Ich möchte in die Beratung wechseln! Diesen Wunsch höre ich von Führungskräften öfters. Meine Gegenfrage lautet immer, würdest du deinen Elektriker bitten, dir das Essen zu kochen? Für mich sind Führung und Beratung zwei paar Schuhe. Dieser FRITZ Tipp bietet dir den Blick eines Insiders hinter die Kulissen der Beratung.
Inhalt
Was ist Beratung?
Quelle: Persönliche Mitschrift bei einem Workshop mit Dr. Wolfgang Looss, 2019
Irgendjemand kann eine Einzelperson sein. Personenbezogene Einzelberatung von Menschen in der Arbeitswelt nennt sich Coaching. Irgendjemand kann aber auch eine Gruppe oder ein Team sein. Teamberatung oder Teamentwicklung sind gängige Begriffe. Irgendjemand kann aber auch eine Organisation sein. In diesem Fall sprechen wir von Organisationsberatung.
Irgendetwas ist ein vom Klienten empfundenes Problem. Ein Problem ist nach Klaus Mücke eine Ist-Soll-Abweichung. Um das Gefühl einer Abweichung aufrecht zu erhalten, braucht es Energie. Diese Energie kann von Innen oder außen kommen. Von Innen kann eine Frage der Anlass für Beratung sein, wie z.B. ich weiß nicht mehr weiter. Von außen kann es ein fiktives Soll sein, wie z.B. New Work, Agilität oder Purpose. Looss spricht in diesem Zusammenhang von einer Trägerfolie für Beratung.
„Führung ist nicht gleich Führung. Umso spannender ist der periodische Austausch darüber. Wir diskutieren im Führungskreis für Geschäftsführer neben sachlichen Problemstellungen individuelle Fälle, mit dem Ziel, dem betriebsblinden Fallgeber auf die Sprünge zu helfen. Das erdet die Beteiligten und zeigt auf, dass wir alle mit dem gleichen Wasser kochen. Ich nehme von jedem Treffen eine ordentliche Portion Motivation mit zurück.“
Formen der Beratung
Der Herstellungsprozess der Ware Rat kann auf zwei Wegen erfolgen. Entweder durch Fachberatung, auch Advising genannt. Oder Prozessberatung, auf englisch Counseling:
Fachberatung oder Advising
Gibt es eine klare Antwort auf die Frage des Klienten braucht es einen Experten, um einen Ratschlag zu erteilen. Der Experte hat einen Vor-rat an Ratschlägen und erteilt diese gerne gegen ein Honorar im Beratungsgespräch. Gerne auch Fachberatung oder Advising genannt.
Unter Unternehmensberatung kann man die kommunikative Interaktion zwischen Ratsuchenden und einem Ratgebenden verstehen, die darauf abzielt, dem Ratsuchenden eine durch methodisches Vorgehen erarbeitete Handlungsempfehlung zur Lösung eines betriebswirtschaftlichen Problems zu geben.
Quelle: Schwetje – Ihr Weg zur effizienten Unternehmensberatung (2013)
Noch besser, wenn der Experte das Problem selbst geschaffen hat bzw. Soll-Vorstellungen für den Kunden entwickelt hat. Dann kann der Berater den Klienten passgenau beraten. Leider ist es nur wenigen Beratern vergönnt eine eigene Religion zu stiften, wie z.B. Jeff Sutherland mit SCRUM. Gott sei Dank bleibt aber auch für seine Apostel der Agilität genügend Arbeit.




Prozessberatung oder Counseling
Gibt es keine klare Antwort auf die Frage des Klienten braucht es einen Experten in der Technologie des Rat Schaffens. Weil es keinen Vor-rat gibt, muss neuer Rat erst geschaffen werden. Gerne auch Prozessberatung oder Counseling genannt.
Prozessberatung ist eine Philosophie des Helfens, eine Technik oder Methodik des Helfens. Basierend auf dem Verständnis psychologischer und soziologischer Dynamiken. Die zentrale Annahme der Prozessberatung lautet, man kann einem menschlichen System nur dabei helfen, sich selbst zu helfen.
Quelle: Edgar Schein – Prozessberatung für die Organisation der Zukunft (2010)
Diese Technologie verstanden als Handwerk besteht in erster Linie aus kluger Kommunikation. Durch die Wiedereinführung von Kommunikation ins Getriebe sollen neue Optionen für die Einzelperson, das Team oder die Organisation geschaffen und ausgewählt werden. Wie die Optionen aussehen, hat dem Berater egal zu sein. Alles andere wäre eine Ideologie oder Religion, also nach Marx Opium fürs Volk, womit wir wieder beim Ratschlag erteilen wären.
Ed Schein differenziert noch weiter aus und führt zusätzlich das „Arzt-Patient-Modell“ an, bei dem der Klient auch noch die Diagnose des Problems auslagert, bevor ein Ratschlag erteilt werden kann. Zur Integration der beiden Formen der Beratung gibt es unzählige Abhandlungen, wie z.B. komplementäre Beratung oder Beratung im Dritten Modus, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehe.
Wie wirkt Beratung?
Unabhängig vom Herstellungsprozess der Ware Rat, hat jede Beraterzunft ihre eigenen Vorstellungen davon, wie Sie wirksam werden kann. Oft sind diese Landkarten verdeckt und selbst die handelnden Akteure sind sich ihrem Zugang zur sogenannten Intervention nicht bewusst.
In meiner Wahrnehmung gibt es drei Interventionszugänge, die entlang der Entscheidungsprämissen nach Luhmann aufgezäumt werden können. Man könnte auch von Meta-Entscheidungen oder Spielregeln eine Organisation sprechen.
Beraterzunft 1: Management-, Experten- oder Fachberater
Management-, Experten- oder Fachberater werden vorwiegend über die Entscheidungsprämisse Strategie wirksam. Niklas Luhmann spricht von Programmen und meint damit Kriterien (3K-Modell), welches Handeln in Organisationen als richtig oder als falsch anzusehen ist.
Der Experte erklärt sich die Organisation als Maschine die durch gezielte Maßnahmen gesteuert werden kann. Dazu gibt er Ratschläge nach dem Motto: Ich als Problemlösungsexperte sage euch durch rationale Analyse und Konzept wie das Problem durch neue Regeln und Vorschriften zu lösen ist.
Beraterzunft 2: Psychotherapeuten und Organisationsentwickler
Psychotherapeuten und Organisationsentwickler werden vorwiegend über die Entscheidungsprämisse Verhalten der Mitarbeiter wirksam. Luhmann spricht von Köpfe und meint damit wer in der Organisation Entscheidungen treffen kann, z.B. durch Personalentscheidungen oder Personalentwicklung.
Der Therapeut erklärt sich die Organisation als Organismus der durch die Psyche der Beteiligten bestimmt ist. Dazu gibt er Ratschläge nach dem Motto: Ich als Kenner der menschlichen Psyche gestalte Entwicklungsprozesse die auf Veränderung von Einstellungen und Verhalten abzielen, um das Problem zu lösen.
Beraterzunft 3: Soziologen und Organisationsberater
Soziologen und Organisationsberater werden vorwiegend über die Entscheidungsprämisse Organisation wirksam. Luhmann spricht von Kanälen und meint damit wie die Kommunikation in der Organisation kanalisiert wird, z.B. durch ein Organigramm.
Der Soziologie erklärt sich die Psyche der Beteiligten durch die sozialen Spielregeln der Interaktion und gibt dabei Ratschläge nach dem Motto: Ich als Kommunikationsexperte gebe Anstöße (alternative Beobachtungsschemata) zur Veränderung des Kommunikationssystem, um das Problem, frei nach Simon, zu stören oder neue Lösungen anzuregen.
In der Praxis ist die Arbeit an den Entscheidungsprämissen niemals trennscharf. Natürlich wird ein Managementberater auch über Strukturen sprechen. Natürlich wird ein systemischer Berater das Wort Kultur in den Mund nehmen, insbesondere wenn er durch die systemische Familientherapie geprägt ist. Das ist aber gar nicht so entscheidend. Ganzheitliche Unternehmensentwicklung braucht immer die Arbeit an allen Entscheidungsprämissen. Wichtig sind die handlungsleitenden Landkarten.
Was ist das Problem?
Um die Worte von Exner in den Mund zu nehmen, 80% passt eh. 20% erfordern veränderte Antworten. Unwichtig, ob es 20% oder mehr sind, sie bestehen sicherlich aus vielen Punkten. Fokussieren möchte ich allerdings auf die handlungsleitenden Landkarten und damit auf fehlende Anschlussfähigkeit.
Das immer wieder beschworene Mantra der kürzer werdenden Planungshorizonte führt bei Beratern dazu, alles für alle sein zu wollen. Heute Strategie in der Geschäftsleitung, morgen Fachberater für CRM, übermorgen private Paarberatung. Die Anschlussfähigkeit wird durch Berater und Klienten nicht überprüft. Passt meine Landkarte zum Problem oder stülpe ich meine Landkarte über das Problem?




Gerade bei diesem Punkt zeigt sich die mangelnde Professionalisierung im Beratergewerbe. Das liegt nach Torres vermutlich an der nicht kritischen Relevanz des Wissensbestandes. Flapsig formuliert, an schlechter Beratung ist noch keiner gestorben.
Nicht umsonst rät Altmeister Looss dazu, wähle aus, mit wem du dich ausreichend ähnlich machen kannst . Um eben nicht alles für alle zu sein, braucht es strenge Selektion bei Branche und Schwelligkeit. Ein volles Auftragsbuch ist eben doch die beste Qualitätssicherung, die es geben kann.Fazit
Nicht nur für Berater, auch für deren Kunden, lohnt sich die Frage, passt der Topf zum Deckel. Stimmen die handlungsleitenden Landkarten nicht, bekommt man einen Kulturprozess, für ein Ertragsproblem. Das diese vermeintliche Lösung, als Theater auf der Bühne der Organisation empfunden wird, darf keinen verwundern.
Schließlich geht es bei Beratung um die Absorption von Unsicherheit, die mit jeder Veränderung einhergeht. Dazu kann auch ein Theaterstück beitragen („Helfe ist eine darstellende Kunst“), ob es das tiefer liegende Problem wirklich löst, ist mehr als fragwürdig.
Dr. Patrick Fritz
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