Agiles Qualitätsmanagement ist für mich ein Ansatz, um sich verändernde Kundenanforderungen in Form von Reklamationen effizient und effektiv zu bearbeiten. Dabei ist es wichtig jede Reklamation auch als Chance zu sehen, die bestehende Organisation immer besser auf sich verändernde Kundenanforderungen zu kalibrieren. Wie das genau funktioniert, erfährst du in diesem FRITZ Tipp.
SCRUM vs Kanban
An dieser Stelle schlägt die Stunde der Agilität. Wie sieht Qualitätsmanagement aus, wenn wir es mit der agilen Brille betrachten? Vor diesem Hintergrund schlage ich KANBAN und SCRUM vor. Vorab ein Vergleich der beiden agilen Methoden:
Reklamationen mit KANBAN effizient abarbeiten
Durch KANBAN nach David Anderson wird der Versuch unternommen Aufgaben von Wissensarbeitern möglichst effizient abzuarbeiten. Hierzu kommen sechs Kernpraktiken zur Anwendung:
1. Mach Arbeit sichtbar
Hier kommt ein KANBAN-Board zum Einsatz, um den Reklamationsprozess transparent zu machen. Unter ToDo stehen die offenen Reklamationen. Unter WIP stehen die Reklamationen die gegenwärtig in Bearbeitung sind. Unter Done stehen die abgearbeiteten Reklamationen. Die einfachste Form eines solchen Boards für agiles Qualitätsmanagement könnte wie folgt aussehen:
2. Limitiere den Work in Progress (WiP)
Hier kommt das Pull-Prinzip zum Einsatz. Stelle nur her was verbraucht wird bzw. in der nächsten Station weiterverarbeitet werden kann. Alles andere würde zu unnötigem Stau führen. Umgelegt auf agiles Qualitätsmanagement heißt das, die Anzahl gleichzeitig in Bearbeitung befindlicher Reklamationen wird in Abhängigkeit der verfügbaren Ressourcen begrenzt. Ziel ist, wenige Reklamationen effizient abzuarbeiten anstelle viele Reklamation nicht abzuschließen:
3. Manage Flow
Messen – Messen – Messen. Wie hoch ist der Durchsatz im System? Wie viele Reklamationen können pro Woche abgearbeitet werden? Wie lange dauert die durchschnittliche Bearbeitungsdauer? Aufgrund der dadurch gewonnenen Informationen können z.B. das WIP-Limit angepasst oder eine bessere Ressourcenplanung vorgenommen werden:
4. Mache Prozessregeln explizit
Die Regeln müssen allen im Team klar sein. Wer zieht Reklamationen durchs System bzw. wer ist der Kunde? Wann werden Aufgaben gezogen? Wann ist eine Aufgabe wirklich erledigt (Definition of Done)?
5. Implementiere Feedback-Mechanismen
Hier sind die Parallelen zwischen KANBAN und SCRUM sowie Shopfloor Management am offensichtlichsten. Kurze, regelmäßige, strukturierte Meetings, um sich im Team abzustimmen bzw. zu synchronisieren. Im Entwicklungsumfeld sind tägliche Statusmeetings à 15 Minuten üblich. Im Qualitätsmanagement könnte es ein Treffen pro Woche à 60 Minuten sein.
6. Führe gemeinschaftliche Verbesserungen durch
Hier gibt es keine konkrete Methodenvorgabe, aber der Kerngedanke KVP ist klar. Aufgrund der Messergebnisse werden Maßnahmen ergriffen, um das System zu optimieren: Plan – Do – Check – Act. Im Entwicklungsumfeld sind Retrospektiven am Ende des Projektes üblich. Im Qualitätsmanagement könnte es ein Regelmeeting alle 3 Monate sein, um das KANBAN-Board zu optimieren.
Fehlerquellen mit SCRUM nachhaltig abstellen
Bis zum jetzigen Punkt sind wir davon ausgegangen das Reklamation gleich Reklamation ist. Dem ist in der Realität natürlich nicht so. Manche Reklamationen sind eindeutig und müssen einfach nur abgewickelt werden. Hier braucht es keine Analyse der Fehlerquelle, sondern einfach schnelle Abhilfe für den Kunden. Nun gibt es aber auch Reklamationen, die entweder immer wieder vorkommen oder eben schwer zu beurteilen sind. In diesem Fall braucht es eine detaillierte Analyse der Fehlerquelle im Expertenteam und daraus abgeleitete Abstellmaßnahmen. Hierzu eignet sich SCRUM:
1. SCRUM-Team bilden
Wenn klar ist, dass wir der Fehlerquelle von Reklamation 2 auf den Grund gehen möchten, wird eine schnelle Eingreiftruppe gebildet. In diesem Expertenteam gibt es drei Rollen: Der SCRUM Master stellt sicher, dass der Prozess der Reklamationsbearbeitung eingehalten wird. Diesen Hut kann das Qualitätsmanagement als Prozessmoderator und Methodencoach aufhaben. Der Product Owner vertritt die Interessen des Kunden. Im besten Fall ist das direkt der Kunde mit seiner Reklamation. Im zweitbesten Fall gibt es einen internen Stellvertreter, evtl. der Kundendienst oder Vertriebsinnendienst. Das Team zur Analyse und Beseitigung des Fehlers besteht aus 1-n Mitarbeitern aus den benötigten Fachabteilungen, z.B. aus F&E.
2. SCRUM-Prozess durchführen
Das SCRUM-Team könnte sich z.B. vornehmen, Reklamation 2 zu analysieren und entsprechende Abstellmaßnahmen zu definieren (Sprint Planning). Um dem Kunden möglichst schnell eine zufriedenstellende Lösung zu präsentieren, wird die Dauer des Projektes auf eine Arbeitswoche begrenzt (Sprint). Während dieser Arbeitswoche gibt es tägliche Statusmeetings à 15 Minuten, um alle auf dem gleichen Stand zu halten (Daily SCRUM). Am Ende der Arbeitswoche gibt es eine (Teil-)Lösung der Reklamation, die dem Kunden präsentiert bzw. sein Feedback abgeholt wird (Sprint Review).
Fazit – Agiles Qualitätsmanagement
Im Kern sind KANBAN und SCRUM zwei Werkzeuge, die versuchen die Effizienz der Arbeit im Team zu steigern, allerdings mit unterschiedlichen Zielsetzungen. KANBAN fokussiert sich auf die Abarbeitung von Aufgaben, z.B. Reklamationen effizient abarbeiten. SCRUM versucht die Projektabwicklung effizienter zu gestalten, z.B. Fehlerquellen nachhaltig abzustellen. Wenn „Fahren auf Sicht“ zur neuen Normalität gehört, ist der Griff in die agile Methodenkiste ratsam. Die Alternative ist die Definition immer weiterer Prozesse für eine immer größere Varianz von Aufgaben. Im besten Fall in ein starres IT-System gegossen – der wahre Wunschtraum einer jeden Führungskraft.
Dr. Patrick Fritz
P.S. Wer es mit vielen Reklamationen zu tun hat, wird an einer IT-Lösung nicht vorbei kommen – auch wenn ich zunächst immer den analogen Weg empfehle. Auch hier sollte man es so agil wie möglich halten, z.B. mit Trello.
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