Abraham Maslow (1908-1970), Gründervater der humanistischen Psychologie, hat aus seinem positiven Menschenbild heraus ein Stufenmodell der Motivation für menschliche Bedürfnisse entwickelt. Die Bedürfnispyramide oder Maslow Pyramide ist die am häufigsten zitierte Motivationstheorie im Management, obwohl sie empirisch nicht belegt ist. Aufklärung und Anwendungsbeispiele folgen in diesem FRITZ Tipp.
Inhalt
Bedürfnispyramide nach Maslow
Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist das bekannteste Modell zur Klassifikation von Grundbedürfnisse des Menschen. Die Abraham Maslow Theorie geht davon aus, dass die Grundbedürfnisse einer tieferen Stufe (z.B. Physiologische Bedürfnisse) erst weitgehend befriedigt sein müssen, bevor die Befriedigung der höheren Bedürfnisse (z.B. Individualbedürfnisse) angestrebt wird (springe zur Kritik).
Abraham Maslow bezeichnet die Bedürfnisse der Stufe 1-4 als Defizitbedürfnisse, die erfüllt werden müssen, damit Zufriedenheit entsteht. Ab Stufe 4 spricht er von Wachstumsbedürfnissen, die nicht nur ein menschliches Bedürfnis befriedigen sondern darüber hinaus zu Glück führen. Die alten Griechen würden von Eudaimonia sprechen, einer gelungenen Lebensführung.
Definition von Bedürfnissen
Ein menschliches Bedürfnis ist also immer ein gefühlter Mangel, der befriedigt werden möchte. Unerfüllte Bedürfnisse drücken sich häufig als Probleme aus, manchmal auch als Wünsche. Deshalb unterscheidet Uebernickel zwischen Problemen (problem-fields) und Wünschen (opportunity-fields).
Comelli und Rosenstiel zeigen in Anlehnung an Graumann die erlebte Intensität eines Bedürfnisses zwischen Mangelzustand und Befriedigung, sowie die Wirkung eines Anreizes auf die Motivation. Durch Situationsgestaltung (z.B. Bier als Anreiz in Form einer roten Linie) können bestehende Motive (z.B. Durst oder Geselligkeit in Form einer grünen Linie) intensiver und früher aktiviert werden:
In Abgrenzung dazu stellt ein Bedarf das konkrete und greifbare Verlangen nach bestimmten Gütern zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dar. Zur Unterscheidung zwischen Bedürfnisse, Bedarf, Nachfrage habe ich einen eigenständigen FRITZ Tipp geschrieben. Beispiele für Grundbedürfnisse des Menschen der einzelnen Stufen der Maslow Pyramide sind:
Stufe 1: Physiologische Bedürfnisse

Physiologische Bedürfnisse sind nach Abraham Maslow die grundlegendsten und mächtigsten Bedürfnisse unter allen. Diese Bedürfnisse müssen wir unbedingt befriedigen, sonst können wir nicht weiterleben. Deshalb wird auf der unterersten Stufe der Maslow Pyramide auch von lebensnotwendigen oder existenziellen Bedürfnissen gesprochen.
Beispiele für physiologische Bedürfnisse sind Atmung, Wasser, Sauerstoff, Nahrung, Essen, Trinken, Schlafen, Wärme, Sexualität.
Die Bedürfnishierarchie nach Maslow kann auf Situationen im Unternehmen übertragen werden und positive Auswirkungen auf Mitarbeiter und das Management haben.
Stufe 2: Sicherheitsbedürfnisse

Wenn die physiologischen Bedürfnisse konstant befriedigt sind, verlieren sie an Bedeutung. Sicherheitsbedürfnisse treten in der Maslow Pyramide an ihre Stelle. Beispiele für Sicherheitsbedürfnisse sind Stabilität, Geborgenheit, Schutz, Angstfreiheit, Struktur, Ordnung, Gesetz, Grenzen.
In der Gesellschaft seiner Zeit sah Abraham Maslow die Sicherheitsbedürfnisse als weitgehend erfüllt an. Dennoch ist für Menschen mit starkem Sicherheitsbedürfnis die Suche nach einem Beschützer von großer Bedeutung.
So kann auch ein entsprechend gestaltetes betriebliches Umfeld dazu führen, dass Mitarbeiter sich wohler fühlen.
Stufe 3: Soziale Bedürfnisse

Wenn die physiologischen Bedürfnisse sowie Sicherheitsbedürfnisse konstant befriedigt sind, verlieren sie an Bedeutung. Soziale Bedürfnisse treten in der Maslow Pyramide an ihre Stelle und bestimmen unser Verhalten.
Beispiele für soziale Bedürfnisse sind Liebe, Zuneigung, Zugehörigkeit, Austausch, Partnerschaft, Freunde. Die Abwesenheit eines geliebten Menschen ist ein starker Motivator, die entstandene Lücke zu überwinden und dafür auch eine bestimmte soziale Rolle zu erfüllen.
Stufe 4: Individualbedürfnisse

Wenn soziale Bedürfnisse ausreichend befriedigt sind, spielen Individualbedürfnisse eine zunehmende wichtige Rolle. Das letzte Defizitbedürfnis in der Pyramide nach Maslow.
Beispiele für Individualbedürfnisse sind Achtung, Anerkennung, Status, Macht, Selbstachtung. Bei Individualbedürfnisse unterscheidet Abraham Maslow weiterführend zwischen dem Bedürfnis nach körperlicher und mentaler Stärke sowie dem Wunsch nach Ansehen, Prestige und Wertschätzung in der Gruppe.
Das Anerkennen von Individualbedürfnissen im Unternehmen trägt dazu bei, dass Mitarbeiter motiviert arbeiten.
Stufe 5: Selbstverwirklichung

Auf Stufe 5 der Maslowschen Bedürfnispyramide geht es um Individualbedürfnisse und den Wunsch, das eigene Potenzial auszuschöpfen. Heute würden wir wohl von Persönlichkeitsentwicklung sprechen, einem Wachstumsbedürfnis.
Beispiele für Selbstverwirklichung sind Altruismus, Individualität, Gerechtigkeit, Güte, Talententfaltung. Maslow schätzte den Anteil der Weltbevölkerung, die diese Stufe erreichen, zu seiner Zeit auf etwa 2%.
Auf Stufe 5 der Maslow Pyramide wird es mit den Anreizen seitens der Organisation natürlich nicht einfacher.
Bedürfnishierarchie oder Stufenmodell?
Die Darstellung der Maslow Pyramide geht vermutlich auf Veröffentlichungen von McDermid oder Correll zurück. Die Darstellung in Form einer Pyramide hat zur Fehlinterpretation geführt, dass ein Bedürfnis zu 100 Prozent erfüllt sein muss, bevor das nächste entsteht.
Maslow selbst hat bereits 1943 widersprochen. Bedürfnisse einer höheren Ebene können selbstverständlich bereits früher entstehen. Dennoch verhält es sich mit den Grundbedürfnissen des Menschen wohl ähnlich wie mit der Moral. Frei nach Bertolt Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“.
Zudem hat Maslow die Bedürfnispyramide 1970, kurz vor seinem Tod, um die drei Stufen Transzendenz, ästhetische und kognitive Bedürfnisse erweitert. In der Version von 1970 umfasst die Maslow Pyramide somit acht Stufen.
Kritik an der Maslow Pyramide
Neben der Darstellungsform, die eine Bedürfnishierarchie suggeriert, die nicht von Maslow selbst verschuldet war, gibt es weitere Kritikpunkte an seiner Motivationstheorie:
- Fehlende Empirie: Maslow selbst hat seine Motivationstheorie niemals im Feld getestet. Zu seiner Ehrenrettung, damals verweigerten sich viele Psychologen der empirischen Forschung.
- Abstrakte Formulierung: Die Bedürfnisse sind so abstrakt formuliert, dass fast jedes Verhalten erklärbar ist. So ist das nun mal mit Modellen. The map is not the territory!
- Fehlende Bedürfnisse: Vielleicht habt ihr bemerkt das Bedürfnisse wie Leistung und Macht fehlen, die in der Motivationstheorie nach McClelland prominent vertreten sind.
Gerade was den letzten Kritikpunkt betrifft, lohnt sich ein Blick in weitere Modelle zur Beschreibung und Sortierung von Bedürfnissen.
Maslow Bedürfnispyramide vs Limbic Map
Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist das bekannteste Modell zur Klassifikation von Bedürfnissen, aber selbstverständlich nicht das Einzige. Hans-Georg Häusel startete mit der Limbic Map einen Frontalangriff, indem er behauptet die Maslow Pyramide sei falsch.
Basierend auf Erkenntnissen der Hirnforschung und weiteren Disziplinen legt Häusel den Fokus auf die drei primären Emotionssysteme Stimulanz, Dominanz und Balance. Diese können problemlos auf die Bedürfnispyramide nach Maslow referenziert werden. Jetzt kommt aber die für mich spannende Erweiterung:
Da die drei großen Emotionssysteme meist zugleich aktiv sind, gibt es Mischungen. Auf der Limbic Map werden diese Mischformen als Werte ausgewiesen. Die Mischung aus Dominanz und Stimulanz ergeben z.B. Abenteuer und Thrill. Balance und Dominanz im Doppelpack ergeben Disziplin und Kontrolle. Diese Mischungen lassen sich in einem Werteraum darstellen:
Liegt Maslow mit seiner Bedürfnis-Pyramide nun falsch? Jein! Die von Maslow aufgezeigten Bedürfnisse sind auch in Häusels‘ Werteraum wieder zu finden. Allerdings erklärt die Limbic Map zum einen die Grundlage der Bedürfnisse durch die im menschlichen Hirn verbaute Hardware. Zum anderen lassen sich Mischformen unterschiedlicher Bedürfnisse auf diese Art einfacher und nachvollziehbarer darstellen.
Maslow Bedürfnispyramide vs SCARF
Ebenfalls den Neurowissenschaften zuzuordnen ist das SCARF Modell von Unternehmensberater David Rock. In Interviews und einer späteren Publikation mit führenden Neurowissenschaftlern hat er fünf Muster identifiziert, die zu hoher Leistung und Zufriedenheit führen. Diese fünf Merkmale hat er in dem engl. Akronym SCARF zusammengefasst: Status, Certainty, Autonomy, Relatedness und Fairness. Hier der passende TED-Talk:
Dieses Akronym hat mir zu Themen wie Systemprinzipien, Selbstorganisation, Gamification und Shopfloor Board, wertvolle Erkenntnisse geliefert. Im Kern versuchen alle der genannten Ansätze ein Umfeld, einen Rahmen zu schaffen, indem Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Jeder Mensch ist von Haus aus motiviert seine Bedürfnisse zu befriedigen.
Grundbedürfnisse des Menschen im Quervergleich
Wenn wir die bisher vorgestellten Modelle Maslow Pyramide, Limbic Map und SCARF vergleichen, finden wir beeindruckende Übereinstimmungen:
Maslow | Limbic | SCARF |
Physiologische Bedürfnisse | Submodule Schlaf, Nahrung, Sexualität | / |
Sicherheitsbedürfnisse | Balance = Sicherheit | Certainty |
Soziale Bedürfnisse | Balance = Bindung, Familie, Freundschaft | Relatedness |
Individualbedürfnisse | Dominanz | Status, Autonomy |
Selbstverwirklichung | Stimulanz | Fairness |
Die Bedürfnisse nach Maslow und weiterführende Arbeiten von Häusel und Rock liefern uns einen tiefgreifenden Einblick in die Funktionsweise des Menschen. Ein gefühlter Mangel, genannt Bedürfnis, scheint immer wieder die Triebfeder für unser Handeln zu sein.
Demgegenüber stehen Unternehmen, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen Waren anbieten, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Natürlich hat der Sportwagenhersteller was mit Dominanz oder Status zu tun. Während der Lebensmittelhersteller Überlebens-Sicherheit bietet.
Nicht umsonst schreibt Precht: „Wir nehmen gezielt das wahr, was unserer aktuellen Aufgabe, unserem Ziel oder unseren Bedürfnissen entspricht.“ (Precht 2007, S. 92). Selbst Verhaltensanalysten bei FBI, CIA und Co verwenden dieselben Erkenntnisse, um Verbrechern auf die Spur zu kommen:
Fazit – Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow
Die Maslowsche Bedürfnispyramide liefert uns neben diesem Einblick in die menschliche Psyche, der nicht empirisch belegt ist, eine noch viel wichtigere Erkenntnis. Mit seinem Stufenmodell der Motivation (Bedürfnispyramide) lieferte Maslow ein sehr positives Menschenbild, welches bis anhin auf Triebe (Freud) und Reflexe (Behaviorismus) reduziert war. Maslow war der Ansicht, dass der Mensch als grundsätzlich gut angesehen werden kann, der nicht durch niedere Triebe, sondern ein angeborenes Wachstumspotential motiviert ist.
Dr. Patrick Fritz
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