Referentin Irmina Zunker hat im Rahmen des Führungskreis Softwareentwicklung das Modell der Change Kurve nach Elizabeth Kübler-Ross vorgestellt, dass beim Verstehen von Veränderungen helfen soll.
Das Thema Veränderung begleitet mich in zahlreichen Workshops. Sei es der große Top-Down-Change durch die Geschäftsleitung. Oder der kleine Bottom-Up-Change in der Produktion (KVP). Es ist wohl kein Geheimnis, dass viele Veränderungsvorhaben schiefgehen. Studien legen nahe, dass immer noch zwischen 60 und 70 Prozent aller Change-Projekte in Unternehmen scheitern.
Das obwohl es sich doch eigentlich einfach anhört. Wir müssen den Schalter umlegen und ab Morgen funktioniert alles besser. Heute haben wir Situation A, morgen haben wir Situation B. In diesen Betrachtungen fehlt jedoch immer der zentrale Faktor Mensch und seine Emotionen.
Change Kurve zeigt Emotionen auf
Die Change Kurve beschreibt das emotionale Erleben von Menschen in Veränderungsprozessen. Dieser sieben-stufige Prozess wurde bereits 1969 veröffentlicht und beruht auf zahlreichen Interviews mit Sterbenden und Trauernden.
Das nachfolgende Schaubild von Irmina Zunker gibt einen ersten Überblick. Auf der X-Achse ist die Zeit aufgetragen, auf der Y-Achse die Veränderungsbereitschaft der betroffenen Personen. Welche Phasen macht ein Mensch auf der emotionalen Ebene durch, wenn er mit einer Veränderung konfrontiert ist?
1. Schock
Am Anfang steht meist eine negative Vorahnung, die plötzlich real wird. Die Folge ist erst einmal ein Schock. Veränderung ist emotional immer ein Schock. Die Schwere des Schocks ist davon abhängig, welche Auswirkungen eine Veränderung für den Betroffenen mit sich bringt. Der Mensch ist und bleibt ein Gewohnheitstier.
2. Leugnung
Auf den Schock folgt eine heftige Abwehr-Reaktion. Die betroffenen Mitarbeiter wollen nämlich zeigen, dass alles gut ist wie es ist. Damit verbunden ist immer auch ein Stück Verdrängung: „Davon bin ich sicherlich nicht betroffen, das geht nur die Anderen etwas an.“ Diese Verneinung ist eine völlig normale Reaktion.
3. Trauer
Nach erstem Schock und typischer Verneinung folgt Trauer. In schlimmen Fällen sogar Depression. Gerne auch Tal der Tränen genannt. In dieser Phase ist es nicht möglich etwas bewegen zu wollen. Die Veränderungsbereitschaft ist am Boden angelangt. Als Führungskraft gilt es Feingefühl walten zu lassen, um die Mitarbeiter nicht zu überfordern.
4. Abschied
Der Trauer folgt innerlicher Abschied: „Ja, ich lasse das Alte los – es ist aus und vorbei – ich muss mich mit den neuen Gegebenheiten auseinandersetzen“. Auf rationaler, nicht emotionaler, Ebene wird die Entscheidung zur Veränderung akzeptiert. Auch hier hat es keinen Sinn, wenn die Führungskraft versucht von außen zu motivieren. Die Veränderungsbereitschaft ist nach wie vor im Keller.
5. Akzeptanz
Ich stelle mich langsam auf die neue Situation ein. Die Akzeptanz der neuen Situation auf emotionaler Ebene tritt ein. Die Veränderungsbereitschaft erhöht sich langsam. Nun ist es als Führungskraft an der Zeit Perspektiven aufzuzeigen. Die Energie ist jetzt sinnvoll investiert. Davor ist es nicht machbar in die Zukunft zu blicken.
6. Ausprobieren
Ich versuche mich mit den neuen Gegebenheiten anzufreunden. Vielleicht hat die Veränderung auch ihr Gutes. Einfach mal probieren wie es mir damit geht. Warum nicht? Rückschläge aber auch Erfolge gehören mit dazu. Das Einfinden in der neuen Rolle oder Position beginnt.
7. Sich einschwingen
Ich habe mich mit der neuen Situation vertraut gemacht. Vielleicht mit der neuen Rolle oder Organisationsstruktur. Die veränderte Situation ist zur Normalität geworden. Nun gilt es sich einzuschwingen, damit in Zukunft alles glatt läuft und Stabilität einkehren kann… bis zur nächsten Veränderung!
UPDATE 2017: Eine Variante der Change Kurve
Referentin Andrea Kaiser hat in einem Workshop im Rahmen des Führungskreis Produktion eine nützliche Variante der Change Kurve vorgestellt:
Im Gegensatz zur vorherigen Abbildung ist auf der Y-Achse nicht die Veränderungsbereitschaft, sondern die Produktivität abgetragen. Aus dieser Betrachtung ergeben sich zum einen die fünf zentrale Gefahren, die Führungskräfte in Veränderungsprozessen beachten müssen. Zum anderen sind auf den gelben Kärtchen auch die nötigen Maßnahmen notiert, die es braucht, um heil durch die Change Kurve zu kommen:
- Transparenz: Zu späte oder unklare Kommunikation der anstehenden Veränderung verlängert den Schock-Zustand unnötig. Klatsch und Tratsch nehmen überhand.
- Glaubwürdigkeit: Wenn die Produktivität unerwartet steigt, handelt es sich um eine natürliche Reaktion auf die Veränderung. Beim ersten Widerstand einzuknicken und alles abzublasen wäre ein großer Fehler, der die eigene Glaubwürdigkeit enorm beschädigt.
- Plattform für Emotionen: Wenn Produktivität und Stimmung im Keller sind, lohnt es sich nicht, aufmunternde Sprüche zu reisen. Hier gilt es den Emotionen eine Plattform zu geben und berechtigte Trauer zuzulassen. Schließlich war früher nicht alles schlecht. Es lohnt sich, im Tal der Tränen darum zu trauern.
- Beteiligung: Ich bin kein Freund von unreflektierter Beteiligung. Vor allem wenn es darum geht, Verantwortung für die inhaltliche Ausrichtung zu delegieren. Wenn es aber um die Ausgestaltung der gesetzten Veränderungsziele geht, kann Beteiligung durchaus zum Erfolgsfaktor werden.
- Zeit: Größere Veränderungsprozesse können bis zu 18, max. 24 Monate dauern. Nur weil man am Gras zieht, wächst es auch nicht schneller. Soll heißen: Führungskräfte müssen der Veränderung die notwendige Zeit einräumen.
UPDATE 2020: Umgang mit Widerständen in der Change Kurve
Wie schnell die sieben Phasen durchlaufen werden und wie ausgeprägt die Höhen und Tiefen sind, hängt von jedem Einzelnen ab. Aus dieser Erkenntnis könnte man als Führungskraft schließen, dass man nur lange genug warten muss, bis alle Mitarbeiter durch die Change Kurve hindurch sind. Die Widerständen lösen sich von selbst auf. FEHLER!
10-20% der Betroffenen einer Veränderung werden immer begeistert sein. Häufig die Leute die sich durch die Veränderung eine Verbesserung versprechen. Ebenso werden 10-20% der Betroffenen sich partout nicht für die Veränderung begeistern können. Auch in diesen Fall wahrscheinlich die Leute, die sich eine Verschlechterung durch den Change erwarten. Die Mehrheit der Betroffenen hat ein Fragezeichen auf der Stirn und ist unentschlossen.
Aus dieser Betrachtung ergibt sich eine zentrale Gefahr, die Führungskräfte beachten müssen: Man fokussiert sich ausschließlich auf die Gegner der Veränderung. Die Leute die also Wind machen und in offene Oppositionen treten. Wenn man seine eigene Energie zu stark auf die Gegner lenkt, besteht die Gefahr, dass die Fragezeichen ebenfalls in diese Richtung schwappen. Dabei gibt es genauso viele Fürsprecher, denen nur eine geeignete Bühne geschaffen werden muss, um die Fragezeichen in diese Richtung zu bewegen.
Fazit – Change Kurve nach Kübler-Ross
Versuche als Führungskraft deine Mitarbeiter in der Change Kurve einzuordnen. Naturgemäß hat die Führungskraft die Change Kurve bereits durchlaufen. Während der Mitarbeiter noch in der Trauerphase steckt. Immerhin wurde er gerade erst informiert, während die Führungskraft mit dem Thema quasi durch ist. Somit ergibt sich Orientierung für den richtigen Zeitpunkt, wann bestimmte Aufgaben im Change-Prozess angepackt werden können und müssen.
Dr. Patrick Fritz
Sehr hilfreich, vielen Dank!