Das Modell der 4 Entwicklungsphasen eines Unternehmens nach Friedrich Glasl ist mir in mehreren Führungskreisen untergekommen. Glasl unterscheidet Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase und Assoziationsphase. In diesem FRITZ Tipp stelle ich dir die 4 Entwicklungsphasen anhand praktischer Beispiele vor.
Inhalt
Entwicklungsphasen einer Organisation
Das Modell nach Friedrich Glasl geht von 4 Entwicklungsphasen einer Organisation aus: Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase und Assoziationsphase. Wenn du auf den jeweiligen Link klickst, springst du direkt zur Beschreibung der jeweiligen Phase der Unternehmensentwicklung.

Pionierphase
In der Pionierphase befindet sich das Unternehmen in Aufbruchsstimmung, wie sie häufig in Start-Ups zu finden ist. Arbeitsteilung gibt es in der Pionierphase praktisch nicht, jeder macht alles. Die fachlichen Ansprechpartner sind unklar.
Wer das Sagen hat ist aber sehr wohl klar. Häufig lassen sich ähnliche Strukturen wie in einer Gr0ßfamilie wiederfinden. Der Gründer gleicht einer Vaterfigur und führt das Unternehmen durch Überzeugung.

Eine explizite Strategie gibt es nicht, eine implizite sehr wohl. Es gibt wenig Strukturen und Prozesse, was für Außenstehende schnell chaotisch wirkt. Positiv betrachtet könnte man in der Pionierphase auch von Organisation auf Zuruf sprechen.
Bis 15 Mitarbeiter funktioniert Organisation auf Zuruf sehr gut (frühere Großfamilien). Ab 15 Mitarbeitern bildet sich gerne eine Hierarchie zur einfacheren und besseren Koordination der Mitarbeiter heraus.
„Bei den Treffen im FRITZ Führungskreis Einkauf schätze ich besonders die Kollegiale Beratung. Wenn sich mehrere Einkaufsleiter den Kopf über ein Thema zerbrechen bzw. ihre Erfahrungen einbringen, treten immer wieder überraschende und oft auch überraschend einfache Lösungsansätze zu Tage.“
Differenzierungsphase
Natürliche Gruppen funktionieren bis 150 Mitarbeiter (Dunbar-Zahl). Mit mehr Menschen können wir keine engen Beziehungen pflegen. Hier findet häufig der Übergang von der Pionierphase in die Differenzierungsphase statt.
Der Übergang zu Arbeitsteilung und Spezialisierung wird notwendig (Taylorismus). Aufgrund des schnellen, aber auch unkontrollierten Wachstums muss mehr Ordnung in den Laden. Immer dort, wo es zur Arbeitsteilung kommt ist Koordination notwendig.

Die typischen Organigramme werden gezeichnet mit entsprechenden Stellenbeschreibungen. Regelkommunikation wird etabliert, die gehassten Jour fix werden eingeführt. Projektmanagement wird auf in der Differenzierungsphase zum Thema.
Der Gründer muss nicht unbedingt der Manager sein. Die Übergabe an ein professionelles Management kann zur Diskussion stehen. Dazu braucht es erstmals eine explizite Strategie, weil der Gründer nicht mehr alles vorgibt. Kontrolle und Steuerung erhalten in der Differenzierungsphase Stellenwert.
Fachkompetente Mitarbeiter können sich nur über ungeliebte Führungsverantwortung nach oben arbeiten. Abteilungen werden zu Silos, was zu einer zunehmenden Beschäftigung mit sich selbst führt. Laloux würde wohl von einer traditionellen konformistischen Organisationen sprechen.
Integrationsphase
Manche Organisationen wollen unbedingt den Spirit der Pionierphase erhalten und teilen sich bei ca. 250 Mitarbeiter in Business Units oder ähnliches auf. Wenn das nicht passiert, fangen nach meiner Erfahrung bei ca. 250 Mitarbeitern die Diskussionen rund um die Integrationsphase an.

Weg von Organigrammen, hin zu mehr Prozessen. Das Abteilungsdenken muss in der Integrationsphase überwunden werden, damit die Kundenorientierung wiederhergestellt werden kann. Soziale Fähigkeiten rücken in den Fokus, nachdem bisher nur die Fachlichkeit wichtig war. Teilweise könnte man von einem zurück zu den Wurzeln der Pionierphase sprechen. Aber auf Basis der Fortschritte der Differenzierungsphase.
„Nach einem Jahr im FRITZ Führungskreis Personal bin ich vom Konzept und von der Umsetzung begeistert. In den Workshops werden HR-Fragestellungen mittels externen Vorträgen und kollegialer Fallberatung kurz und knackig bearbeitet. Dies vor Ort bei den teilnehmenden Unternehmen. Es entsteht ein wertvolles Netzwerk und ich kann immer wieder Anregungen für die Umsetzung im eigenen Betrieb gewinnen. Die Themenstellungen werden von den Teilnehmern des Führungskreises selbst definiert und sind daher immer praxisrelevant. Wer die Möglichkeit zur Teilnahme hat, sollte die Chance nützen.“
Dadurch steigt zugleich die organisationale Komplexität. Nach meiner Erfahrung wird ab ca. 1.000 Mitarbeiter am gleichen Standort alles komplizierter. Zu viele Führungsebenen, zu viele Abhängigkeiten. Deshalb kommt es zur Zellteilung bzw. einem neuen Standort. Laloux würde wohl von einer modernen leistungsorientierten Organisationen sprechen.
Assoziationsphase
Bisher habe ich in dieser Aufzählung die Assoziationsphase immer ausgelassen, weil ich mir unter der Metapher des Organisations-Biotops von Friedrich Glasl wenig vorstellen konnte. Vielleicht noch der Supply Chain Management Gedanke, bei dem Wertschöpfungsprozesse über die Unternehmensgrenzen hinaus gestaltet werden sollen.
Inzwischen konnte jedoch Frederic Laloux konkrete Organisation aufzeigen, die der Assoziationsphase sehr nahekommen: Buurtzorg, FAVI, Morning Star, Sun Hydraulics. Laloux spricht von der integralen, evolutionären Organisation. Diese Organisationen haben evolutionäre Praktiken etabliert, die zumindest bis zur Integrationsphase kaum denkbar sind:
Moderne Praktiken | Evolutionäre Praktiken |
Pyramide | Selbstorganisierte Teams |
Top-Down-Entscheidung | Beratungsprozess |
Viele Besprechungen | Meeting-Praktiken |
Information ist Macht | Open Books |
Stellenzbezeichnungen | Flexible Rollen |
Supportfunktionen | Im Team integriert |
Fit Stellenbeschreibung | Fit Organisationssinn |
Weiterbildung vorgegeben | Weiterbildung freigestellt |
9 to 5 | Individuelle Zeitvereinbarung |
Individuelle Leistung | Teamleistung |
Individuelle Anreize | Selbst festgelegte Gehälter |
Nachteil der Assoziationsphase, wir können fast nur mit gut ausgebildeten Leuten arbeiten. Berufserfahrene die von außen dazu kommen, tun sich verdammt schwer reinzukommen.
Kritik an den Entwicklungsphasen einer Organisation
Häfele kritisiert das Modell von Lievegoed und Glasl, da sich Organisation seiner Erfahrung nach nicht wie Pflanzen, Tier oder Menschen in einer zeitlichen Abfolge entwickeln. Das heißt, eine Organisation kann sich nach der Gründung wie in der Pionierphase beschrieben entwickeln.
Genauso gut kann sich eine neu gegründete Organisation auch entlang der Merkmale der Integrationsphase entwickeln. Stattdessen führt er das systemische Modell der Entwicklungskulturen in die Diskussion ein. Darin werden 4 Entwicklungskulturen unterschieden:
- Familienkultur: Die Familie dient als Metapher. Eigentümer sind die Eltern. alle anderen Mitarbeiter repräsentieren die Kinder.
- Dissoziationskultur: Mit Dissoziation oder Zersplitterung ist eine übertriebene Differenzierung gemeint.
- Organismuskultur: Im Gegensatz dazu wird die Organisation als lebendes System begriffen. Kerngedanken sind die Prinzipien der Organisationsentwicklung.
- Kultur vernetzter Organisationen: Rechtlich selbstständige Einheiten verfolgen ein gemeinsames Netzwerkziel, z.B. Communities und Projektgemeinschaften.
Ich sehe viele Ähnlichkeiten zum Modell der Entwicklungsphasen von Glasl, allerdings lehnt Häfele eine zeitlich zwingende Abfolge der Entwicklungskulturen ab. Ich für meinen Teil sehe das entspannter, solange es dem Ratsuchenden Orientierung bei den nächsten Schritten der Unternehmensentwicklung liefert. Neben Glasl und Häfele, liefert Laloux ein drittes Phasenmodell.
Die integrale, evolutionäre Organisation nach Frederic Laloux
Auf dem Weg hin zur integralen, evolutionären Organisation unterscheidet Frederic Laloux ebenfalls 4 verschiedene Entwicklungsstufen einer Organisation, die sich stark an die Arbeiten von Wade und Wilber anlehnen. Die Parallelen zu Glasl zeige ich jeweils auf.
1. Tribale impulsive Organisationen
Ständige Machtausübung durch den Anführer, um den Gehorsam der Untergegebenen zu sichern. Angst hält die Organisation zusammen. Sehr reaktiv, kurzfristiger Fokus. Gedeiht in chaotischen Umgebungen. Beispiele: Mafia, Straßengangs, Stammesmilizen. USP: Arbeitsteilung und Befehlsautorität. Glasl würde wohl von der Pionierphase einer Organisation sprechen.

2. Traditionelle konformistische Organisationen
Stark formalisierte Rollen innerhalb einer hierarchischen Pyramide, Anweisung und Kontrolle von oben nach unten (WAS und WIE). Stabilität ist der höchste Wert und wird durch exakte Prozesse gesichert. Die Zukunft ist die Wiederholung der Vergangenheit. Beispiele: Kirche, Militär, Schulsystem. USP: Formale Rollen und wiederholbare Prozesse. Glasl würde wohl von der Differenzierungsphase einer Organisation sprechen.

3. Moderne leistungsorientierte Organisationen
Das Ziel ist, besser zu sein als die Konkurrenz, Profite zu erwirtschaften und zu expandieren. Durch Innovation kann man an der Spitze bleiben. Management durch Zielvorgaben. Anweisung und Kontrolle bei dem, WAS getan wird. Freiheit dabei, WIE es getan wird. Beispiele: Klassische Wirtschaftsunternehmen. USP: Innovation und Leistungsprinzip. Glasl würde wohl von der Integrationsphase einer Organisation sprechen.

4. Postmoderne pluralistische Organisationen
Innerhalb der klassischen Pyramidenstruktur, Fokus auf Kultur und Empowerment, um eine herausragende Motivation der Mitarbeiter zu erreichen. Beispiele: Kommunen, 68er Gegenbewegung, Sozialbereich. USP: Empowerment, Werteorientierte Kultur, Integration der Interessensgruppen. Glasl würde wohl auch in diesem Fall von der Integrationsphase eines Unternehmens sprechen, allerdings mit spezieller Ausprägung.

Das postmoderne Paradigma ist wirkungsvoll beim Einreißen alter Strukturen, aber oft weniger effektiv beim Formulieren praktikabler Alternativen (z.B. Alle Arbeiter besitzen das Unternehmen zu gleichen Teilen und entscheiden per Konsens).
Top 7 Tipps für Führungskräfte
Basierend auf dem Modell der Entwicklungsphasen einer Organisation nach Friedrich Glasl und aktuellen Erkenntnissen aus Forschung und Praxis, gebe ich dir als Führungskraft 7 Tipps für die Führung deiner Organisation an die Hand:
- Erkenne die aktuelle Entwicklungsphase: Als Führungskraft ist es wichtig, den aktuellen Entwicklungsstand des Unternehmens oder Bereichs zu identifizieren. Stelle fest, ob sich die Organisation in der Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase oder Assoziationsphase befindet.
- Passe dein Führungsstil an: Je nach Entwicklungsphase benötigt eine Organisation unterschiedliche Führungsansätze. In der Pionierphase kann eine starke Führungspersönlichkeit, wie der Gründer, von Vorteil sein, während in der Integrationsphase ein fördernder und unterstützender Führungsstil gefragt ist.
- Implementiere passende Strukturen und Prozesse: In den verschiedenen Entwicklungsphasen einer Organisation sind unterschiedliche Strukturen und Prozesse erforderlich. Stelle sicher, dass diese den aktuellen Anforderungen und dem Wachstum der Organisation gerecht werden.
- Fördere Teamarbeit und Kooperation: In der Differenzierungs- und Integrationsphase gewinnen Teamarbeit und Kooperation an Bedeutung. Unterstütze den Aufbau selbstorganisierter Teams und fördere den Austausch zwischen den Abteilungen.
- Berücksichtige Kundenorientierung: In der Integrationsphase und Assoziationsphase ist es entscheidend, die Kundenorientierung wieder in den Fokus zu rücken. Stelle sicher, dass die Prozesse und Strukturen darauf ausgerichtet sind, die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen.
- Entwickle Mitarbeiter weiter: Je nach Entwicklungsphase werden verschiedene Fähigkeiten und Kompetenzen bei den Mitarbeitern benötigt. Sorge dafür, dass Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln und ihr Potenzial auszuschöpfen.
- Achte auf Flexibilität: Die Assoziationsphase ist durch erhöhte Flexibilität und Vernetzung gekennzeichnet. Als Führungskraft solltest du darauf achten, dass die Organisation offen für neue Ideen und Veränderungen ist, um sich den Herausforderungen der dynamischen Umgebung anzupassen.
Indem du diese Tipps in der Praxis umsetzt, kannst du als Führungskraft dazu beitragen, dass dein Unternehmen oder dein Bereich erfolgreich durch die verschiedenen Entwicklungsphasen navigiert und sich weiterentwickelt.
FAQ zu den 4 Entwicklungsphasen einer Organisation
Fazit – Entwicklungsphasen einer Organisation
Im Führungskreis Softwareentwicklung stellt sich die Frage, warum funktioniert SCRUM bei Unternehmen A, aber nicht bei Unternehmen B. Im Führungskreis Produktion dreht sich die Diskussion nach selbem Muster zum Thema Shopfloor-Management. In der Personalleiter-Runde ähnlich zum Thema New Work.
Hier hilft es einen Schritt zurück zumachen und den eigenen Entwicklungsstand des Unternehmens zu betrachten. In welcher Entwicklungsphase befindet sich mein Bereich? Wohin wollen wir uns entwickeln? In diesem Zusammenhang habe ich das Modell der 4 Entwicklungsphasen einer Organisation als äußerst hilfreich erlebt!
Dr. Patrick Fritz
Hallo Patrick, vielen Dank für Deine hilfreiche Zusammenfassung und Verbindung der oben genannten Konzepte. Prozessmanagement wird oft als Instrument Vor Allem der Integrationsphase gesehen. Ich sehe eine wichtige Rolle für Prozessmanagement in jeder Phase/Kultur. Hast Du dazu auch eine Meinung/einen Beitrag? Jedenfalls hat Dein Tip Beitrag hat Lust auf mehr deiner Tipps gemacht.
Hallo Stefan, vielen lieben Dank für deinen Kommentar!
Grundsätzlich kann ich deinen Überlegungen viel abgewinnen. Wenn ich das Buzzword „Digitalisierung“ als Automatisierung von einfachen oder komplizierten Problemen sehe (siehe dazu https://www.fritz.tips/cynefin-erklaert-agilitaet-und-digitalisierung-2020/), dann spielt Prozessmanagement immer eine Rolle. Wie will ich automatisieren, wenn ich den Prozess nicht erfasst habe?
Wenn ich jetzt noch die Brille der Entwicklungsphasen dazu nehme, gibt es sicherlich Phasen der Unternehmensentwicklung in denen Prozessmanagement mehr oder weniger wichtig ist. Welche Prozess sollten z.B. in der Pionierphase beschrieben werden? Es gibt noch keine Standards, sie müssen erst gefunden werden.
Erst in der Differenzierungsphase kommt dann häufig Standards/Audits/Prozesse in Spiel. Wir müssen einen Standard beschreiben und durchsetzen, um überhaupt wachsen zu können. In der Integrationsphase merke ich dann, mit Standards kann ich nicht jedes Problem lösen. Auf Basis der Errungenschaften der Differenzierung gilt es als Organisation weiter zu lernen.
Beste Grüße
Patrick
Als Mitarbeiter in einem Startup kann ich zumindest die Pionier- und Differenzierungsphase sehr gut wiedererkennen. Auch die Frage von Stefan Müller kann ich nur zu gut nachvollziehen. Eine meiner mehr oder weniger offiziellen Aufgaben ist es, die Entwicklung des Unternehmens positiv zu beeinflussen. Dazu gehört insbesondere die Implementierung des Prozessgedanken und für mich auch das Prozessmanagement.
Dieser und auch andere deiner Beiträge helfen mir wirklich weiter, wenn ich unsere aktuellen Schwierigkeiten in der Organisation aufdecken oder benennen möchte. Manchmal merken wir bei uns, dass etwas nicht läuft ohne zu wissen, woran es liegt.
Vielen Dank also für die tolle Plattform!
Gruß
Paul