Abraham Maslow (1908-1970), Gründervater der humanistischen Psychologie, hat aus seinem positiven Menschenbild heraus ein Stufenmodell für menschliche Bedürfnisse entwickelt. Die Bedürfnispyramide oder Maslow Pyramide ist die am häufigsten zitierte Motivationstheorie im Management, obwohl sie empirisch nicht belegt ist. In diesem FRITZ Tipp bekommst du Aufklärung und konkrete Beispiele.
Inhalt
Bedürfnispyramide nach Maslow
Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist das bekannteste Modell zur Klassifikation von Grundbedürfnissen. Abraham Maslows Theorie geht davon aus, dass die Grundbedürfnisse einer tieferen Stufe (z.B. Stufe 1 – Physiologische Bedürfnisse) erst weitgehend befriedigt sein müssen, bevor die Befriedigung der höheren Bedürfnisse (z.B. Stufe 5 – Selbstverwirklichung) angestrebt wird (springe direkt zur Kritik an Maslow).
Abraham Maslow bezeichnet die Bedürfnisse der Stufe 1-4 als Defizitbedürfnisse, die erfüllt werden müssen, damit Zufriedenheit entsteht. Ab Stufe 4 spricht er von Wachstumsbedürfnissen, die nicht nur ein menschliches Bedürfnis befriedigen, sondern darüber hinaus zu Glück führen. Die alten Griechen würden von Eudaimonia sprechen, einer gelungenen Lebensführung.
Was sind Bedürfnisse?
Quelle: In Anlehnung an Pschyrembel 2021.
Ein menschliches Bedürfnis ist ein gefühlter Mangel, der befriedigt werden möchte. Unerfüllte Bedürfnisse drücken sich häufig als Probleme aus, manchmal auch als Wünsche. Deshalb unterscheidet Uebernickel zwischen Problemen (problem-fields) und Wünschen (opportunity-fields).
Comelli und Rosenstiel zeigen die erlebte Intensität eines Bedürfnisses zwischen Mangelzustand und Befriedigung, sowie die Wirkung eines Anreizes auf die Motivation. Durch Situationsgestaltung (z.B. Kaltes Bier als Anreiz in Form der roten Linie) können bestehende Motive (z.B. Durst oder Geselligkeit in Form der grünen Linie) intensiver und früher aktiviert werden:
In Abgrenzung dazu stellt Bedarf das konkrete und greifbare Verlangen nach bestimmten Gütern zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse dar. Zur genauen Unterscheidung empfehle ich den FRITZ Tipp Bedürfnisse, Bedarf, Nachfrage einfach erklärt. Private als auch berufliche Beispiele für die Grundbedürfnisse des Menschen von Stufe 1-5 der Maslow Pyramide bekommst du im nächsten Kapitel.
Stufe 1: Physiologische Bedürfnisse
Physiologische Bedürfnisse sind nach Abraham Maslow die grundlegendsten und mächtigsten Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse müssen wir unbedingt befriedigen, sonst können wir nicht weiterleben. Deshalb wird auf der unterersten Stufe der Maslow Pyramide auch von lebensnotwendigen oder existenziellen Bedürfnissen gesprochen. Beispiele für physiologische Bedürfnisse sind Atmung, Wasser, Sauerstoff, Nahrung, Essen, Trinken, Schlafen, Wärme, Sexualität.
Die Bedürfnishierarchie nach Maslow kann auf Situationen im Unternehmen übertragen werden und positive Auswirkungen auf Mitarbeiter haben. Im betrieblichen Umfeld können entsprechende Anreize zur Befriedigung physiologische Bedürfnisse wie folgt aussehen: Kantine, ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze, gut temperierte, staub- und lärmfreie Arbeitsräume, Ruhe-, Sport- und Gymnastikmöglichkeiten.
Stufe 2: Sicherheitsbedürfnisse
Wenn die physiologischen Bedürfnisse konstant befriedigt sind, verlieren sie an Bedeutung. Sicherheitsbedürfnisse treten in der Maslow Pyramide an ihre Stelle. Beispiele für Sicherheitsbedürfnisse sind Stabilität, Geborgenheit, Schutz, Angstfreiheit, Struktur, Ordnung, Gesetze und Grenzen.
In der Gesellschaft seiner Zeit sah Abraham Maslow die Sicherheitsbedürfnisse als weitgehend erfüllt an. Dennoch ist für Menschen mit starkem Sicherheitsbedürfnis die Suche nach einem Beschützer von großer Bedeutung.




Auch ein entsprechend gestaltetes betriebliches Umfeld kann dazu führen, dass Mitarbeiter sich wohler fühlen. Um Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen, kann ein Unternehmen folgende Anreize setzen: Unfallprävention am Arbeitsplatz, langfristige Arbeitsverträge, Information an alle Mitarbeiter, Krankheitsversicherung, Unfallversicherung, ökonomisch gesunder Betrieb, aber auch psychologische Sicherheit.
Stufe 3: Soziale Bedürfnisse
Wenn die physiologischen Bedürfnisse sowie Sicherheitsbedürfnisse konstant befriedigt sind, verlieren sie an Bedeutung. Soziale Bedürfnisse treten in der Abraham Maslows Bedürfnispyramide an ihre Stelle und bestimmen unser Verhalten. Beispiele für soziale Bedürfnisse sind Liebe, Zuneigung, Zugehörigkeit, Austausch, Partnerschaft, Freunde.
Auf Ebene der sozialen Bedürfnisse bieten sich aus betrieblicher Perspektive folgende Anreize an: Sport- und Freizeitmöglichkeiten, Betriebsausflüge, Teeküchen, Gruppenräume, Seminare, Teamarbeit, Qualitätszirkel und gutes Betriebsklima.
Stufe 4: Individualbedürfnisse
Wenn soziale Bedürfnisse ausreichend befriedigt sind, spielen Individualbedürfnisse eine zunehmende wichtige Rolle. Das letzte Defizitbedürfnis in der Pyramide nach Maslow. Beispiele für Individualbedürfnisse sind Achtung, Anerkennung, Status, Macht, Selbstachtung.
Bei Individualbedürfnisse unterscheidet Abraham Maslow selbst zwischen dem Bedürfnis nach körperlicher und mentaler Stärke sowie dem Wunsch nach Ansehen, Prestige und Wertschätzung in der Gruppe.




Das Anerkennen von Individualbedürfnissen im Unternehmen trägt dazu bei, dass Mitarbeiter motiviert arbeiten. Unternehmen können bei der Befriedigung von Individualbedürfnissen folgende Beispiele in Betracht ziehen: Anerkennung durch Vorgesetzte, Titel, Statussymbole, Privilegien, Besuch von Tagungen oder Kongressen und Auszeichnungen (Mitarbeiter des Monats).
Stufe 5: Selbstverwirklichung
Auf Stufe 5 der Maslowschen Bedürfnispyramide geht es um Individualbedürfnisse und den Wunsch, das eigene Potenzial auszuschöpfen. Heute würden wir wohl von Persönlichkeitsentwicklung sprechen, einem Wachstumsbedürfnis. Beispiele für Selbstverwirklichung sind Altruismus, Individualität, Gerechtigkeit, Güte, Talententfaltung .




Maslow schätzte den Anteil der Weltbevölkerung, die diese Stufe erreichen, zu seiner Zeit auf etwa 2%. Auf Stufe 5 von Abraham Maslows Pyramide wird es mit den Anreizen seitens der Organisation natürlich nicht einfacher.
Beispiele, die Selbstverwirklichung unterstützen: Selbstständigkeit bei der Arbeit, Möglichkeit Verbesserungsvorschläge einzubringen, Freiraum durch kooperativen Führungsstil, Dezentralisierung, Teamisierung, Training on the job und eigene Arbeitsplatzgestaltung.
Bedürfnishierarchie oder Stufenmodell?
Die Darstellung der Maslow Pyramide geht vermutlich auf Veröffentlichungen von McDermid oder Correll zurück. Die Darstellung in Form einer Pyramide hat zur Fehlinterpretation geführt, dass ein Bedürfnis zu 100 Prozent erfüllt sein muss, bevor das nächste entsteht.
Maslow selbst hat bereits 1943 widersprochen. Bedürfnisse einer höheren Ebene können selbstverständlich bereits früher entstehen. Dennoch verhält es sich mit den Grundbedürfnissen des Menschen wohl ähnlich wie mit der Moral. Frei nach Bertolt Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“.
Zudem hat Maslow die Bedürfnispyramide 1970, kurz vor seinem Tod, um die drei Stufen Transzendenz, ästhetische und kognitive Bedürfnisse erweitert. In der Version von 1970 umfasst die Maslow Pyramide somit acht Stufen.
Kritik an der Maslow Pyramide
Neben der Darstellungsform, die eine Bedürfnishierarchie suggeriert – die nicht von Maslow selbst verschuldet war – gibt es weitere Kritikpunkte an seiner Motivationstheorie:
- Fehlende Empirie: Maslow selbst hat seine Motivationstheorie niemals im Feld getestet. Zu seiner Ehrenrettung, damals verweigerten sich viele Psychologen der empirischen Forschung.
- Abstrakte Formulierung: Die Bedürfnisse sind so abstrakt formuliert, dass fast jedes Verhalten erklärbar ist. So ist das nun mal mit Modellen. The map is not the territory!
- Fehlende Bedürfnisse: Vielleicht habt ihr bemerkt das Bedürfnisse wie Leistung und Macht fehlen, die in der Motivationstheorie nach McClelland prominent vertreten sind.
Gerade was den letzten Kritikpunkt betrifft, lohnt sich ein Blick in weitere Modelle zur Beschreibung und Sortierung von Bedürfnissen wie die Limbic Map oder SCARF.
Maslow Bedürfnispyramide vs Limbic Map
Abraham Maslows Bedürfnispyramide ist das bekannteste Modell zur Klassifikation von Bedürfnissen, aber selbstverständlich nicht das Einzige. Hans-Georg Häusel startete mit der Limbic Map einen Frontalangriff, indem er behauptet die Maslow Pyramide sei falsch.
Basierend auf Erkenntnissen der Hirnforschung und weiteren Disziplinen legt Häusel den Fokus auf die drei primären Emotionssysteme Stimulanz, Dominanz und Balance. Diese können problemlos auf die Bedürfnispyramide nach Maslow referenziert werden. Jetzt kommt aber die für mich spannende Erweiterung:
Da die drei großen Emotionssysteme meist zugleich aktiv sind, gibt es Mischungen. Auf der Limbic Map werden diese Mischformen als Werte ausgewiesen. Die Mischung aus Dominanz und Stimulanz ergeben z.B. Abenteuer und Thrill. Balance und Dominanz im Doppelpack ergeben Disziplin und Kontrolle. Diese Mischungen lassen sich in einem Werteraum darstellen:




Liegt Maslow mit seiner Bedürfnis-Pyramide nun falsch? Jein! Die von Maslow aufgezeigten Bedürfnisse sind auch in Häusels Werteraum wieder zu finden. Allerdings erklärt die Limbic Map zum einen die Grundlage der Bedürfnisse durch die im menschlichen Hirn verbaute Hardware. Zum anderen lassen sich Mischformen unterschiedlicher Bedürfnisse auf diese Art einfacher und nachvollziehbarer darstellen.
Maslow Bedürfnispyramide vs SCARF
Ebenfalls den Neurowissenschaften zuzuordnen ist das SCARF Modell von David Rock. In Interviews und einer späteren Publikation mit führenden Neurowissenschaftlern hat er fünf Muster identifiziert, die zu hoher Leistung und Zufriedenheit führen. Diese fünf Merkmale hat er in dem engl. Akronym SCARF zusammengefasst: Status, Certainty, Autonomy, Relatedness und Fairness. Hier der dazu passende TED-Talk:
Dieses Akronym hat mir zu Themen wie Systemprinzipien, Selbstorganisation, Gamification und Shopfloor Board, wertvolle Erkenntnisse geliefert. Im Kern versuchen alle der genannten Ansätze ein Umfeld, einen Rahmen zu schaffen, indem Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können. Jeder Mensch ist von Haus aus motiviert seine Bedürfnisse zu befriedigen.
Grundbedürfnisse des Menschen im Quervergleich
Wenn wir die bisher vorgestellten Modelle Maslow Pyramide, Limbic Map und SCARF vergleichen, finden wir beeindruckende Übereinstimmungen:
Maslow | Limbic | SCARF |
Physiologische Bedürfnisse | Submodule Schlaf, Nahrung, Sexualität | / |
Sicherheitsbedürfnisse | Balance = Sicherheit | Certainty |
Soziale Bedürfnisse | Balance = Bindung, Familie, Freundschaft | Relatedness |
Individualbedürfnisse | Dominanz | Status, Autonomy |
Selbstverwirklichung | Stimulanz | Fairness |
Die Bedürfnisse nach Maslow und späteren Arbeiten von Häusel und Rock liefern uns einen tiefgreifenden Einblick in die Funktionsweise des Menschen. Ein gefühlter Mangel, genannt Bedürfnis, ist immer wieder Triebfeder für unser Handeln.
Demgegenüber stehen Unternehmen, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen Waren anbieten, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Natürlich hat der Sportwagenhersteller was mit Dominanz oder Status zu tun. Während der Lebensmittelhersteller Überlebens-Sicherheit bietet.
Nicht umsonst schreibt Precht: „Wir nehmen gezielt das wahr, was unserer aktuellen Aufgabe, unserem Ziel oder unseren Bedürfnissen entspricht.“ (Precht 2007, S. 92). Selbst Verhaltensanalysten bei FBI, CIA und Co verwenden dieselben Erkenntnisse, um Verbrechern auf die Spur zu kommen:
Top 7 Tipps für Führungskräfte
Basierend auf Abraham Maslows Bedürfnispyramide und aktuellen Erkenntnissen aus der Führungsforschung und Praxis, gebe ich dir als Führungskraft 7 Tipps für die Führung deiner Mitarbeiter an die Hand:
- Anerkennung der Grundbedürfnisse: Als Führungskraft ist es wichtig, die Grundbedürfnisse deiner Mitarbeiter zu verstehen und anzuerkennen. Stelle sicher, dass physiologische Bedürfnisse wie angemessene Arbeitsbedingungen, Sicherheit am Arbeitsplatz und die Möglichkeit zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse durch Teamarbeit und Zusammenarbeit gegeben sind.
- Schaffung eines unterstützenden Umfelds: Gestalte das Arbeitsumfeld so, dass Mitarbeiter die Möglichkeit haben, ihre Defizitbedürfnisse zu befriedigen. Dies kann die Förderung von Teamarbeit und sozialen Aktivitäten sowie die Bereitstellung von Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung beinhalten.
- Fokus auf Wachstumsbedürfnisse: Achte nicht nur auf die Befriedigung der Defizitbedürfnisse, sondern schaffe auch Möglichkeiten für Mitarbeiter, ihre Wachstumsbedürfnisse zu erfüllen. Dies kann durch Weiterbildungsangebote, berufliche Entwicklung und die Förderung von Selbstverwirklichung und individueller Entfaltung erreicht werden.
- Individualisierung der Führung: Beachte, dass verschiedene Mitarbeiter unterschiedliche Bedürfnisse haben können. Individuelle Bedürfnisse können sich je nach Persönlichkeit, Erfahrungen und Lebensphasen unterscheiden. Passe deinen Führungsstil an, um die verschiedenen Bedürfnisse zu berücksichtigen und deine Mitarbeiter bestmöglich zu unterstützen.
- Kommunikation und Feedback: Stelle sicher, dass die Kommunikation zwischen dir und deinen Mitarbeitern offen und transparent ist. Höre aktiv zu und gib regelmäßig Feedback. Dadurch kannst du besser verstehen, welche Bedürfnisse deine Mitarbeiter haben und wie du sie unterstützen kannst.
- Ganzheitliche Sichtweise: Berücksichtige bei der Führung deiner Mitarbeiter die gesamte Bedürfnispyramide. Ein ausgewogenes Verständnis und eine Berücksichtigung aller Ebenen der Pyramide können dazu beitragen, eine motivierte und zufriedene Belegschaft zu fördern.
- Kontinuierliche Selbstreflexion: Nimm dir Zeit, um regelmäßig über deine Führungspraktiken und Entscheidungen nachzudenken. Frage dich selbstkritisch, ob du die Bedürfnisse deiner Mitarbeiter angemessen berücksichtigt hast und ob du als Vorbild für deine Teammitglieder fungierst.
Indem du die Bedürfnispyramide nach Maslow als Grundlage für dein Führungsverständnis verwendest und diese Tipps befolgst, kannst du ein motivierendes und unterstützendes Arbeitsumfeld schaffen, in dem dein Mitarbeiter ihr volles Potenzial entfalten können.
FAQ zur Bedürfnispyramide nach Maslow
Fazit – Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow
Die Maslowsche Bedürfnispyramide liefert uns neben dem Einblick in die menschliche Psyche, der nicht empirisch belegt ist, eine noch viel wichtigere Erkenntnis. Mit seinem Stufenmodell der Motivation (Bedürfnispyramide) lieferte Maslow ein sehr positives Menschenbild, welches bis anhin auf Triebe (Freud) und Reflexe (Behaviorismus) reduziert war. Maslow war der Ansicht, dass der Mensch als grundsätzlich gut angesehen werden kann, der nicht durch niedere Triebe, sondern ein angeborenes Wachstumspotential motiviert ist.
Dr. Patrick Fritz
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