Gastbeitrag von Franz Kasperski über „Authentische Führung“.
Wenn Menschen über jemanden erzählen, der sie beeindruckt, kommt irgendwann der Satz: „Die (Der) ist einfach authentisch.“ Das Wort „authentisch“ kommt vom griechischen „authenticos“ und bedeutet soviel wie „echt“. Die ersten Kontexte, in denen das Wort auftaucht, sind juristische. Ein authentischer Mensch ist der, der ausserhalb der gesellschaftlichen Ordnung „ganz bei sich“ ist. Gesellschaft und „ganz bei sich sein“ sind – kulturell erlernt – in einem Spannungsverhältnis. Im antiken Griechenland war der am meisten bei sich, der am radikalsten ausserhalb der Gesellschaft stand: der Mörder. Jetzt können wir schlecht jemanden umbringen, um ganz bei uns zu sein. Jedenfalls hat sich das in Demokratien nicht durchgesetzt.
Wer bin ich heute und wenn ja – wie viele?
Seit dem Beginn unserer Kultur beschäftigen wir uns mit der Frage, wie bekommen wir uns als Privatperson, unsere Wünsche, Träume und Eigenschaften überein mit unseren Rollen? Wie kriegen wir eine Kongruenz unserer Person mit unseren Rollen hin? Der Satz, der am besten beschreibt, wo wir heute stehen, stammt von Gunther Schmidt und stand ursprünglich auf einem Berliner Bretterzaun: „Wer bin ich heute und wenn ja – wie viele?“ Der schrammt vordergründig am Nonsens vorbei, beschreibt aber die heutigen Verhältnisse. Wir sind heute in vielen Rollen unterwegs, deren Wertekanon sich beizeiten radikal widerspricht. Bei allem eine Kongruenz hinzubekommen, ist hohe Kunst.
Wir haben uns gewöhnt an diese Vielzahl von Rollen und die dazugehörigen Rollenwechsel. Gerade in der Firma verlaufen sie teils unbewusst so blitzschnell, dass Viele den Wechsel gar nicht mehr als solchen wahrnehmen. Aber auch Fehler passieren. Manche verwechseln Freunde mit dem Team, andere wollen mit ihrer Firma glücklich werden und managen den Partner. Das geht zumeist schief. Doppelt.
Die Krux mit der Identifikation
Was sich verschärft hat, ist der Anspruch, jeder müsse voll und ganz mit dem identifiziert sein, was in einer Firma geschieht. Das kommt an Grenzen: Wenn sich alle erst umkrempeln müssen, um etwas mitzutragen, ist das wenig hilfreich. Besonders all diejenigen, die aus dem Team aufgestiegen sind. Die müssen als Führungskraft etwas vertreten, was sie gestern noch als Kollege anders formulierten.
Es braucht nicht noch mehr Identifikation, sondern mehr Übersicht und Reflexion von Führungskräften. Augenblicklich grassiert die Formulierung: „Kann ich deine persönliche Einschätzung haben?“ – „Ja.“ Kann er haben. Aber er kann auch meine professionelle haben. Führungskräfte sollten sich zur Formulierung durchringen: „Persönlich geht mir diese Entscheidung gegen den Strich, aber aus folgenden Gründen glaube ich, dass sie strategisch für die Weiterentwicklung unserer Firma wegweisend ist.“ Woran ich mit Führungskräften arbeite ist, eine professionelle und zugleich authentische Übersicht zu gewinnen.
Felsenfest auf Treibsand stehen
In den 50er- und 60er-Jahren gab es den Slogan: „Ein Mann – ein Wort.“ Da gab es keine Differenz zwischen Denken, Sprechen und Handeln. Glückliche Zeiten. Jedenfalls kursiert das im Mythos der „Patrons“. Ein solches „Wort“ war für lange Zeit verbindlich. Heute wechseln die Ansagen in manchen Branchen extrem schnell. Die Dauerhaftigkeit hat sich dramatisch verkürzt.
Sowohl Organisationen als auch Angestellte suchen aber genau diese Dauerhaftigkeit. Sie suchen Führungskräfte, die felsenfest auf Treibsand stehen. Eigentlich bräuchten sie Freischwimmer.
Der Anspruch, Führungskräfte zu haben, die hundertprozentig hinter allem stehen, ist weit verbreitet. Dahinter verbirgt sich die Sehnsucht, von den Personen eine Sicherheit zu erhalten, die es organisational nicht mehr gibt.
In der Wirklichkeit habe ich übrigens noch NIE jemanden getroffen, dem es gelungen wäre, immer hinter allem zu stehen. Und genau dazu habe ich ein Tool für Führungskräfte entwickelt.
Management MRI
Ich zeige Ihnen nur den Anfang vom „Management MRI“ . Das ganze Tool dauert Stunden und läuft in fünf Etappen ab. Der Einstieg dauert nicht lang aber schon der ist ungemein erhellend.
Nehmen Sie Stift und Papier und notieren Sie JETZT, welche Rollen Sie im Verlauf einer Woche einnehmen – von Sonntag bis Sonntag. Alle Rollen, also: Partner, Elternteil, Rollen in der Firma, zumeist mehrere, im Verein etc. Wer nicht mitmacht, dem entgeht etwas. Also: Los geht’s!.
Nicht weiterlesen, was ich nachfolgend geschrieben habe, sondern erst die Rollen aufschreiben!
Wellcome back. Welche Rollen haben Sie? Haben Sie den Anspruch, in ALLEN Rollen IMMER hinter ALLEM zu stehen? In allen Rollen gleichermaßen? Schauen Sie nochmals auf die Liste und überlegen, wo gelingt Ihnen das besser, wo weniger?
…
Es wird Rollen geben, in denen gelingt Ihnen das gut, bei anderen weniger. Könnten Sie den Anspruch, hundertprozentig hinter allem stehen zu können, aufgeben? Wieviel Prozent würden Ihnen in welcher Rolle denn reichen? Sind weniger als hundert Prozent realistischer, weil da mehr auch nicht zu holen ist? Was verändert das, wenn Sie noch mal aufs Blatt schauen?
…
Hier verlassen wir das Tool.
Authentische Führung heißt heute
- Ob eine Managemententscheidung richtig ist oder nicht, erweist sich manchmal erst im Nachhinein. Das bedeutet: Hellwach sein für die schnellen Wechsel unserer Zeit. Seine Entscheidung rechtzeitig zu überdenken, kann lebenswichtig sein und hat nichts mit Opportunismus aber viel mit Übersicht zu tun.
- Klartext: Zweifel deklarieren.
- Aber auch klar deklarieren, dass eine Entscheidung für ein Unternehmen an irgendeiner Stelle Sinn macht und man sie deshalb mitträgt. Widersprüchlichkeit ist die Realität. Organisationale Eindeutigkeit gibt es nicht.
- Authentische Führung heißt, unterschiedliche Interessen zu moderieren. Die eigenen eingeschlossen. Und zu entscheiden. Moderne authentische Führung kann nur von einer Meta-Position aus funktionieren.
- Rollenklarheit ist gefragt und die markiert auch Grenzen: Was geht in einer Rolle, was nicht?
Wenn Sie Fragen, Anregungen zum Management MRI haben, schicken Sie mir ein Mail: info@franzkasperski.ch
Franz Kasperski war Theaterregisseur und danach Redakteur, Produzent und Redaktionsleiter beim Schweizer Radio und Deutschen Fernsehen (ARD, ZDF und 3sat). Nachdem er genug davon hatte, das Leben anderer zu erzählen, wechselte er das Fach. Heute ist er als systemischer Organisationsberater tätig, konzipiert Großveranstaltungen und steuert Empowerment-Prozesse. Authentische Führung ist ein aktueller Schwerpunkt.
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