Nach Workshops mit Heiko Gebauer vom Fraunhofer-Zentrum IMW und Georg von der Ropp vom BMI Lab ist mir klar geworden, produktorientierte Geschäftsmodelle kommen an ihre Grenzen! Der Produktpreis sinkt in vielen Produktkategorien mit jeder Produktgeneration. Doch wie soll man darauf reagieren? Das Business Model Canvas liefert die perfekte Basis zur Analyse des eigenen Geschäftsmodells und zeigt neue Möglichkeiten auf. In diesem FRITZ Tipp bekommst du zahlreiche Beispiele und Vorlagen zum Business Model Canvas.
Inhalt
Option 1: Produktinnovation
Die häufigste Reaktion auf sinkende Produktpreise ist Produktinnovation. Das Produkt muss besser werden und immer wieder neue Funktionen und Features bieten. Am Beispiel Notebook heißt das konkret: höhere Auflösung, längere Akkulaufzeit, größere Festplatte, schnellerer Prozessor.

Produktinnovation allein scheint nicht auszureichen. Sonst würde der Preis zumindest konstant bleiben. Investitionen in R&D generieren einen Vorsprung und ein Preis-Premium vor dem Wettbewerb, aber der Grenzertrag wird geringer. Der Kunde erwartet sich bessere Leistung, für einen niedrigeren Preis.
Option 2: Dienstleistungsinnovation
Eine weitere gebräuchliche Option, um auf sinkende Preise zu reagieren, ist die Ergänzung des physischen Produktes um Dienstleistungen. Ich schreibe diesen FRITZ Tipp gerade auf einem Lenovo-Laptop. Ein Blick auf deren Webseite zeigt was ich meine: Garantieerweiterung, Konfigurationsservice, Bereitstellungsservice, Hardwareservices und Finanzdienstleistungen.




Viele Industrieunternehmen knabbern genau an dieser Stelle. Die Gewinnspanne für Dienstleistungen ist höher als für physische Produkte. Allerdings skalieren diese schlechter. Dienstleistungen sind oft vor Ort beim Kunden zu erbringen, ggfs. muss eine Service-Mannschaft aufgebaut werden. Hier kommen also gegenüber dem Produktgeschäft viele Herausforderungen dazu, die erst einmal bewältigt werden müssen.
Option 3: Geschäftsmodellinnovationen
Der dritte Ansatz, um auf sinkende Preise zu reagieren, besteht darin, dass eigene Geschäftsmodell zu hinterfragen. Ein Geschäftsmodell definiert sich nach Alexander Osterwalder wie folgt:
Bei Geschäftsmodellinnovationen wird also nicht nur das Produkt verbessert oder um eine produktnahe Dienstleistung ergänzt, sondern jeder Baustein des Geschäftsmodells kann Ansatzpunkt für Innovation sein. Zum Beispiel neue Kundensegmente, andere Vertriebskanäle oder andere Erlösmodelle.
Auch eine Kombination von Bausteinen ist denkbar, wenn z.B. vorhandene Produkte und Dienstleistungen zu Lösungen für ein bestimmtes Kundensegment verknüpft werden. Michelin verkauft Kilometer anstelle Reifen. Rolls-Royce verkauft Flugstunden anstelle Turbinen.
Geschäftsmodellinnovationen versprechen höhere Gewinnspannen als Produkte und Dienstleistungen und nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Allerdings steigt der Aufwand von Stufe zu Stufe. Als Daumenregel hat sich nach Gebauer bewährt:
- Produkt x Faktor 1
- Dienstleistung x Faktor 2
- Lösung x Faktor 3
Unabhängig vom Aufwand, wie gehen wir bei Geschäftsmodellinnovation vor? Hier hat Alexander Osterwalder mit seinem Beststeller Business Model Generation wahre Pionierarbeit geleistet. Der Kerngedanke von Osterwalder kristallisiert sich im Business Model Canvas.
Business Model Canvas Vorlage und Beispiel
Zur Beschreibung des aktuellen Geschäftsmodells hat sich das Business Model Canvas Template [PDF] von Osterwalder und Pigneur weitestgehend durchgesetzt. Beim Klick auf die nachfolgende Abbildung kannst du dir eine Business Model Canvas Vorlage als PDF herunterladen:
Als Business Model Canvas Beispiel habe ich das Geschäftsmodell von FRITZ Führungskreise visualisiert. Die nachfolgende Abbildung zeigt zusätzlich die Reihenfolge, in der ich die Bausteine erarbeitet habe, von 1. Kundensegmente bis 9. Kostenstruktur.
Mit 3. Kanäle sind übrigens Vertriebskanäle gemeint, mit 4. Kundenbeziehungen ist die Frage verbunden wie die Kunden gehalten werden sollen. Auch dieses Business Model Canvas Template [PDF] von FRITZ Führungskreise kannst du dir beim Klick auf die nachfolgende Abbildung herunterladen:




Leider hören die meisten Artikel zum Business Model Canvas genau an der Stelle auf, wo es richtig spannend wird. Was soll nun mit der Beschreibung des IST-Geschäftsmodells gemacht werden? Wie kommen wir auf neue Ideen? Dabei haben sich für mich in der Praxis die drei Zugänge Lean Startup, Business Model Navigator und Megatrends-Map bewährt.
Business Model Canvas und Lean Startup
Zur Beantwortung der Frage nach dem SOLL-Geschäftsmodell bin ich bei Eric Ries und seinem Buch „Lean Startup“ hängen geblieben. Nach Ries existieren Startups, um zu lernen, wie man ein tragfähiges Geschäftsmodell aufbaut.
Wenn das gegenwärtige Geschäftsmodell nicht funktioniert wie gewünscht, empfiehlt er sogenannte Kurskorrekturen. Dabei handelt es sich um Denkschablonen, wie ein Geschäftsmodell verändert werden kann:
- Zoom-in-Korrektur: Fokus auf einen kleinen Bestandteil des bisherigen Leistungsversprechens.
- Zoom-out-Korrektur: Das gegenwärtige Leistungsversprechen im größeren Kontext sehen und entsprechend erweitern, z.B. Produkt erweitert um Dienstleistung.
- Kundensegmentkorrektur: Andere Zielgruppen oder Kundensegmente für die gegenwärtige Leistung.
- Kundenbedarfskorrektur: Anpassen des Wertversprechens an ggfs. veränderte Kundenbedürfnisse.
- Plattformkorrektur: Anstelle einer App eine Plattform anbieten.
- Korrektur der Geschäftsarchitektur: Anstelle hoher Margen – niedriges Volumen, umstellen auf niedrigere Margen – hohes Volumen. Bestes Beispiel ist Amazon.
- Wertschöpfungskorrektur: Einen anderen Teil der bisherigen Wertschöpfung als bisher zu Geld machen.
- Korrektur des Wachstumsmotors: Umstellen von viraler Kommunikation (z.B. Testimonials) zu bezahlter Kommunikation (z.B. AdWords).
- Absatzwegkorrektur: Möbel über Internet verkaufen, anstelle über den Einzelhandel.
- Technologiekorrektur: sagt bereits der Name.
Die Zoom-in-Korrektur erinnert mich stark an die Blue Ocean Strategie nach Kim und Mauborgne.
Business Model Canvas und Business Model Navigator
Eine weitere Möglichkeit, um an neue Ideen für das eigene Geschäftsmodell zu kommen ist der Business Model Navigator von Gassmann, Frankenberger und Csik. Den Autoren folgend ist eine Geschäftsmodellinnovation, wenn mindestens 2 der folgenden 4 Geschäftsmodelldimensionen verändert werden:
- Wer sind ihre Zielkunden (=Kundensegmente)?
- Was offerieren sie ihren Zielkunden (=Wertangebote)?
- Wie erstellen Sie das Nutzenversprechen (=Schlüsselaktivitäten/-ressourcen)?
- Wie generieren sie Erträge (=Einnahmequellen)?
Die Denkschablonen für die Veränderung des Geschäftsmodells, werden in Form von 55 Geschäftsmodell-Mustern vorgestellt. Diese können dabei helfen, innovative Geschäftsmodelle zu finden. Hier als unterhaltsames Video im schnellen Überblick:
Beispiele für Geschäftsmodell-Muster sind u.a. Flatrate (Netflix), Supermarket (Toys’r’us), Rent instead of buy (Xerox), Experience Selling (Starbucks), eCommerce (Amazon), Razor and Blade (Gillette), usw.
Business Model Canvas und Megatrends
Spannend finde ich auch das Geschäftsmodell aus der Sicht eines Megatrends zu betrachten. Was bedeutet ein für uns aktueller Megatrend für die Zukunft des eigenen Geschäftsmodells? Hier hilft ein Blick auf die Megatrend-Map des Zukunftsinstituts:




Paradebeispiel Nr. 1 ist aktuell der Megatrend Digitalisierung. Wie sieht unser künftiges Geschäftsmodell aus, wenn wir es mit der HoloLens auf dem Kopf betrachten?
Egal welcher Zugang gewählt wird, wir werden ein oder mehrere SOLL-Geschäftsmodelle erhalten. Daraus lassen sich mit geschultem Blick strategische Handlungsfelder für die weitere Umsetzung ableiten.
Osterwalder schlägt einen fünfphasigen Prozess vor: 1. Mobilisieren, 2. Verstehen, 3. Gestalten, 4. Implementieren und 5. Durchführen. Gassmann, Frankenberger und Csik gehen mit 1. Initiierung, 2. Ideenfindung, 3. Integration und 4. Implementierung ähnlich vor.
Was kann der Business Model Canvas nicht?
Jetzt hört sich das Ganze zu gut an, um wahr zu sein. Was kann der Business Modell Canvas nicht bzw. worauf wird bewusst verzichtet? Aus meiner Sicht deckt der Business Modell Canvas alles ab, was es für eine Geschäftsmodellinnovation bzw. agile Strategieentwicklung in einem begrenzten, kurzfristigen Zeithorizont braucht. Die langfristige Perspektive wird allerdings außen vorgelassen. Damit meine ich konkret die Themen Mission und Vision:
- Mission: Unter Mission verstehe ich den Auftrag der Organisation. Wozu gibt es uns eigentlich? Im besten Fall stimmen Mission und IST-Geschäftsmodell zusammen. Im schlimmsten Fall ist hier über die Jahre eine Lücke entstanden. Das Unternehmen hat sich von seinem ursprünglichen Auftrag entfernt.
- Vision: Unter Vision verstehe ich die Vorstellung eines idealen zukünftigen Zustandes der Organisation (desired future). Auch hier wieder dasselbe Spiel. Idealerweise sind SOLL-Geschäftsmodell und Vision deckungsgleich. In der Realität kann das SOLL-Geschäftsmodell aber einfach ein weiterer iterativer Schritt hin zur Vision – zur desired future sein.
Richter bringt es in diesem Zusammenhang gut auf den Punkt: „Ein naives Verständnis von Agilität bleibt bei dieser Kurzfristigkeit stehen und weigert sich, langfristig bindende Entscheidungen zu treffen. Reine Kurzfristigkeit ohne langfristig orientierte Rahmung birgt aber das Risiko, dass man sich mit inkrementellen Iterationen im Wald verliert.“
Lean Canvas Model als Alternative?
Ash Maurya hat im 2013 erschienen Buch „Running Lean“ den Business Model Canvas für Startups adaptiert, inspiriert durch die „Lean Startup“ rund um Eric Ries. Dazu tauschte Maurya vier Bausteine die Osterwalder vorschlägt aus:
- Problem statt Schlüsselpartner: Welches Problem möchtest du durch dein Angebot lösen? Im Business Model Canvas war das indirekt durch das Wertangebot abgebildet, das explizite Problem dahinter hat bisher jedoch gefehlt.
- Lösung statt Schlüsselaktivitäten: Aus dem Problem heraus wird die Lösung entwickelt. Im Idealfall existiert die Lösung bereits in Form eines Minimum Viable Product, gerne auch Prototyp genannt.
- Kennzahlen statt Schlüsselressourcen: Das Lean Canvas Model ist im digitalen Kontext entwickelt worden, deshalb spielen physische Ressourcen keine allzu große Rolle. Im diesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Pirate Metrics (AARRR!) sinnvoll.
- Unfairer Vorteil statt Kundenbeziehungen: Für mich ist der unfaire Nachteil sehr nahme am Alleinstellungsmerkmal dran. Nach Maurya soll das Alleinstellungsmerkmal die Aufmerksamkeit der Kunden wecken, während der unfaire Vorteil Kopierer und Konkurrenten abschrecken soll (z.B. große Netzwerkeffekte bei Facebook).
Beim Klick auf die nachfolgende Abbildung kannst du dir eine Lean Canvas Template als PDF herunterladen:
Für mich eignet sich der Business Model Canvas nach Osterwalder insbesondere für bestehende Unternehmen. Was mir am Lean Canvas Model von Maurya gefällt ist der Fokus auf Problem und Lösung. Hier zeigt sich auch der Fokus auf Startups die noch auf der Suche nach einem funktionierenden Produkt bzw. Geschäftsmodell sind.
Fazit – Business Model Canvas Vorlage und Beispiele
Mit Ideen für neue Geschäftsmodelle durch den Business Model Canvas ist es noch lange nicht getan. Die Umsetzung ist der steinigste Weg. Viele Partner müssen mitmachen, damit eine Geschäftsmodellinnovation gelingen kann. Der Vertrieb muss an die neue Lösung glauben. Der Kunde muss den Nutzen erkennen. Auch der Zeitpunkt muss passen. In der Praxis zeigt sich, dass die internen Widerstände oft größer als der Widerstand beim Kunden sind. Höhere Gewinnmargen und Wettbewerbsvorteile sprechen dafür, sich nicht entmutigen zu lassen und dranzubleiben.
Dr. Patrick Fritz
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