Manage the system, not the people. Agile Leadership ist alter Wein von 1921 in neuen Schläuchen. Allerdings ist der Wein sehr gefährlich, wie dieser FRITZ Tipp zeigt!
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Was ist Agilität?
Auf die Gefahr hin den Begriff Agilität wieder und wieder genauer bestimmten zu wollen, mache ich es kurz und schmerzlos. Agilität und der Kern SCRUM ist eine Methode für ein Umfeld indem sich min. 30% der definierten Anforderungen pro Monat ändern. Man könnte von einem Lösungsansatz für komplexe Probleme sprechen.

Je nach Unternehmensbereich der SCRUM oder eine andere agile Methode wie Kanban, Design Thinking oder Holacracy einsetzt, kommt ein neuer Begriff für die Einführung von Agilität auf uns zu: DevSecOps, Agile Transformation oder Agile Unternehmensentwicklung. Das nachfolgende Beispiel Haier macht deutlich, wovon Agilisten insgeheim träumen:
ALLE diese Ansätze setzen im Kern auf selbstorganisierte Teams, anstelle von formaler Hierarchie zur Koordination. Die Verantwortung wandert mit den Worten von Wolfgang Grilz gesprochen, von der organisierten Zone (=Hierarchie) in die selbstorganisierte Zone (=Team). Leider hat die scheinbar gewünschte Verantwortungsübernahme durch selbstorganisierte Teams in der Praxis allzu oft nicht funktioniert. Genau hier schlägt die Stunde für Agile Leadership oder Agile Führung.Was ist Agile Leadership?
Lutz von Rosenstiel beantwortet die Frage „Was ist Führung?“ wie folgt:
Führung ist zielbezogene Einflussnahme, einerseits durch Personen, andererseits durch Strukturen.
Wenn Hierarchie durch Teams bzw. ein akzeptiertes Verfahren zur Entscheidungsfindung ersetzt werden soll, gibt es keine klassischen Vorgesetzenpositionen mehr. Alle sollen zum Agile Leader werden und Führung übernehmen. Das Team soll sich selbst organisieren. Das heißt, bei Agile Leadership soll die Einflussnahme durch die Person heruntergefahren, dafür durch Strukturen hochgefahren werden. Tausche Hierarchie gegen Bürokratie:
Quelle: FRITZ Führungskreise
Der Wein, der hier gekeltert wird, ist besonders süffig. Du kannst die harte Drecksarbeit der täglichen 1:1 Führung weglassen und steuerst als Agile Leader nur noch das System, an dem du die Rädchen drehst. Um es mit den Worten von Robert Fritz zu erklären: „..unabhängig vom Charakter einer Person, die Struktur, in der sich jemand befindet, ist stärker als jeder persönliche Charakterzug.“
Wie kann Agile Leadership gelingen?
Zahlreiche schlaue Köpfe haben versucht die selbst geschaffene Lücke zu besetzen und stellen sich der Frage, wie kann ich ein System anstelle Personen führen? Wie kann ich über die Bande führen? Wie funktioniert Agile Leadership?
Management 3.0
Jürgen Appelo hat sich als einer der ersten unter dem Begriff Management 3.0 positioniert – Leading Agile Developers, Developing Agile Leaders. Damit gemeint ist eine Sammlung von Spielen, Tools und Praktiken, um jedem Arbeitsnehmer dabei zu helfen, die Organisation zu managen. Die Führungskraft nimmt dabei die Rolle des Gärtners, Modertors oder Mentors ein. Spannend finde ich hierbei den Delegation Poker:
Selbstorganisation braucht Führung
Auch Boris Gloger stellt klar, Selbstorganisation braucht Führung. Für ihn liegt die Antwort in einer Führung, die den Rahmen vorgibt, in dem zielgerichtete Handlungen stattfinden können. Man könnte auch von der Kunst loszulassen sprechen. Dazu kommen klassische Methoden aus der Organisationsentwicklung zum Zuge, wie z.B. Dialog, Kreisgespräch, Open Space, Appreciative Inquiry oder Dynamic Facilitation.
Selbstorganisation braucht Regeln
Brinkmann und Lang haben in der FAZ unter dem Titel „Selbstorganisation braucht klare Regeln“ vier Prinzipien veröffentlicht, die in dezentral gesteuerten Organisationen, zur Anwendung gebracht werden: 1. Zweck-Orientierung, 2. Verteilte Autorität, 3. Transparenz statt Kontrolle und 4. Evolutionäres Lernen.
Der Wein ist also nicht nur süffig, sondern auch besonders schön und edel angerichtet. Das hört sich alles zu gut an, um wahr zu sein und genau das macht mich misstrauisch.
Wieso Agile Leadership gefährlich ist?
Warum schreibe ich, Agile Leadership ist alter Wein in neuen Schläuchen? Bereits 1921 hat sich Max Weber das „Ideal“ der bürokratischen Organisation erträumt. Alles ist bis ins Detail geregelt, festgelegt und geordnet, die Führungskraft greift nur bei Störungen ein. Also Führung durch Strukturen, nicht durch Menschen!
Muster bringt es mit der Metapher „Mischpult des Managements“ praktisch auf den Punkt. Die Entscheidungsparameter Strategie, Organisation und Personal entsprechen jeweils einem Regler auf einem Mischpult. Führung ist der Endverstärker, der alle aus dem Mischpult ausgehenden Signale aufs gleiche Level bringt.
Wenn die Regler höher eingestellt sind, kann der Endverstärker Führung nur noch gering auf Signale einwirken. Wenn die Regler niedriger eingestellt sind, muss der Endverstärker Führung umso stärker eingreifen, um die Zielkonflikte auf operativer Ebene zu verhandeln und entscheiden.
Umgelegt auf Agile Leadership stellt sich folgende Wechselwirkung ein, die ich in der Praxis immer wieder beobachten durfte. Wenn der Endverstärker Führung aus der Gleichung genommen wird, müssen die Regler Strategie, Organisation und Personal umso höher gedreht werden.
Es braucht also ein mehr an Regeln, Vorgaben und Strukturen, um die Zielkonflikte auf operativer Ebene zu lösen. Ähnliches erleben wir bei Kanban, Design Thinking oder Holacracy. Wenn dies nicht geschieht, entsteht Schatten-Hierarchie zur Koordination autonomer Akteure. Gerade eine konsequente Abflachung von Hierarchien führt nicht selten zu einer Zentralisierung von Entscheidungen.
Fazit – Agile Leadership
Agile Leadership oder agile Führung ist alter Wein von 1921 in neuen Schläuchen. Appelo, Gloger, Brinkmann oder Lang erfinden nicht viel neues, sondern bedienen sich zu Recht im systemtheoretischen Regal. Allerdings ist der Wein sehr gefährlich, weil ein weniger an Hierarchie ein mehr an Regeln, Vorgaben und Strukturen zur Lösung der Zielkonflikte benötigt. „Manage the system, not the people“, hört sich sehr verlockend an, wenn nicht diese Nebenwirkungen wären.
Dr. Patrick Fritz
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