Nach einer Umfrage des Personaldienstleisters Hays ist mangelnde Zeit für Führungsaufgaben der größte Stolperstein für Führungskräfte. Wenn Führungskräfte keine Zeit für Führung haben, braucht es dann eine Trennung in disziplinarische Führung und fachliche Führung? In diesem FRITZ Tipp lade ich dich zu einem Gedankenexperiment zur Rolle des Führungsexperten ein?
Wie werden Führungskräfte zur Führungskraft?
Nach wie vor werden die besten Fachexperten zur Führungskraft ernannt, insbesondere auf der untersten Führungsebene, der Teamleiterebene. Ich vermute, dass liegt in der einfacheren Messbarkeit von Fachleistung. In der Fachwelt gibt es halt falsch und richtig. Läuft die Maschine oder läuft sie nicht? In diesem Zusammenhang wird von fachlicher Führung gesprochen:
Führung ist nach Rosenstiel zielbezogene Einflussnahme. Fachliche Führung ist ein Teil davon und bezieht sich auf Entscheidungsbefugnisse bei der inhaltlichen Durchführung von Arbeitsaufgaben. Im agilen Kontext soll fachliche Führung im Team durch den jeweils kompetenten Mitarbeiter erfolgen (Ask the team).
Quelle: Rosenstiel, Molt & Rüttinger (1988) und FRITZ Führungskreise
In der Führungswelt gibt es hingegen nicht nur 0 und 1, sondern unzählig viele Grautöne dazwischen. Vereinfacht gesagt, es menschelt halt sehr. Nicht umsonst ist die Zahl an Führungsratgebern unüberschaubar. Jeder Autor ist noch klüger und weiß noch besser Bescheid. Zur fachlichen Führung gesellt sich disziplinarische Führung dazu:
Führung ist nach Rosenstiel zielbezogene Einflussnahme. Disziplinarische Führung ist ein Teil davon und bezieht sich auf Entscheidungsbefugnisse bei formalen Maßnahmen wie z.B. Leistungsbeurteilung, Mitarbeitergespräch, Abmahnung, Kündigung, Gehalt, Weiterbildung, Urlaub. Disziplinarische Führung ist wesentliche Machtgrundlage von Führungskräften.
Quelle: Rosenstiel, Molt & Rüttinger (1988) und FRITZ Führungskreise
Wenn die besten Fachexperten zur Führungskraft werden, können diese keine Führungsexperten sein, sondern wenn überhaupt fachliche Führung übernehmen. Disziplinarische Führung ist ein Handwerk das neue Führungskräfte erst lernen müssen. In der Schule oder während des Studiums kann man es jedenfalls nicht lernen.
Fachliche und disziplinarische Führung trennen?
Dieser Gedanke hat etwas Reizvolles – findest du nicht auch? Ein Führungsexperte, der sich nur mit disziplinarischer Führung beschäftigt und sein Handwerk versteht. Alle anderen können in Ruhe ihrer fachlichen Arbeit nachgehen und werden nach allen Regeln der Kunst geführt. Was könnte man gegen diese Lösung haben, die gerade in Matrixorganisationen immer wieder praktiziert wird?
Auch Prof. Günther Ortmann regt an über Gewaltenteilung in Unternehmen nachzudenken. Seiner Meinung nach ist die Frustration, Wut oder Resignation auf Seiten derer groß, die den Entscheidungen der organisationalen Gesetzgeber, Ankläger und Richter in einer Person untergeben und unterworfen sind.

Der wohl wichtigste Kritikpunkt lautet wie folgt: „Der Führungsexperte hat sich nicht nach oben gearbeitet; er hat keine Ahnung von der fachlichen Arbeit, die wir machen; nur disziplinarisch führen ist zu wenig“. So oder so ähnlich könnte die Kritik lauten. Und ich glaube, mit unserem gegenwärtigen Verständnis von Führung wäre die Kritik 100% gerechtfertigt.
Diese Kritik wird also nur verstummen, wenn wir ein neues Verständnis von Führung entwickeln. Der Führungsexperte ist nicht die Personen, die unbedingt an der Spitze der Hierarchie steht. Führung ist eine Funktion oder Rolle, genauso wie Einkauf, Produktion und Vertrieb, die sich mit der Sicherstellung von Entscheidungsfähigkeit in der Organisation beschäftigt. Das ist keine bessere oder schlechtere Tätigkeit, aber es ist eine notwendige Funktion.
Recht und Pflicht von Führungskräften ist die Priorisierung bei Zielkonflikten. In diesem Sinne ist Führung eine notwendige Funktion im Unternehmen zur Sicherstellung der Entscheidungsfähigkeit bei Zielkonflikten. Ob Führung ohne die Insignien der hierarchischen bzw. formalen Macht funktionieren kann, bleibt an dieser Stelle eine offene Frage. Gerade bei agilen Arbeitsformen wie SCRUM, die Fach- und Führungskompetenz voneinander zu trennen versuchen, erleben wir gerade Work in Progress. Was meinst du?
Fazit – Fachliche und disziplinarische Führung
Das Rollenbild Führungsexperte erscheint auf den ersten Blick reizvoll. Wenn eine Führungskraft auch Zeit für disziplinarische Führung hat, kann man erwarten, dass der Führungserfolg (Mitarbeiterzufriedenheit und Leistungsbereitschaft) besser wird. Andererseits sind die Voraussetzungen für diesen Schritt nicht leicht zu erfüllen. Aus meiner Sicht müssen wir dazu die klassische Vorstellung von Führung über Bord werfen. Kann das gelingen?
Dr. Patrick Fritz
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