Im Führungskreis für Bürgermeister durfte ich lernen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig darüber Gedanken zu machen wie am Ende entschieden werden soll. Entscheidungen treffen funktioniert häufig durch Ausbleiben einer Reaktion. Schweigen bedeutet in diesem Fall Ablehnung. Wer den Entscheidungsprozess in Zukunft bewusster gestalten möchte, sei es in der Führung oder in Projekten, sollte die folgenden Methoden zur Entscheidungsfindung kennen.
Inhalt
Chef sagt an!
Wie Prof. Stefan Kühl in seinem Buch „Sisyphos im Management“ darstellt haben Hierarchien eine ganz wichtige Funktion. Sie reduzieren Konflikte, indem jede beliebige Diskussion durch Chef-Entscheid beenden werden kann. Gerne auch „per order mufti“ genannt. Appelo spricht von Tell oder Verkünden. Wulfes von der Top-Down Entscheidung.
Es gibt Situationen, bei denen keine lange Diskussion erwünscht, möglich oder sinnvoll ist. In diesem Fall wird das Gegenüber lediglich informiert: “Ich sage Euch, was Fakt ist und was wir tun”. Gerade wenn es sich um den Erhalt des Unternehmens dreht, kann „Chef sagt an“ die einzige Möglichkeit sein, um schnell und gezielt Entscheidungen treffen zu können.
Gleichzeitig wird die Gruppe durch Top-Down Entscheidung nur sehr gering einbezogen. Weshalb sie die mögliche Qualität der Entscheidungsimplementierung schmälert. Manchmal wird dieses Verfahren auch genutzt, um sich als Einzelperson oder Team aus der Verantwortung zu ziehen und Entscheidungen „hochzudelegieren“.
Schein bringt als Spielform die Entscheidung durch Autoritätsanmaßung ins Spiel. Autoritätsanmaßung ist, wenn ein Mitglied eine Maßnahme vorschlägt, keine weiteren Vorschläge gemacht werden, niemand etwas Negatives äußert und die Gruppe dem Vorschlag folgt – Schweigen bedeutet in diesem Fall Zustimmung.
Meinungsbildung
Auf Stufe 2 der Kommunikationstreppe nach Zumtobel, nutzt die Führungskraft die Erfahrungen der Betroffenen. Der Vorgesetzte informiert seine Mitarbeiter über anstehende Entscheidungen. Die Mitarbeiter haben die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern und Vorschläge zu entwickeln.
WICHTIG! Die endgültige Entscheidung, was zu tun ist, liegt nach wie vor bei der Führungskraft. Er fragt die Betroffenen um Rat, behält das Entscheidungsrecht aber nach wie vor bei sich.Eine Spielvariante der Meinungsbildung ist “Konsultativer Einzelentscheid”, auch „beauftragter Fallentscheid“ genannt. Dabei wird eine Einzelperson beauftragt allein zu entscheiden – das muss NICHT die Führungskraft sein – ist aber zur Konsultation verpflichtet. Das Vorgehen dazu sieht wie folgt aus:
- Wähle Entscheider: Der Entscheider sollte möglichst nahe am Problem sein, die Betroffenheit entsprechend groß. In den meisten Fällen wird es derjenige sein, der im alten Modus die Entscheidung an die nächste Ebene eskaliert hat.
- Auswahl Konsultationspartner: Hier sollten neben den am besten geeigneten internen und externen Experten, vor allem Kollegen ausgewählt werden, die von den Folgen der Entscheidung direkt betroffen sind.
- Konsultative Dialoge: Im Kern geht es hierbei um Wissens- und Erfahrungsaustausch. Was hat der jeweilige Kollege in ähnlichen Situationen gemacht, oder welche Optionen würde er empfehlen. Ziel ist lernen von- und miteinander.
- Auswahl Lösung: Der Entscheider übernimmt nun als Einzelperson die volle Verantwortung und entscheidet im Sinne des Unternehmens, unter Berücksichtigung der besten Ideen und Ratschläge der konsultierten Kollegen.
- Feedback geben: Die Gruppe für die entschieden wurde, gibt dem Entscheider Feedback. Falls es schiefgeht, stehen trotzdem alle hinter der Entscheidung, vor dem Hintergrund das der Entscheider sein Bestes getan hat.
Konsens
Im öffentlichen Umfeld gibt es Situationen, in denen die Entscheidungsbefugnis per Gesetz in der Gruppe liegt. In diesem Fall ist es nötig sich Gedanken zu machen, wie die Entscheidung in der Gruppe schlussendlich herbeigeführt werden kann.
Ein möglicher Weg zur Entscheidungsfindung in einer Gruppe ist der Konsens. Es wird so lange in der Gruppe diskutiert, bis eine Entscheidung ohne Gegenstimme möglich ist. Der Konsens setzt eine hohe Verantwortung der Gruppe voraus, weil ein einziges „Nein“ den weiten Prozess blockieren kann.
Entscheidungen per Konsens sind in der Regel besonders tragfähig, erfordern aber in vielen Fällen einen erheblichen zeitlichen Aufwand. Die Gefahr von faulen Kompromissen ist nicht zu unterschätzen (siehe „Österreichischen Lösung„).
Schein unterscheidet zwischen Konsens und Einmütigkeit. Konsens bedeutet für ihn eher, dass die Kommunikation ausreichend offen und das Gruppenklima ausreichend unterstützend war, um sämtlichen Gruppenmitgliedern das Gefühl zu geben, eine faire Chance zur Beeinflussung der Entscheidung gehabt zu haben. Einmütigkeit ist nicht immer nötig!
Mehrheit
Der Mehrheitsentscheid ist das wohl bekannteste und am häufigsten verwendete Entscheidungsverfahren. Ziel ist eine absolute oder relative Mehrheit zu finden, ähnlich wie wir es aus der Politik kennen. Bevor wir wichtige Entscheidungen treffen, sollen alle Wahlberechtigten darüber abstimmen.
ACHTUNG! Bei Mehrheitswahlen entstehen immer Gewinner und Verlierer. Die Mehrheit siegt, die Minderheit verliert. Da man alle mit im Boot haben will, haben die Verlierer die Ausrede: „Ich habe doch gesagt es funktioniert so nicht“. Wulfes schlägt in diesem Zusammenhang die Spielform der Widerstandsabfrage vor (siehe dazu auch die Systemprinzipien):1. Vorschläge vorstellen: Die verschiedenen Vorschläge werden kurz vorgestellt und Verständnisfragen geklärt.
2. Ergänzende Vorschläge: Der Vorschlaggeber erfragt, ob es weitere Lösungsvorschläge gibt.
3. Widerstände messen: Jeder gibt für jeden Vorschlag seinen Widerstand an. 1 = kein Widerstand bis 5 = hoher Widerstand. Die Werte werden aufsummiert.
4. Ergebnis feststellen: Der Vorschlag mit dem geringsten Widerstandswert (Summe) wird angenommen.
Konsent
Beim Konsent gilt eine Entscheidung, solange keiner einen schwerwiegenden Einspruch hat. Der Vorschlag gilt als akzeptiert, außer es gibt einen schwerwiegenden Einwand. Konsens ist, wenn alle dafür sind, Konsent wenn keiner dagegen ist.
Natürlich können Konsens und Konsent kombiniert werden, um Entscheidungen treffen zu können. Wenn z.B. Konsens über die gemeinsamen Ziele in einem Projekt hergestellt ist, kann im weiteren Verlauf nach Konsent verfahren werden. Das heißt, man vermeidet im weiteren Verlauf ständige Grundsatzdiskussionen.
Die integrative Entscheidungsfindung oder Einwandintegration bei Holacracy ist eine ganz konkrete Anwendung des Konsent-Prinzips. Das Vorgehen sieht wie folgt aus:
- Vorschlag präsentieren: Der Vorschlagende präsentiert seinen Vorschlag in der Runde, zur Lösung eines Problems.
- Verständnisfragen stellen: Anschließend können die Teilnehmer Verständnisfragen stellen, um den Vorschlag auch wirklich zu verstehen.
- Reaktionen einholen: Im nächsten Schritt gibt jeder Teilnehmer der Reihe nach seine persönliche Meinung zum Vorschlag ab.
- Vorschlag nachbessern: Basierend auf den Rückmeldungen aus der Runde hat der Vorschlagenden nun die Gelegenheit seinen Vorschlag klarzustellen oder ggf. nachzubessern.
- Einwände vorbringen: Nun werden alle Teilnehmer der Reihe nach befragt, ob sie einen tragfähigen und nachvollziehbaren Einwand haben den Vorschlag nicht umzusetzen („Do you see any reasons why adopting this proposal would cause harm or move us backwards„). Kommen keine Einwände, gilt der Vorschlag als angenommen. Kommen Einwände, geht es zu Schritt 6.
- Einwände integrieren: In offener Diskussion wird nun Einwand für Einwand besprochen. Wie muss der Vorschlag verbessert werden, um den Einwand aus der Welt zu schaffen, zumindest fürs Erste. Mit dem verbesserten Vorschlag geht es nochmals zu zurück zu Schritt 5 „Einwände integrieren“. Wenn keine Einwände mehr kommen, ist der Vorschlag angenommen („safe enough to try“).
Fazit – Entscheidungen treffen
Da wir den Prozess der Entscheidungsfindung selten bewusst steuern, manövrieren wir uns gerne in Fallen. Wenn wir beispielsweise auf Beteiligung setzen, nur weil es gerade „In“ ist, haben wir im schlimmsten Fall viele Meinungen, können aber keine Entscheidungen treffen. Deshalb ist es notwendig sich nicht nur über Problem und Ziele zu unterhalten, sondern auch wie wir Entscheidungen treffen wollen: Chef sagt an, Meinungsbildung, Konsens, Mehrheit oder Konsent?
Dr. Patrick Fritz
Hallo Patrick,
ich bin gestern erst über deinen Blog gestolpert – vielen Dank für die vielen guten Artikel mit guten Denkanstößen. Zu dem Thema wer entscheidet was finde ich Delegation Poker/das Delegation Board sehr gut: https://management30.com/practice/delegation-poker/
Für viele Führungskräfte ist es total neu, sich über verschiedene Stufen der „Entscheidungs-Gewalt“ Gedanken zu machen.
Viele Grüße
Sven