierung („Zweck-Orientierung“).
- Holacracy: Brian Robertson stellt den Purpose in den Mittelpunkt seines Modells und meint damit, “a capacity, potential, or goal that the Role will pursue or express on behalf of the Organization (§ 1.1a).”
- Gamification: Die Jünger rund um Gamification sehen Purpose gar als Grundbedürfnis des Menschen. Wenn ich das Böse besiege, befriedige ich mein Bedürfnis nach Purpose.
- Existenzanalyse: Für Logotherapeuten und Existenzanalytiker in der Gefolgschaft Viktor Frankls, entsteht durch das Erfahren von Werten Sinn im Leben.
- New Work: Frithjof Bergmann stellt unverblümt die Frage, „Was will ich wirklich, wirklich tun?“. Und antwortet darauf mit Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Selbstversorgung.
Ich vermute, dass die von Prof. Dr. Stefan Kühl analysierte immer wiederkehrende Managementmode hin zu flachen Hierarchien, Teamisierung und Selbstorganisation dazu führt, Ersatz für Führung zu suchen:
Soziologen wie Muster folgend besteht der gesuchte Ersatz in zusätzlichen Entscheidungsprogrammen, weil Führung zur Lösung von Konflikten auf operativer Ebene fehlt. Eine Art Kompensationsmechanismus für Führungskräfte aus Fleisch und Blut.
Golden Circle Beispiel
Schauen wir uns Beispiele an für solche Kompensationsmechanismen – genannt Purpose, Zweck oder Sinn – die uns Modelle wie der Golden Circle bescheren.
- Apple: „The Company is committed to bringing the best user experience to its customers through its innovative hardware, software and services.“
- Google: „To organize the world’s information and make it universally accessible and useful.“
- Tesla: „To accelerate the world’s transition to sustainable energy.“
- Facebook: „To give people the power to share and make the world more open and connected.“
- LinkedIn: „To connect the world’s professionals to make them more productive and successful.“
- Walmart: „We save people money so they can live better.“
- IKEA: „Create a better everyday life for people.“
Direkt gefragt, würde dich eines dieser Statements motivieren, dich mehr oder weniger für eine der genannten Firmen einzubringen. Würde dich eines der Purpose-Statements inspirieren to take action, wie Sinek mit seiner why-how-what Metapher behauptet?
Empirische Erkenntnisse zum Purpose
Die HR Peppers bringen es im Artikel „Arbeit braucht (k)einen Sinn“ auf den Punkt. Entscheidend ist nicht, was wir tun, sondern ob wir das Gefühl haben, einen Beitrag für jemand anderen zu leisten.
Höge und Schnell zeigen, der wichtigste Prädikator für Sinnerfüllung ist, ob die Tätigkeit als für andere bedeutsam wahrgenommen wird. Grant folgende liegt der Sinn der Arbeit beim Kunden. Mitarbeiterengagement kann gesteigert werden, wenn es einen direkten Bezugspunkt zum Endkunden gibt.
Robert Waldinger, Professor an der Harvard Medical School, leitet in 4. Generation eine 75 Jahre alten Studie zur Erwachsenenentwicklung. Er treibt die bisherigen Aussagen auf die Spitze: Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder. Punkt.
Ergänzend lohnt es sich beim bekannten Publizisten Wolf Lotter reinzuhören. Im Good Work Podcast formuliert er es ab Minute 41:00 wie folgt: „Wir haben eine große Purpose Diskussion. Aber Purpose bedeutet ja nur, und nie etwas anderes, als was tue ich für andere“.
Im Kern ist die Faktenlage schnell erklärt. Menschen sind motiviert ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Eines der zentralen Bedürfnisse ist der Wunsch nach Zusammengehörigkeit bzw. Relatedness. Dies motiviert uns einen Beitrag für andere zu leisten und führt zu mehr Glück und Gesundheit. Der Purpose oder das WHY spielt dabei keine Rolle.
Fazit – Golden Circle nach Simon Sinek
Simon Sinek ist mit dem Golden Circle Modell ein überwältigender Erfolg gelungen, ohne Zweifel! Ich sehe jedoch zwischen einem wohl formulierten Why (Ursache) und erfolgreichen Produkten oder Führungskräften keinen Zusammenhang (Wirkung). Entscheidend ist das Gefühl, einen Beitrag für jemand anderen zu leisten. Das funktioniert in der Gangsterbande besonders gut, auch wenn der Purpose fehlt. Was vom Golden Circle Modell für mich übrig bleibt, ist ein Kompensationsmechanismus für fehlende Führung und die Basis für gute Kommunikationsarbeit.
Dr. Patrick Fritz
Hallo Herr Dr. Fritz,
das ist ja interessant, wie Sie den Nutzen von „Start with why“ interpretieren. Da bin ich komplett anderer Meinung für wirksames Marketing. Für mich ist es aber auch kein Führungskräftetool, um Mitarbeiter zu motivieren! Es geht darum…
Das Vertrauen der Verbraucher gewinnen, indem wir einen gemeinsamen Sinn und Zweck definieren.
Kunden reichte es früher aus faire Preise, hohe Qualität und einen guten Service zu erhalten, um einer Marke über Jahre treu zu bleiben. Heute braucht es viel mehr dazu. Verbraucher wollen wissen, was Unternehmen für ihre Angestellten, die Gemeinschaft, die ganze Welt und die Bedürftigen tun und nicht nur, wie viel sie für ihre Stakeholder erwirtschaftet und an ihre Führungskräfte gezahlt haben.
Trägt eine Marke dazu bei, die Welt zu verbessern?
80 Prozent aller Kunden (CSR-Studio von Cone Communications) behaupten, dass ihre Kaufentscheidungen und ihre Markentreue davon abhängen, was eine Marke getan hat und noch tut, um die Welt zu verbessern. Fast 90 Prozent der Kunden weltweit, sind bereit, auf eine Marke umzusteigen, die in der Welt Gutes tut, sofern Preis und Qualität vergleichbar sind.
Mehr als 80 Prozent aller Verbraucher sagen, dass Aktivitäten von Unternehmen und ihre positiven Auswirkungen auf die Welt Einfluss haben, was sie kaufen, wo sie kaufen und welche Produkte sie anderen empfehlen. Sie heben immer wieder hervor, dass andere Konsumenten, Freunde und „Peers“ den größten Einfluss auf Kaufentscheidungen haben und das gemeinnützige Verhalten von Markenunternehmen immer wichtiger wird.
Vertrauen in Wirtschaft, Medien und Regierungen schwindet weltweit
Konsumenten auf der ganzen Welt verlieren das Vertrauen in die Wirtschaft, die Medien und Regierungen. 2017 sank innerhalb eines Jahres der Vertrauenspegel um 3 Punkte an seinen Tiefpunkt, die jährliche Gesellschaftsstudie Edelman-Trust-Barometer 2017, kann helfen, die Mentalität der Kunden und ihre Veränderungen im Laufe der Jahre zu verstehen. (OK -2021 hat Deutschland im Gegensatz zu allen anderen Ländern weltweit in der Infodemie an Vertrauen zugelegt – das ist aber ein weltweiter Ausreißer)
Wie bekomme ich als Kunde Infos her?
Die vertrauenswürdigste Quelle für Geschäftsinformationen sind heute „Peers“. Menschen, die uns nach Alter, Werten und Lebensstilen ähnlich sind – also Menschen in unserem Freundeskreis. Der größte Einfluss auf Kaufentscheidungen von Menschen kommt also nicht aus der Werbung, sondern von „Leuten wie du und ich“.
Dagegen verlieren Firmenchefs und Führungskräfte an Einfluss. Während Technologieunternehmen als vertrauenswürdige Branche gilt, werden Finanzdienstleistern, Chemieunternehmen und Banken das geringste Vertrauen entgegengebracht.
Was bedeutet das nun für Führungskräfte?
Wenn Kunden Unternehmen nicht mehr trauen und sie vielleicht in wenig vertrauenswürdigen Branchen arbeiten, müssen Sie rund um ihre Angebote Inhalte, Kundenerlebnisse und Informationen liefern, um eine Vertrauensbasis zu schaffen.
Ihre Kundenerlebnisse müssen zeigen, dass Sie und ihre Mitarbeiter aufrichtig sind, dass es Ihnen nicht um ihre Eigenen, sondern auch um die Belange der Kunden geht und dass sie ihren Worten auch Taten folgen lassen.
Der größte Wettbewerbsvorteil ist die Fähigkeit, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen. Dazu müssen Sie für etwas stehen und Haltung zeigen.
Das „Why“ ist nicht der Magnet für Kunden und Mitarbeiter
„Start with why“ ist ein guter Ansatz im Marketing, um zu verstehen, wie Menschen kommunizieren, um eine Wirkung zu erzielen. Sich als Unternehmen Sinnfragen zu stellen ist heute mehr als angebracht, wer Mitarbeiter und Kunden gewinnen und halten möchte.
Das Why ist nicht der Magnet, der Kunden oder Mitarbeiter anzieht, es sind die Taten, die aus dieser Sinnfrage ins Rollen kommen.
Genauso, wie bei der Gangsterbande.
Viele Grüße
Susanne Rohr
Right Brain Marketing
Frau Rohr, vielen lieben Dank für ihren Kommentar den ich gerne aufmerksam gelesen habe.
In vielen Punkten gebe ich ihnen Recht. Gerade wenn Sie schreiben, das WHY ist nicht der Magnet, es sind Taten.
In meiner Wahrnehmung erlebe ich Diskussionen im luftleeren Raum. Herauskommt ein Minimalkonsens der genau 0,0 Taten hervor bringt.
Mein Lösungsvorschlag, den ich gerne dazustellen möchte, lautet, am eigentlichen Problem anzusetzen.
Und wenn das Problem lautet, dem Einzelnen geht das Gefühl verloren, einen Beitrag für andere zu leisten, dann gibt es bessere Lösungen.
Beste Grüße
Patrick Fritz
Oh, das kann ich verstehen, Diskussionen im luftleeren Raum sind echt lästig. Cooler Blog!
Viele Grüße aus München.
Susanne Rohr