Als Gamification wird die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext bezeichnet. Nach Workshops gemeinsam mit Wolfgang Rathert im Rahmen der Führungskreise Softwareentwicklung, Produktion und Qualitätsmanagement sehe ich das anders. Nach Rathert ist Gamification Verhaltenssteuerung durch Kontextgestaltung. Diesen Gedanken finde ich spannend!
Inhalt
Wie kann Verhalten beeinflusst werden?
Wie an früherer Stelle ausgeführt, kann das Verhalten von Mitarbeitern über vier Stellhebel beeinflusst werden:
- Einsicht in geschäftliche Notwendigkeiten.
- Verhalten der Führungskraft (Vorbild).
- Ziel-, Controlling- und Beurteilungs-Systeme (Konsequenz).
- Rahmenbedingungen des Handelns.
Die Punkte 1., 2. und 3. sind für mich klar. Wie das mit den „Rahmenbedingungen des Handelns“ genau funktioniert, war für mich bisher unklar. An dieser Stelle scheint Gamification bzw. Kontextgestaltung der Schlüssel zum besseren Verständnis zu sein.
Wieso lohnt es sich, den Kontext zu gestalten?
Kannst du dich an „Mensch ärgere dich nicht“ erinnern? Das Hoch, wenn man endlich einen 6er würfelt, um hinaus zu kommen. Das Tief, wenn man kurz vor dem Ziel rausgeschmissen wird und zurück an den Start muss. Ohne Frage, Spiele können wahnsinnig motivieren.
Eigentlich verrückt. Spielbrett, Würfel, Kegel und wir bleiben stundenlang an einer Sache dran. Kein Wunder, dass man Spiel-Verhalten auf andere Kontexte, wie z.B. Arbeit übertragen möchte. Aber halt, spätestens seit „Mythos Motivation“ wissen wir doch alle: Man kann Menschen nicht motivieren, nur demotivieren. Siehe dazu auch „Motivation: Die 7 größten Irrtümer„.
Wie passt das nun zusammen? Auf der einen Seite erleben wir Menschen, die beinahe hypnotisch auf ihr Handy starren und nur noch eine Runde spielen wollen. Auf der anderen Seite kann man Menschen nicht motivieren, nur demotivieren.
Was treibt Menschen (beim Spielen) an?
Unheimlich vereinfacht dargestellt hat jeder Mensch Bedürfnisse. Murray spricht von needs und presses. Maslow von Mangel- und Wachstumsbedürfnisse. Häusel von Emotionssystemen. Rogers von Aktualisierungstendenz. Diese Grundbedürfnisse sind mittels zweier Akronyme gut einprägbar:
- SCARF = Status, Certainty, Autonomy, Relatedness, Fairness.
- RAMP = Relatedness, Autonomy, Mastery, Purpose.
Sicherlich gibt es noch weitere Grundbedürfnisse. Sicherlich sind diese Grundbedürfnisse nicht bei jedem Menschen gleich ausgeprägt. Wichtig dabei ist, dass jeder Mensch von Haus aus motiviert ist, seine Grundbedürfnisse zu befriedigen.
„Man kann Menschen nicht motivieren, nur demotivieren“ hat einen wahren Kern. Man kann Menschen nicht motivieren. Sie sind es bereits. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Man kann ein Umfeld, einen Kontext, einen Rahmen schaffen, in dem Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können.
Wie wird der Kontext bei Spielen gestaltet?
In Spielen gibt es typische Techniken oder Elemente, die immer wieder zum Einsatz kommen. Hier die Top 10 spieletypischer Techniken. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Epic Meaning: Repräsentiert etwas Wichtigeres als man selbst ist, in Form einer Geschichte, z.B. Kampf Gut gegen Böse, Zombie-Apokalypse usw. Ein Handlungsstrang motiviert den Spieler dazu, die Aktivität fortzuführen.
- Level: Je höher der Level, desto besser der Spieler und desto mehr Features werden im Spiel freigeschalten. Der Eindruck von Fortschritt, Erfolg und Anerkennung spornt an weiterzuspielen.
- Countdown: Repräsentiert eine Restzeit, in der eine bestimmte Aufgabe gelöst werden muss. Ein Countdown ist ein wichtiges Motivationselement, eine Aufgabe so bald wie möglich zu erledigen.
- Badges: Medaillen, Abzeichen oder Embleme werden durch das Erfüllen bestimmter Aufgaben oder Quests erlangt. Sehr effektive Form, Anerkennung auszusprechen und den Status darzustellen.
- Rangliste: Repräsentiert die Platzierung, welche sich durch ein Punktesystem, Badges, Achievements und/oder Level errechnen lässt. Spornt den Anwender durch Konkurrenzdenken zum Weitermachen an.
- Punkte: Punkte, virtuelles Geld, Sterne, Extraleben für die Bewältigung von bestimmten Aufgaben. Sprechen materialistische Instinkte und das Bedürfnis nach kleinen Belohnungen an.
- Verbesserungen: Je weiter der Spieler vorankommt, desto mehr neue Fähigkeiten, Waffen und Befugnisse bekommt er geboten, z.B. in Form von Upgrades oder Power-Ups.
- Fortschrittsbalken: Visualisiert den Fortschritt sowie die noch offenen Ziele einer Aufgabe. Solange der Spieler sieht, dass der Balken nicht vollständig ist, setzt er in der Regel alles daran, um 100 % zu erreichen.
- Teamarbeit: Bildung von Gruppen oder Teams. Die Aufteilung der Menschen in Lager kann dazu beitragen, dass diese sich an Projekten reger beteiligen, sich mit den Teamkollegen identifizieren und motiviert sind, ihre Rivalen zu übertreffen.
- Transparenz des Resultats: Repräsentiert das vorzeitige Wissen eines Resultats, z.B. Schwierigkeitsgrad, Zeitaufwand und Höhe der Belohnung.
Diese Techniken oder Elemente dienen dem Zweck, einen Kontext zu gestalten. Indem Menschen beim Spielen ihre Bedürfnisse befriedigen können und deshalb ein sehr motiviertes Verhalten an den Tag legen:
Wenn das Spiel z.B. vom Kampf Gut gegen Böse handelt und ich das Böse besiegen möchte, befriedige ich damit mein Bedürfnis nach Purpose bzw. bin ich auf ein übergeordnetes Ziel fokussiert. Wenn ich meinen Charakter auf das nächste Level bringe, befriedige ich mein Bedürfnis nach Mastery und/oder einem höheren Status gegenüber meinen Mitbewerbern. OK, bisher ganz nett. Aber was bringt mir das Ganze als Führungskraft?
Wie kann Führung den Kontext gestalten?
Die Anleitung zur Kontextgestaltung ist ganz einfach. Spätestens ab Schritt 3 muss man jedoch besonders empathisch vorgehen, denn das Einfühlungsvermögen gibt Aufschluss über die Bedürfnisse anderer Menschen:
- Wer ist meine Zielgruppe?
- Was ist das gewünschte Zielverhalten?
- Welche Bedürfnisse können das Zielverhalten „motivieren“?
- Wie gestalte ich den Kontext, um diese Bedürfnis zu befriedigen?
In der nachfolgenden Abbildung sind mögliche Elemente zur Kontextgestaltung für Führungskräfte dargestellt. Die Ziffern 1-4 entsprechen den oben genannten Schritten.
Hier einige Beispiele, um die Schritte besser nachvollziehen zu können:
1. Zielverhalten | 2. Bedürfnis | 3. Kontextgestaltung |
Beim Unternehmen bleiben | Relatedness | Team-Arbeit einführen |
Eigenverantwortlich handeln | Autonomy | Selbstorganisation ermöglichen |
Gesamtzusammenhang kennen | Purpose | Vision und Mission erarbeiten |
Probleme kompetent lösen | Mastery | Weiterbildung fördern |
Max. Arbeitsleistung | Status | Rangliste einführen „Up or Out“ |
Fazit – Gamification
Verhaltenssteuerung durch Kontextgestaltung erinnert mich stark an Fußball über die Bande spielen. Man nützt das Spielfeld, um sein Ziel zu erreichen. Das funktioniert aber nur, wenn man ein Gefühl dafür entwickelt, wohin sich meine Mit- und Gegenspieler bewegen werden. Genauso braucht es in der Führung ein gutes Gespür, in welche Richtung es meine Mitarbeiter zieht. Motiviert meinen Mitarbeiter das Bedürfnis nach Status oder nach Relatedness? Wenn ich hier klar bin, kann ich eine geeignete Strategie zur Gamification bzw. Kontextsteuerung entwickeln.
Dr. Patrick Fritz
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