John P. Kotter, emeritierter Professor für Leadership an der Harvard Business School, ist seit 1995 mit seinem Artikel „Leading Change: Why Transformation Efforts Fail“ im Harvard Business Review zum Papst der Change Management Szene aufgestiegen. Grund genug seine Arbeit in diesem FRITZ Tipp kritisch zu beleuchten.
Inhalt
Was ist Change Management?
Einfach erklärt, versammeln sich unter dem Regenschirm Change Management oder Veränderungsmanagement alle Aktivitäten, die sich mit der Gestaltung von Veränderungsprozessen beschäftigen, um von A nach B zu kommen. A ist die unangenehme Ausgangssituation. B ist der gewünschte Zielzustand.
Change Management Beispiele
Diese Reise von A nach B kann mit unterschiedlichsten Titeln versehen werden: Turnaround, Kostensenkung, Outsourcing, Fusion, Reorganisation, Prozessoptimierung, Total Quality Management, Einführung von IT-Systemen, Kulturveränderung.
All diese Problemstellungen können unter der Klammer Change Management zusammengefasst werden. Die genannten Change Management Beispiele werden in den allermeisten Fällen als Projekte durchgeführt. Berner unterteilt Change Management Projekte in „Pull“ und „Push“:

Pull-Projekte haben eine hohe Bedrohlichkeit für das Unternehmen und bringen einen hohen Informationsbedarf der Betroffenen mit: Turnaround, Sanierung, Fusion, Kostensenkung, usw.
Push-Projekte sind nicht bedrohlich, erfordern jedoch eine Verhaltensänderung der Betroffenen: Vision, Leitbild, Kultur, TQM, usw.
Bei Change Management Projekten, egal ob Push oder Pull, wir das Management der Veränderung allzu gerne vergessen. Kotter folgend unterlaufen selbst erfahrenen Managern immer wieder schwerwiegende Fehler bei Veränderungsprozessen:
- Not Establishing a Great Enough Sense of Urgency
- Not Creating a Powerful Enough Guiding Coalition
- Lacking a Vision
- Undercommunicating the Vision by a Factor of Ten
- Not Removing Obstacles to the New Vision
- Not Systematically Planning For and Creating Short-Term Wins
- Declaring Victory Too Soon
- Not Anchoring Changes in the Corporation’s Culture
Kotters 8 Stufen Modell
Es gibt unzählige Change Management Prozesse oder Change Management Modelle. Alle gehen der Frage nach, wie kann erfolgreiche Veränderung gelingen. Der wohl bekannteste Change Management Prozess ist das 8 Stufen Modell nach Kotter. Das 8 Stufen Modell baut auf den von ihm identifizierten typischen Fehlern in Change Projekten auf:
Typische Fehler | Change Prozess Phase |
Not Establishing a Great Enough Sense of Urgency | Gefühl der Dringlichkeit vermitteln |
Not Creating a Powerful Enough Guiding Coalition | Führungskoalition aufbauen |
Lacking a Vision | Vision und Strategie entwickeln |
Undercommunicating the Vision by a Factor of Ten | Vision kommunizieren |
Not Removing Obstacles to the New Vision | Hindernisse aus dem Weg räumen |
Not Systematically Planning For and Creating Short-Term Wins | Kurzfristige Erfolge sichtbar machen |
Declaring Victory Too Soon | Veränderung weiter antreiben, nicht nachlassen |
Not Anchoring Changes in the Corporation’s Culture | Veränderungen in der (Unternehmens-)Kultur verankern |
Nach Kotter sind die 8 Stufen erfolgskritischer Bestandteil eines jeden Veränderungsmanagements:
Lewin 3 Phasen Modell vs Kotter 8 Stufen Modell
Neben den klassischen Führungsstilen, verdanken wir dem berühmten Sozialpsychologen Kurt Lewin (1890-1947) das 3 Phasen Modell des Change Managements. Nach seiner Auswanderung arbeitete er an der Frage, wie Deutschland nach Kriegsende in Richtung Demokratie verändert werden könnte. Veränderungen in gesellschaftlichen Gruppen erfolgen nach Lewin in 3 Phasen:
- Unfreezing oder Auflockern: Damit ist die Vorbereitung auf die anstehende Veränderung gemeint.
- Moving oder Hinüberleiten: Durch direkten Eingriff und Training werden neue Gruppenstandards etabliert.
- Freezing oder Verfestigen: Über die Einführung hinweg, wird überwacht ob der Change Prozess funktioniert.
Obwohl das 3-Phasen-Modells für die Erklärung von Veränderungsprozessen in gesellschaftlichen Gruppen dient, gilt das Modell heute als Pioniertheorie im Bereich Veränderungsmanagement. Vor diesem Hintergrund kann Kotters 8 Stufen Modell als Weiterentwicklung von Lewins 3 Phasen Modell gesehen werden.
Die Prozessphasen 1-4, Gefühl der Dringlichkeit vermitteln, bis Vision kommunizieren, kann mit Unfreezing zusammengefasst werden. Die Prozessphasen 5-7, Hindernisse aus dem Weg räumen, bis Veränderung weiter antreiben, hört sich sehr nach Moving an. Und Refreezing erscheint mir ein schönes Synonym für Veränderung in Unternehmenskultur verankern zu sein.
7 Phasen der Veränderung vs Kotters 8 Stufen Modell
Push-Projekte wie Vision, Leitbild und Kultur sind nicht bedrohlich, erfordern jedoch eine Verhaltensveränderung der Betroffenen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die typischen Change Management Phasen zu kennen. Elisabeth Kübler-Ross beschreibt das emotionale Erleben von Menschen in 7 Phasen der Veränderung. Welche Phasen macht ein Mensch auf der emotionalen Ebene durch, wenn er mit einer Veränderung konfrontiert ist?
- Schock: Veränderung ist emotional ein Schock. Der Mensch ist und bleibt ein Gewohnheitstier. Damit verbunden ist immer auch ein Stück Verdrängung.
- Verneinung: Auf den Schock folgt eine heftige Abwehr-Reaktion. Die betroffenen Mitarbeiter wollen nämlich zeigen, dass alles gut ist, wie es ist.
- Trauer: Die Veränderungsbereitschaft ist am Boden angelangt. Als Führungskraft gilt es Feingefühl walten zu lassen, um die Mitarbeiter nicht zu überfordern.
- Abschied: Der Trauer folgt innerlicher Abschied: „Ja, ich lasse das Alte los – es ist aus und vorbei – ich muss mich mit den neuen Gegebenheiten auseinandersetzen“.
- Akzeptanz: Ich stelle mich langsam auf die neue Situation ein. Die Akzeptanz der neuen Situation tritt ein. Die Veränderungsbereitschaft erhöht sich langsam.
- Ausprobieren: Ich versuche mich mit den neuen Gegebenheiten anzufreunden. Vielleicht hat die Veränderung auch sein Gutes.
- Integration: Ich habe mich mit der neuen Situation vertraut gemacht. Nun gilt es sich einzuschwingen, damit in Zukunft alles glatt läuft und Stabilität einkehren kann.
Für mich sind die 7 Phasen der Veränderung, die ideale Ergänzung zu Kotters 8 Stufen Modell. Während Kotter den Veränderungsmanager oder Change Manager anspricht und ihm eine Schritt für Schritt Anleitung liefert, fokussieren die 7 Phasen auf den Betroffenen der Veränderung. In der nachfolgenden Abbildung habe ich die beiden Modelle übereinandergelegt:
Change Management Methoden
Bei der Frage nach Change Management Methoden lohnt ein Blick im Regal der Führungsliteratur. Ähnlich den klassischen Führungsstilen nach Lewin wird zwischen autoritären von kooperativen Veränderungsstrategien unterschieden. In diesem Spektrum lassen sich nach Rieckmann folgende Change Management Methoden identifizieren:
Befehl und Gehorsam entsprechen dem autoritären Führungsstil, in diesem Fall auch gerne Bombenwurf-Strategie genannt. Totale Partizipation und Organisationsentwicklung entsprechen dem kooperativen Führungsstil. In diesem Fall auch gerne Bottom-Up-Strategie genannt.
Meines Wissens gibt es keine empirisch belegten Aussagen, welche Change Management Methode die Beste ist. Die eigentliche Frage lautet wohl eher, woran will ich glauben. Glaube ich eher an den Erfolg autoritärer/direktive Techniken oder an kooperative/partizipative Instrumente?
Die vorliegende Empirie scheint einen Tick mehr auf ersteres hinzuweisen. Zum anderen gibt Snowden eine klare Richtung vor. Je einfacher das Problem, desto eher autoritäre, direktive Change Management Methoden. Je komplexer das Problem desto eher kooperative, partizipative Change Management Methoden.
Change Management vs Organisationsentwicklung
Worin unterscheidet sich Change Management von Organisationsentwicklung? Nach Häfele ist Organisationsentwicklung definiert als:
(..) ein Veränderungsprozess einer Organisation und der darin tätigen Menschen, der sich an bestimmten Werten und Prinzipien orientiert.
In diesem Sinne beschreibt klassische Organisationsentwicklung eine wertorientierte Haltung für die Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen. Janes stellt fest, die Grenze zwischen Change Management und Organisationsentwicklung ist in der Praxis ausgesprochen unklar – dennoch sind es zwei verschiedene Zugänge zur Steuerung und Gestaltung von Veränderungen.
Change Management setzt auf Veränderungen von außen oder Oben mit dem Ziel die Veränderung zu beschleunigen. Organisationsentwicklung setzt auf Veränderung von Innen oder Unten mit dem Ziel die Betroffenen bestmöglich zu integrieren.
Fazit – Change Management nach John Kotter
Der intuitive und praktische Charakter des 8 Stufen Modells nach Kotter trägt mit Sicherheit zu dessen großer Popularität bei. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass keinerlei Studien existieren, die die Wirksamkeit des Vorgehensmodells nachweisen (Vgl. Appelbaum, Habashy, Malo, Shafiq 2012).
Unter dem Strich hat John Kotter die Wahrnehmung dafür geschärft, das Management der Veränderung an sich nicht zu unterschätzen. Ähnlich Projektmanagement, braucht es sowohl inhaltliche Arbeit als auch Arbeit am Prozess. Menschen verhalten sich eher wie Hardware als Software.
Dr. Patrick Fritz
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